Gut und Böse

Lawrence Block nimmt sich in seiner Erzählung "Verluste" jede Menge Zeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Guten nicht immer die Guten sind und die Bösen mitunter auf der richtigen Seite stehen, wissen wir bereits. Wozu hätten wir sonst die vielen Krimis gelesen, wenn wir nicht wenigstens das gelernt hätten? Hilft dies auch im wirklichen Leben? Sicher, nämlich immer dann, wenn es darum geht, ein paar angenehme Schmökerstunden zu verbringen, denn unklare Verhältnisse haben immer den Vorteil, besonders amüsant zu sein. So auch in diesem Fall.

"Matt, der immer nur zuhört" - ein trockener Alkoholiker und Ex-Polizist - wird von seinem Freund und praktizierenden Gangster Mick Ballou um Hilfe gebeten, weil zwei seiner Jungs in einem Lagerraum beim Verladen von Whisky erschossen worden sind. Die beiden Leichen werden verscharrt, Matt macht sich an die Arbeit und findet nichts heraus. Nun, für einen Privatermittler ist das kein wirklich vorzeigbares Ergebnis, aber Matt hat angekündigt, dass er sich nur ein wenig umhören wird, und wenn er nichts findet, dann war es das eben. Matt will nicht in Konflikt mit dem Gesetz kommen, denn er kann sich denken, dass Mick die Täter nicht der Justiz ausliefern wird, wenn er schon die Opfer nicht der Polizei meldet. Mick hat diese Bedingung akzeptiert. Matt ist auf dem Weg zu ihm, um ihm sein Ergebnis und seine Entscheidung mitzuteilen, als ihn zwei schwere Jungs anhalten und ihm eine Lektion verpassen. Er soll die Finger von dem Fall lassen, sonst riskiert er sein Leben.

Das war es dann also. Matt, der immer nur zuhört, nimmt einem der beiden, die ihn überfallen haben, die Pistole ab und trägt sie mit sich herum. Das ist auch bitter notwendig, wie die folgenden Ereignisse zeigen: Einer seiner engen Freunde wird erschossen, weil man sie beide verwechselt hat. Als er mit Mick in ihrer Stammkneipe sitzt, mähen zwei Attentäter alle Gäste mit einem Schnellfeuergewehr und einer Bombe nieder. Mick und Matt entgehen dem Anschlag nur knapp. Aber jetzt nehmen sie Fahrt auf. Sie fragen intensiver nach, wer hinter der ganzen Sache stecken könnte. Ein paar kleine Tipps kommen auch. Aber wer hinter dem allen steckt, bleibt lange offen. Nur ein Zufall und ein guter Zeichner helfen den beiden weiter. Und als dann endlich klar ist, wer die Angriffe beauftragt hat, ist es auch nicht mehr weit bis zum gewaltigen Showdown, in dem dann an Gewaltfeuerwerk abgebrannt wird, was abzubrennen ist.

Block siedelt seinen Gangster-Roman im New Yorker Milieu des späten 20. Jahrhunderts an (das amerikanische Original stammt aus dem Jahr 1998). Die Gangster alter Schule sind zu kleinen und mittelständischen Gewaltunternehmern mutiert, die sich an ein paar Regeln halten, die ihnen das Überleben sichern. Aber vor diesem New Yorker Milieu macht die Modernisierung ebenso wenig halt wie vor anderen gesellschaftlichen Segmenten. Alles wird größer, schneller, regelloser und gewalttätiger. Das Überleben sichert sich nur, wer schneller, regelloser und brutaler ist. Kein Wunder also, dass Matt und Mick vermuten, dass jemand Mick aus dem Geschäft drängen will. Bandenkrieg im New York der 1990er-Jahre? Eine böse Sache. Dass am Ende ein anderer Grund hinter allem steckt, sei hier nur angedeutet.

An dieser knappen Skizze ist bereits zu sehen: Blocks Werk ist von besonderer Güte: Der plot ist knapp geschnitten und klar gehalten. Er wird konsequent durchkonstruiert und er lebt davon, dass er in sich geschlossen und plausibel wirkt. Bemerkenswert ist aber vor allem, wie Block seine Erzählung von Matt und Mick vorantreibt. Denn er verwickelt die beiden untereinander und mit anderen immer wieder in seitenlange Gespräche, in denen die Handlung nicht weitergetrieben, sondern reflektiert wird. Ist es richtig, eine Waffe zu tragen? Wäre es besser, von der Bildfläche zu verschwinden? Welche Jacke sollte Matt anziehen, damit seine Waffe im Holster nicht zu sehen ist? Welche Rolle spielte Jim, der an Stelle Matts erschossen wird, im Leben Matts? Was ist für einen trockenen Alkoholiker ein Erfolg? All das sind Fragen, die beantwortet werden müssen und die im Text beantwortet werden.

Die Erzählung scheint in dieser Zeit in ihrer Bewegung zu verharren. Während die Figuren reden, geschieht nichts, nur wenn sie damit aufhören, passieren die Morde, mit denen das Umfeld Micks beseitigt werden solle. Block nimmt sich für seine Dialoge unerhört viel Zeit. Sie mäandern gelegentlich sogar ein bisschen, wie Gespräche unter Freunden und Paaren es eben tun, wenn man sich gut kennt und sich die Unkonzentriertheiten erlaubt, die unter Vertrauten möglich sind. Es dauert also nicht lange, bis ein Leser zum vertrauten Dritten wird, der an all dem teilnimmt, was Matt und Mick widerfährt. Auch an der großen Schießerei am Ende - die man zumindest als Leser ungeschoren überleben wird. Ob die Guten dann immer noch die Guten sind und die Bösen die Bösen, wird sich zeigen.


Titelbild

Lawrence Block: Verluste.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla.
Shayol Verlag, Berlin 2008.
296 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783926126757

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