Inselwärts - Arno Schmidt und die Literaturen der britischen Inseln

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Band "Inselwärts" versammelt Studien zu Schmidts Umgang mit englischen, schottischen und irischen Autoren: William Shakespeare und James Joyce, Lewis Carroll, William Blake und George Borrow, Edward Bulwer-Lytton und Charles Dickens. Außerdem eine Spurensuche zu den Einsatzweisen der "Encyclopaedia Britannica" in Schmidts Spätwerk und ein ausführlich kommentiertes Register aller dreihundert Autoren von den britischen Inseln, auf die Schmidt sich in der einen oder anderen Weise bezieht.

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat sich Arno Schmidt mit englischsprachiger Literatur beschäftigt. 1925, als Elfjähriger, kauft er zwei Bücher in englischer Sprache, eines davon beginnt er sogar zu übersetzen. Seine erste (und einzige freiwillige, private) Auslandsreise führt ihn im August 1938 nach London, und natürlich werden dort Antiquariate und literarische Stätten aufgesucht. In der Nachkriegszeit arbeit Schmidt kurzzeitig als Dolmetscher in Diensten der englischen Besatzungsbehörden, bald darauf beginnt er damit, zur Aufbesserung seiner desolaten Einkommenssituation englische und schottische, später auch amerikanische und irische Autoren für Geld zu übersetzen. Anspielungen auf Autoren der britischen Inseln und Zitate aus ihren Büchern - oft im originalsprachlichen Wortlaut - durchziehen Schmidts komplettes literarisches Werk. Bisher aber ist dies alles noch nicht umfassend aufgearbeitet worden; der Band "Inselwärts" schafft Abhilfe, und zwar in erster Linie im empirisch-dokumentarischen Bereich.

In der ersten Hälfte des Buches werden einzelne Bereiche des Gesamtthemas in Form von Essays aufbereitet. Zwei Aufsätze verfolgen unter den Titeln "Angeln und Sachsen" und "Kelten und Gälen" chronologisch der Beschäftigung Arno Schmidts mit englischen beziehungsweise mit schottischen und irischen Autoren (die walisische Literatur bleibt weitgehend außer Betracht, weil Schmidt sie fast gar nicht rezipiert hat). Einigen derjenigen Autoren, die dabei die prominentesten Rollen spielen, werden im Anschluss eigene Essays gewidmet. "Stürmisch oder träumerisch?" ist eine Untersuchung überschrieben, die "Shakespeares Damen" mit "Schmidts Damen" paart; in "Ein Snapshot gehört nicht ins Fotoalbum" kommt Aldous Huxley als Vergleichsfolie für Schmidts Proust-Rezeption in den Blick; die "Beziehungskiste Joyce / Schmidt" wird in dem Aufsatz "Leidenschaft mit Widerhaken" im Überblick dargestellt. James Joyce spielte in Schmidts Rezeption angelsächsischer Literatur eine besondere Rolle, was sich auch in Schmidts Umgang mit anderen Autoren spiegelt, wie weitere Aufsätze zeigen. In "Dodgfather, Dodgson & Coo." wird Schmidts Lewis-Carroll-Rezeption detailliert untersucht und dabei herausgearbeitet, dass Joyce für diese Rezeption indirekt die Richtung vorgab; ebenfalls durch Joyce veranlasst war Schmidts Beschäftigung mit William Blake, die (zusammen mit Schmidts Rezeption des Werks von George Borrow) in einem ausführlichen Aufsatz zur Erzählung "Die Wasserstraße" vorgestellt wird; schließlich wird in der kurzen Untersuchung "Viele behutsame studienreiche Jahre" die "joycelich übertreibende" These geprüft, auch Schmidts Bulwer-Rezeption sei durch die Joyce-Lektüre veranlasst gewesen. In zwei weiteren kürzeren Aufsätzen geht es zunächst um die Frage, "Woher die Kindsbraut kommt" (als mögliche Leihgeber des von Schmidt gern benutzten Begriffs werden Dickens und wiederum Bulwer geprüft), und sodann um die Art und Weise, in der Schmidt Wissenspartikel und Formulierungen aus der von ihm als "Buchderbücher" geheiligten "Encyclopaedia Britannica" verwendete.

Die zweite Hälfte des Buches präsentiert auf 250 Seiten ein detailgesättigtes Register aller ermittelten Autoren aus England, Schottland, Irland und Wales, die von Schmidt in der einen oder anderen Weise rezipiert wurden oder in seinem Werk vorkommen: "Arno Schmidts dreihundert Insulaner". Hier werden akribisch alle Fundstellen zu Schmidts Umgang nicht nur mit den bereits genannten, sondern auch mit rund 300 weiteren Autoren und ihrem Werk zusammengetragen: Namensnennungen, Zitate, Anspielungen, Paraphrasen und indirekte Bezugnahmen unterschiedlichster Natur. Für jede Beschäftigung mit Schmidts Rezeption englischsprachiger Literatur soll dieses Register fortan eine Quelle sein; es bietet Material genug für etliche noch ausstehende Einzeluntersuchungen.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.


Titelbild

Friedhelm Rathjen: Inselwärts. Arno Schmidt und die Literaturen der britischen Inseln.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2008.
456 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-13: 9783000237713

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch