Reden ist Silber

Åke Edwardson lässt Geschichten erzählen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Auftakt ist wahlweise grandios oder brutal: In einem kleinen Laden, der auch nachts geöffnet ist, liegen drei ermordete Männer, denen jeweils das Gesicht weggeschossen wurde. Sie werden von einem Taxifahrer gefunden, der Zigaretten holen will. Abrechnung unter Gangstern? In der Drogen- oder Zuhälterszene? Sonst irgendein Hintergrund, der der Polizei, dank ihrer guten Kontakte zur Unterwelt, bekannt sein dürfte? Fehlanzeige. Ein Raubüberfall war das nicht. Aber ein anderer Grund lässt sich auch nicht finden. Niemand kennt die Toten wirklich, niemand hat mit ihnen zu tun, niemand weiß, womit sie beschäftigt oder worin sie vielleicht verwickelt waren. Es ist nicht einmal klar, ob sie alle zu den Zielobjekten der Täter gehörten - oder ob einer oder zwei von ihnen nur zufällige Opfer sind. Und es sieht nicht so aus, als ob das je klar werden würde, denn die Verwandten reden gleichfalls nicht mit der Polizei. Der Grund: Exil-Kurden, die schlechte Erfahrungen mit Behörden haben.

Erik Winter und seine Kollegen stehen also vor einem Rätsel, und Rätsel verlangen nach einer Lösung, auch wenn die Mittel dazu fehlen, in diesem Fall die nötigen Informationen und Informanten.

Aufschlussreich ist nun, wie Edwardson seinen Roman anlegt. Denn nach dem großen Auftakt folgt keine hektische Ermittlung, die in einer einigermaßen belastbaren Auflösung endet, auch wenn die Polizisten eigentlich immer auf der Suche nach einer Spur sind. Statt dessen erzählen sich Erik Winter und Bertil Ringmar im Grunde genommen nur Geschichten. Geschichten, wie es passiert sein könnte, was genau passiert ist, wer daran beteiligt gewesen sein müsste und warum das alles geschehen sein mag. Geschichten, die Abläufe und Begründungen ausprobieren, und die ihnen helfen sollen, die Täter zu finden. Denn nur ein Motiv führt zu einem Täter, keine Spur, die etwa ein ermittlungstechnisches Labor identifizieren könnte.

Die gute Geschichte ist dabei die passende Geschichte, die alle Details, die erkannt worden sind, einfügt und berücksichtigt - und die zugleich einen konsistenten Begründungszusammenhang bereitstellt. Das führt zu dem paradoxen, aber dem Erzählerischen ja grundsätzlich innewohnenden Umstand, dass eine erzählende Geschichte eine Geschichte konstruiert, um sie erzählbar zu machen, und um selber zur Geschichte zu werden. Ansonsten nähme man ja nur Gestalten wahr, die das eine tun, das andere sagen, deren Handlungen und Redebeiträge aber in keinem notwendigen Zusammenhang stehen. Diesen Zusammenhang stiftet nur die Erzählung selbst. Aus dem zufälligen aktionalen Sammelsurium, das sich um Leute ansammelt, wird erst dann ein Leben, wenn es geordnet und in einen Zusammenhang gestellt wird.

Das ist mit einem Mord nicht anders. Die konventionelle Klage über die Sinnlosigkeit der Gewalt, die allerdings selber kaum als sinnhaft zu bezeichnen ist, einmal beiseite gelassen, steht am Anfang ein Tableau: drei tote junge Männer in einem Geschäft. Um sie herum sind Gegenstände, Leute, Handlungen und Reden angeordnet, die sich noch nicht zu einem Muster fügen, sondern unverbunden nebeneinander stehen. Die notwendigen Teile zusammenzufügen, damit daraus eine Geschichte wird, das ist die Aufgabe der Ermittler. Und das eben nicht in dem Sinn, dass es ein Puzzlebild gibt, das in viele Einzelteile zerschlagen wird, um dann wieder zusammengesetzt zu werden. Die Geschichte, die die Ermittler am Ende schließlich (tatsächlich) zusammengestellt haben, ist ein Unikat und ein Original. Sie hat vorher so nie bestanden, und das nicht deshalb, weil jeder eine Sache eben anders und individuell sieht, sondern weil erst die nun erzählbare Geschichte alle Handlungen zusammenführt, das Dazugehörige von dem Nicht-Dazugehörigen separiert und schließlich ihre Täter und ihre Motive präsentiert.

Das verschafft der aktuellen Konkurrenz zwischen den Krimi-Positivisten (Pathologen und Kriminaltechnikern) und Hermeneutikern (Ermittlern und Detektiven) eine echte Schlagseite. Denn die Hermeneutiker geraten auf diese Weise nicht ohne Grund in den Ruf, zwar gute Geschichtenerzähler zu sein, aber außer der Plausibilität keinen Grund zu haben davon auszugehen, dass nun gerade ihre Geschichte zutreffen sollte (und dass somit der identifizierte Täter wirklich der richtige ist). Dagegen stehen stattdessen aber freilich auch keine puren Fakten, sondern lediglich eine Kausalität, über deren Konstruktionsgrad bereits das eine oder andere geschrieben worden ist.

Edwardson jedenfalls hat sich auf die Seite der Erzähler geschlagen, verzichtet dabei aber auf Suspense und lässt lieber seine Helden miteinander reden und durch die Gegend fahren. Irgendwann jedenfalls kommen sie irgendwo an, das heißt sie haben eine Geschichte, die ihnen passt.


Titelbild

Ake Edwardson: Rotes Meer. Kriminalroman.
Ullstein Verlag, München 2008.
362 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783550087110

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