Ein Antichrist auf dem Papstthron

Manuel Vázquez Montalbán erkundet Wirkungsweisen der Macht

Von Sabine KaldemorgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Kaldemorgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jeder Kardinal möchte Papst sein. Warum nicht ich?" Entschlossen entscheidet der katalanische Kardinal Rodrigo Borgia die Papstwahl durch Bestechung zu seinen Gunsten. Noch bevor er elf Jahre später als Papst Alexander VI. in die Geschichte eingeht, haben sexuelle Begierden und politische Schachzüge den Mythos um seine Person begründet.

Manuel Vázquez Montalbán, Romancier, Lyriker und Schöpfer des Detektivs Pepe Carvalho, hat Aufstieg und Niedergang der berüchtigten Herrschaft der Borgias zum Gegenstand seines neuen Buches "Kaiser oder nichts" gemacht. Dem spanischen Autor geht es nicht darum, den Mutmaßungen über das inzestuöse Verhältnis Papst Alexander VI. mit seiner schönen Tochter Lucrezia eine weitere Vermutung hinzuzufügen. Wie schon zuvor in "Das Spiel der Macht" (1994) ist Vázquez Montalbán eher ein literarischer Chronist. In seinen Romanen rekonstruiert der bekennende Kommunist die Lebenswege historischer Figuren und die jeweiligen politischen Konstellationen ihrer Zeit. Daraus entwirft er Szenarien, in denen die Wechselwirkung zwischen dem Gang der Geschichte und den verhängnisvollen Verstrickungen der Personen deutlich werden. Die Charakterisierung der Borgias erfolgt aus einer Perspektive, die zeigen soll, wie konsequent und skrupellos sie ihren Willen zur Macht durchsetzen.

Der Titel "Kaiser oder nicht" ist dem Wahlspruch der Familie entlehnt und dient gleichzeitig als Leitmotiv. Aus anfänglicher Selbstbehauptung der Borgias im feindlich gesinnten Umfeld des römischen Adels entstanden, läuft der Führungsanspruch dem kulturellen Zeitgeist zuwider. In der Blütezeit des Humanismus setzen sie auf Machtzuwachs durch die Ermordung politischer Gegner und durch Intrigen. Meisterhaft beherrscht Papst Alexander VI. die Klaviatur des persönlichen Lobbyismus und des Seitenwechsels aus politischem Kalkül. Seine gelungenen strategischen Manöver kaschieren nur vorübergehend die Abhängigkeit des Vatikans von außenpolitischen Konstellationen: "Die Familie wird uns unbesiegbar machen. Die Borgias gegen die restlichen Geschlechter, die sich die Macht aufteilen und keine Eindringlinge wünschen." Unbeirrbar ordnet Papst Alexander VI. das Leben seiner Kinder Cesare, Joan, Jofré und Lucrezia der Staatsräson unter. Vázquez Montalbán befreit Lucrezia vom Klischee der ruchlosen Lebedame. Er stellt sie als Opfer dar, das sich mit der Rolle eines Spielballs im Bündnisgefüge nicht abfinden will. Erst der Abstand von Rom ermöglicht Lucrezia ein Privatleben nach eigenen Vorstellungen: als Mutter und Mäzenin berühmter Renaissance-Dichter. Cesare ist für Vázquez Montalbán der Inbegriff des modernen Politikers. Der Historiker Machiavelli, der in ihm das Vorbild für "Il Principe" sieht, ist von seiner Brutalität und taktischen Denkweise angezogen. Er billigt nicht nur Mord, Folter und Unterdrückung, sondern sieht das Böse als unvermeidlichen Teil der Politik an. Während Machiavelli als Realist die Feldzüge Cesares rechtfertigt, entwirft Leonardo da Vinci, der Träumer und Zukunftsvisionär, für ihn Kriegsgeräte.

Vázquez Montalbán zieht die Handlung seines Buches über einen Zeitraum von vier Generation: vom Beginn der Borgia-Herrschaft 1492 bis zum Tode Francisco de Borgia im Jahre 1572. Francisco, Ordensgeneral der Jesuiten, ist in Spanien aufgewachsen, wo das Jahr 1492 die Weichen zur Formierung neuer religiöser Maßstäbe stellte. Das Ende der Reconquista, der Rückeroberung arabischer Gebiete, die Vertreibung der Juden und die Entdeckung Amerikas führen zur Gründung des spanischen Imperiums, das durch den Katholizismus zusammengeschweißt wird. Die Betätigungsfelder der spanischen Kirche - Missionierung der neuen Welt, Verfolgung konvertierter Christen durch die Inquisition, Abwendung der inneren Spaltung durch den Protestantismus - erfordern eine grundlegende Neuorientierung. Der Urenkel Alexanders VI. verkörpert den tiefgreifenden Wertewandel. Als Asket wirkt er mit an der Erneuerung der katholischen Kirche. Die geistlichen Übungen Ignatius von Loyolas befolgend, hat Fransisco de Borgia den Kriegsschauplatz ins Seelenleben verlagert. Die Meditation über Tugenden und Laster, Sündenfall und Erlösung bereitet ihn auf die Begegnung mit dem Jenseits vor. Sein Motto: "Aut Deus aut nihil" steht im Einklang mit den Zielen der Gegenreform. Vázquez Montalbán transportiert die Handlung fast nur über Dialoge, die einen einschneidenden Kultursprung verdeutlichen. Sie spiegeln die Verbreitung neuen Gedankenguts in Wissenschaft, Literatur und Malerei, den beginnenden Kapitalismus und erste Grundsteinlegungen von Nationalstaaten. Die Porträts der Akteure geben ein lebendiges Bild von der widersprüchlichen Zerrissenheit ihrer Epoche. Traditionelle Richtlinien sind überholt, die Moderne hat noch nicht begonnen. Entscheidend für die politische Weichenstellung ist die Leistung Einzelner und deren Verhältnis zur Macht. In diesem Sinne hat die Zeitenwende, die 1492 einsetzte, nichts von ihrer Aktualität verloren.

Titelbild

Manuel Vázquez Montalbán: Kaiser oder nichts. Aus d. Span. v. Theres Moser.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999.
353 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3803131456

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch