Luftzug aus dem Jenseits

Michael Maar hat die erste deutschsprachige Monografie über das Werk Vladimir Nabokovs verfasst

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Fabelhafte Aussicht von hier oben", antwortete Vladimir Nabokov 1971 auf die Frage, wo er seinen Standort in der Literatur verorte. Für Konkurrenten hatte er nur Spott übrig. In Thomas Manns Prosa etwa fand er nichts als Klischees, und dessen Humor erinnerte ihn an den von "Max und Moritz". Gleichzeitig stapelte Nabokov als einer der einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts tief, seine Figur "Lolita" aus dem gleichnamigen Welterfolgsroman von 1955 sei gewiss berühmt, er selbst aber nicht.

Tatsache ist allerdings, dass in Deutschland bislang keine einzige Monografie über Nabokov erschienen war. Bis sich der freie Autor und Essayist Michael Maar erbarmte und "Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov" veröffentlichte. Maars leichte und zugleich elegante Art, literaturwissenschaftliche Fragen einem breiteren Publikum zu vermitteln, wurde bereits vielfach gelobt.

Auch in seinem neuen Band gelingt es dem Autor, so vielschichtige Nabokov-Romane wie "The Real Life of Sebastian Knight" (1941) oder "Pnin" (1957) in ihrer Abgründigkeit zu erfassen - und zwar, obwohl er sich kurz fasst. Und wer sich darüber hinaus für Nabokovs hermetisches Spätwerk - dort vor allem den grandiosen Roman "Pale Fire" (1962) - interessiert, erfährt bei Maar, wie Nabokov das "Lolita"-Thema der Pädophilie dort wieder aufnimmt, aber weiter ausdifferenziert.

Bei all dem Lob, dass Maar für seine Arbeiten einheimst, ist es jedoch auch einmal an der Zeit, grundsätzlicher zu urteilen. Der freie Autor, von dem jeder Klappentext seiner Bücher nicht zu erwähnen vergisst, dass er an der Universität in Stanford gelehrt habe, arbeitet mit Methoden aus Uropas Germanistik. Aufzählungen homosexueller Subtexte, Figuren und Motivketten in Nabokovs Werk, die - Überraschung! - am Ende mit Kindheitserlebnissen des Autors in Zusammenhang gebracht werden: Nein, mit solchen biografischen Enthüllungen gewinnt man heute zumindest an der Uni keinen Blumentopf mehr.

Intertextuelle Anleihen Nabokovs beim sonst von ihm so geschmähten Thomas Mann zu dechiffrieren, funktioniert zwar gut - ob aber solche marginalen Manöver wirklich dazu gereichen, den 'ganzen dunklen Wald' dieser spitzbübischen Prosa vor lauter Bäumen nicht aus den Augen zu verlieren, wie es Maar in seinem Vorwort in Aussicht stellt, sei dahingestellt. Nicht zuletzt sorgt auch die emsige Entschlüsselei von Anagrammen, die die Nabokov-Forschung offenbar in Atem hält und die auch Maar begeistert, für Stirnrunzeln.

"Nabokov erzieht seine Deuter zu Kabbalisten", munkelt der Interpret. Im letzten Drittel seiner Studie widmet er sich wohl deshalb metaphysischen Fragen und unterstreicht die Wichtigkeit, die die Gnosis für Nabokov besessen habe. Leben und Transzendenz verhielten sich in seiner Literatur nicht in zeitlicher Relation zueinander, sondern vielmehr in einer räumlichen, vermutet Maar. Nabokovs Werk sei wie ein Haus, durch dessen Ritzen der beständige Luftzug des Jenseits dringe: "Man übertreibt nicht wenig, wenn man sagt, daß es in ihm spukt."

Seien wir gerecht. Maars voluminöser Fußnotenapparat vermittelt den Eindruck, dass solche Annahmen nun einmal den Stand der Nabokov-Forschung ausmachen. Wortmächtige Autoren wie der Exil-Russe, der seinen Lebensabend vom Erlös seiner "Lolita"-Tantiemen in einer mondänen Hotelsuite zu Montreux verbrachte, um höchstens noch ab und zu auf Schmetterlingsjagd zu gehen, ziehen esoterische Rätselclubs und devote biografistische Deuter nun einmal magisch an. Maars Buch hat damit umzugehen und tut dies nicht ohne Ironie. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass eine von solchen mystifizierenden Elementen emanzipiertere Lektüre Nabokovs erst noch aussteht.

Anmerkung der Red.: Eine gekürzte Version der Besprechung erschien bereits in KONKRET 6/2008.


Titelbild

Michael Maar: Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
204 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827005120

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