Auflösungserscheinungen

Tanja Maier will mit ihrer Untersuchung zu "Gender und Fernsehen" einer kritischen Medienwissenschaft neue Perspektiven öffnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Situiertes Wissen wendet sich gegen den "vermeintlichen Anspruch einer neutralen, interesselosen und wertefreien Wissenschaft", erklärt die Göttinger Medienwissenschaftlerin Tanja Maier und setzt sich damit einen zwar modischen, doch recht alten Hut auf - der den Wissenschaften nach wie vor gut zu Gesicht steht. Alt ist er weniger darum, weil das von feministischen WissenschaftstheoretikerInnen wie Sandra Harding ins Leben gerufene Konzept situierten Wissens nun mehr schon seine zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, sondern vor allem, weil die Kritik am Glauben an die Möglichkeit neutraler, interesseloser und wertefreier Wissenschaft noch weit älter ist und aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts stammt. Max Weber hat sie bereits 1917 in seinem Aufsatz "Der Sinn der 'Wertfreiheit' der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften" erhoben. Aufmerksamkeit erregt an Maiers Aussage darum vor allem das unscheinbare Wörtchen "vermeintlich". So wie Maier den Satz formuliert hat, besagt er, dass sich situiertes Wissen gegen die fälschliche Annahme richtet, Wissenschaft erhebe den Anspruch neutral, interesselos und wertfrei zu sein. Doch liegt Vermutung liegt nahe, dass der Wissenschaftlerin das vor allem von JournalistInnen inflationär benutzte Modewort "vermeintlich" einfach an die falsche Stelle gerutscht ist.

Wie dem auch sei, die Autorin macht sich das Konzept situierten Wissens zu eigen und erklärt durchaus zutreffend, dass die "Positionierung gegenüber dem Gegenstand [...] die Wissensproduktion [strukturiert]". Daraus schließt sie, es gelte die "Politik der Forschungspraxis zu berücksichtigen", was auch verlange, "den Standpunkt, von dem aus ich spreche, sichtbar zu machen." Dass Wissen immer situiert ist, ist zwar richtig, und stets zu bedenken. Nicht so der von Maier daraus gezogene Schluss. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass SprecherInnenpositionen durch unendlich viele Punkte markiert sind, die unmöglich alle benannt werden können, so dass sich die Frage nach den Kriterien stellt, anhand derer entschieden wird, welche benannt und welche verschwiegen werden. Warum aber sollte die SprecherInnenposition überhaupt ausgewiesen werden? Beeinflusst bei bis ins letzte Komma identischen Texten die SprecherInnenposition, mit welchen Recht hier ein Geltungsanspruch erhoben wird beziehungsweise wie dieser zu beurteilen ist? Ist es für die Beurteilung der Relativitätstheorie etwa - wie die Nazis meinten - tatsächlich wichtig zu wissen, dass es ein Jude war, der sie entwickelte? Wohl kaum. Ob ein wissenschaftlicher Text von einer Schwarzen oder einem Weißen, einer Lesbe oder einem Macho, einem Sonderschüler oder einer Nobelpreisträgerin, einer Atheistin oder einer Alkoholikerin, einer Katholikin, einem Kommunisten oder einem Kastraten verfasst wurde, beeinflusst zwar zweifellos seinen Inhalt ebenso wie sein Zustandekommen. Doch darf dies alles bei der Überprüfung seines Geltungsanspruchs keine Rolle spielen.

Was also bedeutet es für die Beurteilung von Maiers unter dem Titel "Gender und Fernsehen" vorgelegter Untersuchung, wenn die Autorin ihre SprecherInnenposition mit der Bemerkung kennzeichnet, dass ihre "televisuellen Seherfahrungen 'begrenzt'" sind und zwar "hauptsächlich auf das bundesdeutsche Fernsehen der letzten 25 Jahre"? Gar nichts. Jedenfalls nicht für die Beurteilung seines Geltungsanspruchs und für die Plausibilität seiner Argumentation. Wichtig sind Informationen über SprecherInnenpositionen nur, wenn es gilt, das Zustandekommen oder die Wirkung eines Textes zu erklären, also etwa, warum der Autorin bestimmte Fragen nicht in den Blick geraten, anderes nur am Rande beleuchtet und etwas drittes im Mittelpunkt steht oder warum ein bestimmter Text inner- und außerwissenschaftlich wirkmächtig ist oder nicht. Interessiert aber die Frage nach der Plausibilität des Geltungsanspruches eines Textes, so ist der Blick auf seine innere Schlüssigkeit zu richten und darauf, wie wiederspruchsfrei und lückenlos er die zu erforschenden Phänomene erklärt. Kurz: Ist ein wissenschaftlicher Text namentlich gezeichnet, so ist auch die SprecherInnenposition hinreichend gekennzeichnet. Die Signatur macht deutlich, dass er von einer bestimmten Position aus geschrieben wurde, will man herausfinden von welcher aus, etwa um zu eruieren, welche politische, wirtschaftliche oder sonstige Interessen hinter der Auswahl des Forschungsgegenstandes stecken könnten, so kann man dem anhand des Namens der VerfasserIn nachgehen.

Doch nun vom epistemologischen ,Proömium' in medias res, das heißt, zu Maiers Untersuchungsgegenstand und ihren Thesen. Ihr von einem "explizit politischen Impetus" getragenes Unternehmen, "Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft" zu eröffnen, setzt zunächst an der "Schnittstelle zwischen der strukturellen 'Macht der Medien' und der Handlungsmächtigkeit der Rezipierenden" an, und ist von dem Interesse geleitet, "das Verhältnis von 'Struktur und Aktivität' im Fernsehen und beim Fernsehen in Bezug auf seine jeweiligen hegemonialen gesellschaftlichen Wirkungen, oder der Brechungen derselben" zu erhellen. Zum zweiten fragt die Autorin, "was es für Analysen des Fernsehens bedeutet, wenn Befunde und Ergebnisse der Geschlechterforschung nicht berücksichtigt werden".

Feministische Theorien und empirische Befunde können Maiers Ausgangsthese zufolge die bislang in der Forschung vorherrschende "Polarisierung" zwischen Produktionsanalysen und Rezeptionsstudien "überwinden" und deren "jeweiligen Einsichten (selbst-)reflexiv nutzen, anstatt sie nur zu kontrastieren". Doch will sie nicht nur diese beiden Forschungsansätze miteinander verbinden und füreinander fruchtbar machen, sondern von einer "kritisch-feministischen Position" aus zu einer "produktiven Zusammenführung von Geschlechterforschung und Fernsehforschung" beitragen.

Anhand der Produktion und - auch wissenschaftlichen - Rezeption der deutschen Fernsehserie "Lindenstraße" untersucht Maier hierzu, "die hegemoniale Arbeitsweise des Mediums hinsichtlich seiner (genre-)spezifischen Darstellungskonventionen und Vorstellungsweisen in ihrer Verwobenheit mit der Geschlechterdifferenz, welche die Möglichkeiten der Aktivität der Zuschauenden einschränken, produzieren und bedingen." Entsprechend ihrem epistemologischen Selbstverständnis berücksichtigt sie dabei, dass "die Subjektivität und die disziplinäre Verortung der Forschenden" verändernd auf das "Forschungsfeld" einwirken, und bringt eigene "Seherfahrungen, Medienbiographien und visuelle Lüste" in den "Forschungsprozess" ein, um so den "Gegensatz zwischen den Forschenden einerseits und den Zuschauenden andererseits aufzulösen".


Titelbild

Tanja Maier: Gender und Fernsehen. Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
279 Seiten, 27,80 EUR.
ISBN-13: 9783899426892

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