Kontemplationen

Ales Rasanaus weißrussische "Punktierungen"

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem gediegen gestalteten Band veröffentlicht der Verleger Urs Engeler eine zweisprachige Auswahl neuester Gedichte des 1947 geborenen Weißrussen Ales Rasanau. Die "Punktierungen", wie der Dichter seine Texte selber nennt, erinnern in Form und Inhalt an Haikus; mit ihren drei bis sechs Zeilen gestatten sie sich aber etwas größere formale Freiheit. Rasanau hat Bashô, den japanischen Meister des Haiku, ins Weißrussische übersetzt; und wer weiß, vielleicht ist auch der Frosch geradewegs von Bashô zu Rasanau hinübergehüpft. Rasanau schreibt "Der Frosch sprang vom Steg: / Gibt den Weg frei / nach Hause". Bashô seinerseits hatte in einem berühmten Gedicht die Aufmerksamkeit auf den Teich und auf das Geräusch gerichtet, das der Frosch bei seinem Sprung verursacht. Rasanau jedoch wendet sich der leeren Stelle zu, die der Frosch zurücklässt: eine scheinbar geringfügige und doch viel sagende Verschiebung der Perspektive.

Überhaupt ist die Natur mit den Bäumen, dem Wind, dem See, dem Regen, aber auch mit ihren Tieren und Vögeln das dominierende Thema des Bandes. Das Ich des Dichters wird dabei ganz zurückgenommen. Das ist notwendige Voraussetzung, damit die Versenkung gelingen kann. Denn die Gedichte haben einen kontemplativen Charakter, und gerade dadurch erträgt der Band auch gewisse thematische Wiederholungen. So kehrt der Schnee in vielen Gedichten wieder. Wie die Inuit über mehrere Wörter für "Schnee" verfügen, so ringt Rasanau diesem Naturphänomen bei seinen Betrachtungen stets neue Facetten ab. Dabei wird die Natur immer wieder belebt: Der Schneesturm umarmt einen, die Sonne versteckt sich, der Umwelt ist schwindlig, oder die Tanne weint.

Rasanaus Gedichte sind von Elke Erb mit viel Sprachgefühl ins Deutsche übertragen worden. Eine besondere Herausforderung lag darin, die lautlichen Wiederholungen und die manchmal ungewöhnliche Syntax des weißrussischen Originals im Deutschen adäquat wiederzugeben. Dies ist der Übersetzerin bravourös gelungen.

Weißrussisch ist an den knapp 100 kurzen und stets titellosen Gedichten außer der Sprache aber eigentlich nichts. Das könnte beinahe als Provokation aufgefasst werden: Mit der Entscheidung für das Weißrussische als Literatursprache verbindet man gegenwärtig meist eine oppositionelle Haltung gegenüber dem aktuellen Regime von Präsident Lukaschenko. Man mag also von weißrussischer Literatur politische Untertöne erwarten, doch wird man in Rasanaus Gedichtband vergeblich nach solchen suchen. Die weißrussische Sprache ist für ihn in seinen Gedichten viel mehr als ein bloßes Instrument, mit dem man eine politische Haltung kundtut. Im Gegenteil: Sie deckt alle Bereiche des Lebens ab und übermittelt - wenn schon - vielleicht gerade in ihrem universalen Geltungsanspruch eine kraftvolle Botschaft.

Es wundert nun vielleicht nicht mehr zu erfahren, dass diese Gedichte in der Schweiz entstanden sind, wie Ilma Rakusa in ihrem informativen Nachwort berichtet. Rasanau hielt sich 2006 mit einem Stipendium in Zug und am gleichnamigen See auf. Doch konkret werden die Orte des Geschehens in den Gedichten nie benannt. Ales Rasanaus Landschaften sprechen in seinen Gedichten eine universale Sprache: Man sieht bei der Lektüre den See, den man sehen möchte; man ist in der Stadt, in der man sich gerade befindet - wo immer das auch sein mag.


Titelbild

Ales Rasanau: Das dritte Auge. Punktierungen.
Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa.
Übersetzt aus dem Weißrussischen von Elke Erb.
Urs Engeler Editor, Basel 2008.
112 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783938767412

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch