Modernisierungsgewinnler

Qiu Xiaolong ist der korrupten Kamarilla des modernen China auf der Spur

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das moderne China ist ein merkwürdiges Land: einerseits traditionsbewusst und vergangenheitsbehaftet, andererseits gibt es wohl kein Schwellenland, das derart bedingungslos die Modernisierung wagt (und damit offenbar Erfolg hat) wie China. Die Schatten, die diese rasante Entwicklung wirft, sind dabei auch aus der Ferne nicht zu übersehen: Armut, der Verfall sozialer Ordnung, unglaubliche Umweltschäden und eben auch Korruption. Wo das schnelle Geld lockt, da sind auch die nicht weit, die es haben wollen. Schnelles Geld aber ist entweder über Bestechung zu machen (was früher nicht kriminell, sondern Akquisitionsnebenkosten waren) oder über Verbrechen im großen Stil - womit wir wieder in der schönen alten Kriminalwelt wären und bei ihrem Bild von Gesellschaft. Was das angeht, unterscheidet sich das China des 21. Jahrhunderts nicht von anderen Ländern, die sich in die Geschichte des Krimis eingeschrieben haben.

Nur ist hier eben alles irgendwie mehr, größer, schlimmer und vor allem anders. China wagt den Sprung aus einem kommunistischen, dirigistischen Regime in eine kapitalistische Marktwirtschaft, ohne dass die Nomenklatur ihre Regelkompetenz aufzugeben bereit ist. Das mag sinnvoll sein, vom westlichen Denken und von westlichen Erfahrungen unterscheidet sich das, was in China geschieht, jedoch grundlegend. Bis auf die Generalanalogie, dass das Verbrechen immer und überall lauert.

Die Kriminalromane von Qiu Xiaolong zeigen das mit aller Deutlichkeit (womit er die These belegt, dass der Krimi heute eine sehr aktuelle Bestandsaufnahme von sozialer Entwicklung vorlegt und dabei als sensibler Sensor bestehen kann). Qiu Xiaolong, in Shanghai geboren, lebt heute im amerikanischen Exil und legt bereits seinen vierten Roman um den literarisch gebildeten Inspektor Chen vor. Und man kann wohl mit Recht annehmen, dass es dem Autor nicht nur um eine mehr oder weniger gut erzählte Geschichte geht, sondern dass er mit dem Land seiner Herkunft, genauer sogar mit der Stadt seiner Herkunft umgeht.

Dabei transportiert er nicht nur Kulturelles und Politisches, sondern eben auch eine Menge Kulinarisches, was die - nächste - These erhärtet, dass Phantasie der beste Appetitanreger ist. Qui Xialongs jedenfalls schafft es, eine Menge Lust auf gutes chinesisches Essen zu machen und einen guten Tee, den man sowieso dazu nehmen kann.

Das führt uns selbstverständlich - und auch das ist ja internationaler Krimi-Standard geworden - weit weg vom kriminellen Geschehen, hin zu einer einigermaßen geschickt verpackten Einführung in das neue chinesische Gesellschaftsleben.

In diesem Fall, im Fall der "Roten Ratten" scheint Qui Xiaolong in der Tat ein bisschen die Balance verloren gegangen zu sein, die seine ersten drei Romane auszeichnet. Trotzdem kommt auch er zu seinem Mord und Totschlag: Der Mord an einem Kollegen und der Auftrag von allerhöchster Regierungsstelle führt Chen eben nicht nur in die verschiedenen Garküchen und Büros Shanghais, sondern auch als Leiter einer Autorendelegation ins ferne Amerika. Nun ist das für den Anglisten, Übersetzer und "modernistischen Dichter" Chen sicher keine allzu große Qual, hilft es ihm doch, seine Sprache zu schulen und die eine oder andere Dichterstätte zu besuchen (Mark Twain etwa, der als Meister Ma durch das Buch geistert).

Aber denkwürdig ist es doch, dass er - kaum dass er dem ersten Kader auf die Zehen getreten ist - gleich in die Ferne verschickt wird. Die engen Verquickungen zwischen Politik, Administration, neuer Ökonomie und chinesischer Mafia (den Triaden) stehen denn auch im Zentrum des Romans, in dem die Verführungen des neuen Chinas auch vor den kommunistischen Vorzeigekadern nicht halt machen und sich so einige die Taschen und die Taschen ihrer Freunde mit dem vollstopfen, was andere sowieso genommen hätten. Das enge soziale Geflecht, das China auszeichnet, in dem Verpflichtungen und Gefälligkeiten so manchen Weg ebnen, hat eben auch seine krasse, seine kriminelle Seite. Und spätestens dann, wenn die Ermittler selbst in Gefahr geraten - nur mit Glück entgeht Chen in den USA einem Anschlag - hört für sie der Spaß auf. Chen ist denn auch nicht damit zufrieden, genügend Aufsehen erregt zu haben im fernen China, er will mehr, nämlich das, was alle guten Ermittler auszeichnet: Gerechtigkeit. Das aber ist in einem so großen und dynamischen Land wie China (zumindest in unserem Krimi-China) wohl ein wertvolles, vielleicht ein seltenes Gut geworden. Er bekommt sie am Ende - dafür bekommt er aber nicht, wie wir und alle harten Kerle unter der Krimi-Sonne es gewohnt sind, die Frau, die er begehrt. Ist das gerecht?


Titelbild

Qiu Xiaolong: Rote Ratten. Oberinspektor Chens vierter Fall.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.
382 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-13: 9783552053793

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