Marketing für den Krieg

Scott McClellan demaskiert die Täuschungskultur von George W. Bush

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist Scott McClellan, ehemaliger Pressesprecher im Weißen Haus, wirklich "der Judas, der den Präsidenten und seine Freunde für ein paar Silberlinge verriet", als den ihn der Abgeordnete Lama Smith, ein texanischer Republikaner, während einer Anhörung vor einem Untersuchungsausschuss in Washington Ende Juni schmähte? Sieben Jahre lang diente der "loyale Texaner" (so bezeichnet er sich selbst) Scott McClellan, 40, seinem Herrn und Meister George W. Bush als verlässlicher Sprecher. In Austin arbeitete er noch im Wahlkampfteam des Gouverneurs Bush, in Washington dann als Pressemann im Weißen Haus. Er rechtfertigte skandalöse Täuschungsmanöver der Bush-Regierung, er machte mit bei der Marketing-Kampagne für den Irak-Krieg, die auf gefälschten Informationen basierte und er verbreitete die Mär von Saddams Unterstützung terroristischer Gruppen und von dessen Massenvernichtungswaffen, "die man bald finden würde".

McClellan erlebte auch noch einen völlig überforderten, inkompetenten Präsidenten, der während des verheerenden Hurrikans Katrina als Krisenmanager total versagte. Dann verabschiedete sich der enttäuschte, getäuschte und vom Bush-Team als Lügner bloßgestellte Pressesprecher Scott McClellan 2006 aus dem Treibhaus Washington und trat von seinem Posten als Pressesprecher zurück. Mit seinem jetzt veröffentlichten Buch "What Happened", mit dem er sich sofort auf die Bestsellerliste der "New York Times" katapultierte, sorgt er in den USA nun für großes Aufsehen. Denn der freundliche, unscheinbare Pressesprecher, der jahrelang zu den treuesten Vasallen des Präsidenten gehörte, zieht nun ein so extrem kritisches Fazit, dass wütende Republikaner diese Metamorphose des Saulus zum Paulus für äußerst irritierend und unglaublich halten.

Wie konnte er jahrelang als gut funktionierendes Rädchen diese Maschinerie unterstützen und sich erst viel später als skeptischer Zweifler und Bedenkenträger outen? So lauten die jetzt artikulierten Vorwürfe. Dieses Buch, so urteilte die "New York Times", dürfte sich für den Präsidentschaftskandidaten John McCain zu einem wahren Alptraum entwickeln. Denn nun würden wieder all die peinlichen Fragen und Skandale erörtert, in die erzkonservative Kriegstreiber wie McCain zwar involviert waren, die sie jedoch verdrängt oder kaschiert hatten.

Für die große Mehrheit der amerikanischen Wähler dürfte McClellans kritischer Rückblick auf hochtrabende Reform-Versprechen und plumpe Machtmanöver, auf getürkte Daten, Kungeleien innerhalb einer egomanischen Machtelite und auf skrupellose Faktenmanipulationen zur Begründung des Irak-Krieges jedoch besonders glaubwürdig wirken. Denn der blauäugige Texaner beschreibt offen und selbstkritisch, wie er sich während seiner Anfangszeit im Weißen Haus noch wie ein naiver Backfisch vom "Wow!"-Effekt überwältigen ließ, wie "warmherzig" er anfangs den Präsidenten erlebte, bevor er dann einen langanhaltenden Prozess der Desillusionierung durchmachte.

Der Human Touch hat in seiner Darstellung übrigens einen hohen Stellenwert, ein kurzes Lob des Präsidenten, eine kleine präsidiale Träne beim Abschied - das berührt den arglosen Bush-Mitarbeiter stark. Sein Stil kulminiert mitunter zwar in einer beinah sedierenden, staubtrockenen Redundanz und auf Banalitäten fixierten Detailversessenheit. McClellans Verzicht auf reißerische Effekthascherei oder Oberlehrer-Attitüden ist jedoch erfreulich. Seine Einsichten in die Schwachstellen, Intrigen und Lügenkonstrukte der Bush-Administration kamen allerdings reichlich spät und werden obendrein mit naiv formulierten Fragen garniert. "Wie konnten wir mit unseren Informationen über den Irak so sehr daneben liegen?" fragt sich der irritierte Texaner etwa an einer Stelle. Dass die Präsentation gefälschter Daten, die Bloßstellung der CIA-Undercover-Agentin Valerie Plame, deren Ehemann die angebliche irakische Niger-Connection als Farce entlarvt hatte, zur Arbeitsweise des Bush-Systems gehörte und für die "Verkaufsstrategie" (sein Terminus) des schon beim Bush-Amtsantritt langfristig geplanten Irak-Krieges instrumentalisiert wurde, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn.

Die Präsidentenberater Karl Rove und Scooter Libby hatten McClellan zwei Jahre lang versichert, die Identität der CIA-Agentin Plame gegenüber den Medien nicht enthüllt zu haben - es war eine glatte Lüge. Sie war allerdings fatal. Nicht nur, weil der gutgläubige Texaner sie ungefiltert an die Presse weitergegeben hatte. Da es sich beim Fall Plame um Geheimnisverrat und somit um ein kriminelles Delikt handelte, wurde ein Untersuchungsausschuss zum Aufspüren der Quelle eingesetzt. Als dann die Wahrheit ans Licht kam, Rove und Libby verurteilt (und vom Präsidenten begnadigt) wurden, stand der Pressesprecher McClellan plötzlich selbst als tölpelhafter Lügner da.

Die Irritation über die ominöse 16-Wörter-Meldung, die als Rechtfertigung für den Irak-Krieg eingesetzt wurde, zieht sich wie ein roter Faden mit einem Rattenschwanz daraus folgender Probleme durch das Buch. Die vom Weißen Haus verbreitete Meldung, die Bush trotz der CIA-Hinweise auf die fragwürdie Quellenlage bei seiner Ansprache an die Nation verlas, lautete: "Die britische Regierung hat erfahren, dass Saddam Hussein kürzlich große Mengen Uran in Afrika erwerben wollte". Für Bush war das ein eindeutiger Beweis für die Absicht des irakischen Diktators, Atomwaffen zu produzieren. Doch es war eine vom italienischen Geheimdienst gefälschte Meldung, die von den Briten übernommen worden war und vom Ehemann der CIA-Agentin Plame, dem Botschafter Joseph Wilson, nach einer Inspektionsreise in Niger als unglaubwürdig dargestellt wurde. Ihre von Rowe und Libby betriebene öffentliche Bloßstellung als CIA-Agentin - sie war damit "verbrannt" - war die präsidiale Rache für das unbotmäßige Verhalten ihres Gatten gewesen.

Da McClellan kein scharfsinniger Analytiker ist und sich mit kritisch-historischen Exkursen nicht aufhalten mochte, kam er auch nicht auf die Idee, auf abweichende Stimmen zu hören oder Einwände gegen den Krieg ernsthaft zu prüfen. Im Dunstkreis des Weißen Hauses operierten Mitglieder aus dem dubiosen Hardliner- Thinktank "American Enterprise Institute" um Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Richard Perle ("Fürst der Finsternis"). Sie suggerierten dem Präsidenten, mit ihrem Freund, dem wegen Unterschlagung und Betrug verurteilten Dollarjäger Ahmed Chalabi den idealen Premier für den Irak gefunden zu haben. Vom militanten Kriegsbefürworter Chalabi stammte ja die euphorische Prophezeiung, die US-Truppen würden beim Einmarsch in Bagdad mit Blumen und Süßigkeiten überhäuft. Offenbar hat aber His Masters Voice McClellan all diese Umtriebe der Kriegstreiber, beeinflusst von der permanenten Post- 9/11-Propaganda, völlig ignoriert. Auch die Parallelen zum Vietnamkrieg hätte er im Vorfeld des Irak-Kriegs ohne Scheuklappen vor den Augen erkennen können. Erinnerten die Bush-Versuche, unbedingt irakische Massenvernichtungswaffen zu finden, nicht an den fingierten Tonkin-Zwischenfall, mit dem das Pentagon im August 1964 die Ausweitung der Kampfzone in Vietnam begründete? Damals war der US-Zerstörer Maddox angeblich von nordvietnamesischen Torpedos angegriffen worden, was aber von US-Geheimdienstlern frei erfunden war. Präsident Johnson hatte damit den erwünschten Vorwand für weitgehende Vollmachten zur Bombardierung Nordvietnams - eine offene Kriegserklärung.

Rückblickend auf seine Vietnam-Erfahrungen und angesichts der gesuchten Kriegsvorwände der Bush-Regierung beklagte der Kriegsgegner und "Pentagon Papers"-Enthüller Daniel Ellsberg schon 2002 - also noch vor dem Irak-Krieg - in seinem faszinierenden Buch "Secrets" den seit Nixon, Johnson und Bush weit verbreiteten "Anti-Learning"-Mechanismus sowie ein fehlendes Geschichtsbewusstsein auf allen institutionellen Ebenen. Das Vietnam-Fiasko führte Ellsberg damals auch auf die Bunker-Mentalität und Geheimniskrämerei der US-Entscheidungsträger zurück, die sich am eigenen Wunschdenken orientierten und auf Lügen und Vertuschungsmanöver zurückgriffen. "Man muß doch kein Ichthyologe (Fischkundler) sein, um zu begreifen, dass der Fisch vom Kopf her stinkt", lautete sein deprimierendes Fazit. McClellan hat diese kritisierte Analyse-Aversion und ein autosuggestives Wunschdenken auch bei Präsident Bush diagnostiziert. Er nennt es "Gut Feeling": Aus dem Bauch heraus trifft Bush ganz spontan politische Entscheidungen von großer Tragweite. Mit der Formel "Instinkt statt Intellekt" hat es McClellan selbst auf den Punkt gebracht. Nichts sehen, nichts hören, nichts dazu lernen, was das eigene Wunschdenken oder Vorurteil in Frage stellen könnte - an dieser Bush-Devise hat sich bis heute nichts geändert.

Als stolzes "Mitglied eines großartigen Teams" verharrte McClellan trotz all der Pleiten, Pannen und Täuschungen auch zu Beginn der zweiten Bush-Amtszeit in seiner bewundernden Groupie-Haltung und suggerierte sich weiterhin, einen Visionär im Weißen Haus zu haben. Im Gegensatz zu den kleinkrämerhaften "Mikro-Managern", den Vorgängern Johnson und Carter, würde Bush "die großen Ziele im Auge behalten und an mehreren Fronten gleichzeitig erfolgreich sein". Und wenn McClellan schließlich doch einsehen muss, einer intriganten, machtgierigen Clique auf den Leim gegangen zu sein, dann führt er dies darauf zurück, dass "gute Leute Opfer des destruktiven Umfeldes in Washington" wurden. Nein, dieser Mann ist wahrlich kein Judas - eher ein verträumtes Sektenmitglied, das seinen Guru zu spät als Scharlatan erkennt.

McClellan erklärt in seinem Schlusswort allerdings selbst, so distanzlos in die Maschinerie des Weißen Hauses eingespannt gewesen zu sein, dass er sich keine eigene kritische Meinung hätte bilden können. Sein Hinweis auf das Versagen der amerikanischen Medien, die ihrer "Watchdog"-Überwachungs-Funktion im Vorfeld dieses Präventivkrieges nicht gerecht wurden, dürfte allerdings berechtigt sein. Außer dem unbestechlichen Seymour Hersh ("New Yorker"), diesem einsamen Rufer in einer trostlosen amerikanischen Medien-Wüste, stießen die meisten Kolumnisten, Moderatoren und Reporter synchron in das Horn des obersten Kriegers George W. Bush und ließen sich von dessen Terroristen-Phobie einlullen.

Erst spät schwenkten einige US-Medien um auf eine distanziertere Haltung gegenüber dem Weißen Haus. Wenn McClellan sich fragt, was dort eigentlich passiert ist ("What Happened"), dann kann die schlichte Antwort nur lauten: Der falsche Präsident war mit den falschen Beratern zu sehr fixiert auf einen Rachefeldzug, weil sein Vater während des ersten Golfkriegs in Kuwait zu früh den Rückzug antrat und der Sohn wohl unbedingt zeigen wollte, wie man es beim Liquidieren von Diktatoren richtig macht. Und wie man "Leuchttürme der Demokratie und Oasen des Friedens" aufbaut, die dann aus dem Nahen Osten ein Bollwerk der Demokratie machen, das alle Nachbarstaaten erfasst. Nichts davon hat geklappt, auf allen Feldern hat dieser Präsident versagt - aber er trommelt weiter in seinem autosuggestiven Wahn und trauert weiter um die im Irak gefallenen und verletzten GIs, die ohne sein irregeleitetes Sendungsbewusstsein und seinen missionarischen Eifer unversehrt geblieben wären.

McClellans Frust angesichts einer Täuschungskultur, die ganz auf permanente Polarisierung und Diskriminierung politischer Kontrahenten fixiert ist, ist verständlich und glaubwürdig. Schließlich war der Sohn der Bürgermeisterin von Austin schon früh mit den Tricks und Praktiken der US-Parteien vertraut gewesen und hatte von seiner Mutter das Credo einer Politik parteiübergreifender sozialer Gerechtigkeit übernommen. Die während der Clinton-Periode praktizierten Grabenkämpfe, Skandalisierungsstrategien und Verunglimpfungen politischer Gegner hatten ihn zutiefst angewidert. Als junger Uni-Absolvent glaubte er noch an den Bush-Slogan vom "Compassionate Conservatism" und an die vollmundig angekündigten humaneren Umgangsformen gegenüber dem politischen Gegner. Nun musste er im Tollhaus Washington erleben, wie man im Bush-Bunker mit einer geradezu obsessiven Lagermentalität noch gnadenloser polarisierte, Abweichler verunglimpfte und eine perfide Täuschungskultur als Richtlinie politischen Handelns internalisiert hatte. Irritiert musste er auch registrieren, dass sein leuchtendes Vorbild George W. Bush einige fragwürdige biografische Bruchstellen kaschierte. In seinen jugendlichen Sturm-und-Drang-Jahren habe sich Bush auch mal alkoholisiert ans Steuer gesetzt, erfährt der konsternierte McClellan, ob er damals aber auch gekokst habe, daran könne er sich nicht erinnern. O-Ton Bush: "Wir hatten damals einige ganz schön wilde Parties!"

Wenn McClellan in seinem Fazit jedoch für eine Art moralischer Aufrüstung im Weißen Haus plädiert und diverse neue Kontrollposten und Funktionen einrichten möchte, dann dürfte er damit wohl bei allen Betroffenen abblitzen. Denn so leicht lassen sich "Anti-Learning"-Mechanismen und tiefsitzende Verletzungen nach einem polemisch geführten, polarisierenden Wahlkampf nicht beheben. Das Lagerdenken wird weiter gepflegt werden, der Fisch dürfte auch weiterhin vom Kopf her stinken. Und die von McClellan ganz zu Recht verdammte Täuschungskultur wird wohl auch weiterhin im Weißen Haus kultiviert werden. Die Thesen des chinesischen Philosophen und Militärstrategen Sunzi (ca. 500 v. Chr.), der mit raffinierten Täuschungsmanövern seine Gegner überrollte, waren in Washington begeistert auf ein Ambiente fast permanenter Wahlkampf-Konfrontation übertragen worden. Das hatte McClellan zwar von Anfang an gestört, aber als "loyaler Texaner" wollte er diese Praxis nicht torpedieren. Mag sein, dass "Gut-Feeling" und "Instinkt statt Intellekt" demnächst nicht mehr hoch im Kurs stehen und "loyale Texaner" bald zur aussterbenden Spezies gehören. Doch das Umpolen und Umdenken - weg von einer Anti-Learning-Tradition hin zum angestrebten kritisch-analytischen Denken - und zum kommunikativen Diskurs mit Andersdenkenden dürfte nicht gerade zur populärsten Disziplin in Washington gehören.


Titelbild

Scott McClellan: What happened. Inside the Bush White House and Washington´s culture of deception.
Public Affairs, Jackson 2008.
400 Seiten,
ISBN-13: 9781586485566

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