Zwischen Anziehung und Abscheu

Klaus von Beyme erörtert in "Die Faszination des Exotischen" Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bild des Indianers im Bewusstsein der Bewohner des nordamerikanischen und europäischen Kontinents als 'edler Wilder' einerseits und 'böser Wilder' andererseits. Afrikaner in der Kunst der frühen Neuzeit, abgebildet als Sklaven oder als Naturwesen, die dem Ursprünglichen entspringen. Stereotypen vom geschichts- und zivilisationslosen, irrationalen Orientalen und der mit großer erotischer Anziehungskraft ausgestatteten, sinnlichen Orientalin, die womöglich noch im Harem anzufinden ist.

Dies sind nur ein paar Beispiele aus Klaus von Beymes Studie "Die Faszination des Exotischen" aus dem Jahr 2008. In diesem Werk geht von Beyme der Anziehungskraft des Exotischen für die europäische Imagination in Kunst, Literatur und Publizistik auf den Grund. Die Faszination des Exotischen (als allgemeiner Begriff) hat eine sehr lange Geschichte. Bereits in der Antike standen 'Fremde', vor allem Afrikaner, Bildhauern Modell und wurden auf unterschiedlichen künstlerischen Artefakten abgebildet. Auch in der christlichen Bildwelt finden sich Spuren des Exotischen. Dass der Umgang mit dem 'Fremden' und die Faszination für das Exotische dabei ganz verschiedene Intensitätsgrade in den unterschiedlichen historischen Phasen annahm, wird in von Beymes ausführlichen Betrachtungen der jeweiligen Epochen deutlich.

So herrschte in der Antike eine sehr stark ausgeprägte Ambivalenz zwischen einer Begeisterung für das Exotische und dessen Ablehnung, die vielfach auf bestehenden stereotypen Bildern des 'Fremden' basierte. In künstlerischen Ausformungen zeigt sich dies besonders stark in der Abbildung des 'Fremden' anhand von gewissen 'Mustern', die je nach kulturellem Kollektiv und Volk angewandt wurden. In der Neuzeit kam es zu einer Individualisierung der Kunst und es kamen Porträts in Mode, was sich in zahlreichen Darstellungen von Afrikanern und Orientalen in Gemälden von Albrecht Dürer, Diego Velázquez sowie der flämischen Porträtmaler Peter Paul Rubens und Rembrandt - um nur einige zu nennen - zeigt. Im Absolutismus waren die wechselnden Moden der Chinoiserien, des Japonismus und des Orientalismus zu beobachten, die durch ihren Einfluss auch die Kunst der damaligen Zeit erheblich beeinflussten. In den zu jener Zeit populären Reiseberichten, die geschickt Realität und Fiktion mischten, ob nun Charles de Montesquieus "Lettres persanes" (1721) oder Jonathan Swifts "Gullivers Reisen" (1726), wird ein Kulturkontakt zwischen europäischen Reisenden und außereuropäischen Völkern geschildert. Im Zeitalter des Imperialismus mussten Stereotype über den 'Fremden' zur Konstruktion und Aufrechterhaltung der eigenen nationalen Identität und zu machtorientierten Zwecken der an der Bildung eines Imperiums interessierten Eliten herhalten. Besonders die imperialistischen Unternehmungen der Franzosen unter Napoleon in Nordafrika stehen in diesem Abschnitt im Mittelpunkt. Die Orientalen wurden nun als kriegerische, aufmüpfige, unbezähmbare Menschen dargestellt, während die Orientalinnen ihrerseits vor allem unter erotischen Gesichtspunkten als Inbegriff der schönen, sinnlichen, zu allen sexuellen Handlungen bereiten Frau - ganz im Gegensatz zur keuschen, unantastbaren Europäerin - betrachtet wurden. In der klassischen Moderne wurde das 'Fremde' sehr kritisch aufgefasst und es stand nicht das Verständnis außereuropäischer Völker und Kulturen im Zentrum, sondern die Suche nach der eigenen Identität und dem Exotischen innerhalb der eigenen Kultur, was zu Ausformungen in Gestalt des Folklorismus, des Archaismus und des Primitivismus führte. Zu dieser Zeit ist wieder eine verstärkte Reiselust einer Vielzahl von europäischen Künstlern nach Afrika und Asien festzustellen, die sich unter anderem in Werken von Paul Gauguin, Henri Matisse, Pablo Picasso und Emil Nolde manifestiert.

Abgeschlossen wird von Beymes Studie mit einem Text über den Umgang mit dem Exotismus in der postmodernen Welt und Kunst. Diese werden durch eine political correctness gekennzeichnet, "die Verständnis für jede von der europäischen Norm abweichenden Kultur entwickelt". Im Mittelpunkt stehe nun das im Zuge des Postkolonialismus und Multikulturalismus entstandene Bewusstsein einer hybriden, kreolisierten Kultur und Kunst, in der für Hierarchisierungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen sowie für Partikularismus und Universalismus kein Platz mehr sei. Von Beyme wagt sogar einen Ausblick auf die Beschäftigung mit dem 'Anderen' und 'Fremden' in Kunst und Kultur in den nächsten Jahrzehnten und plädiert dafür, "die 'Entfremdung des Nichtwestens' durch eine eigene Kritik des Eurozentrismus zu überwinden und ein neues Selbstverständnis von Formen und Teilnahmebedingungen an einem globalisierten kulturellen Austausch zu gewinnen".

Von Beyme gelingt es in seiner ausführlichen und detailreichen Studie das ambivalente Verhältnis, das gegenüber dem 'Anderen', 'Fremden' und 'Exotischen' bestand und nach wie vor besteht und das immer zwischen Anziehung und Abscheu oszilliert, klar aufzuzeigen. Dabei wird auch die Rolle des 'Fremden' für die Konstruktion und Aufrechterhaltung des 'Eigenen' unterstrichen. Die Fixierung des 'Fremden' in Form von Stereotypen muss immer wieder vorgenommen werden, damit das gewünschte Bild bestehen kann. Überdies wird betont, dass nicht hinter jeder 'unglücklichen' Darstellung des 'Fremden' nur Naivität und mangelnde Unkenntnis über das Gegenüber stecke, sondern dass in vielen Fällen auch purer Rassismus und die Überzeugung einer Minderwertigkeit außereuropäischer Völker ausschlaggebend für die gewählte Darstellung gewesen sei. Nur selten, so der Autor, sei das Exotische frei von 'westlicher' Überheblichkeit behandelt worden, wie in den Gemälden von Dürer oder Velázquez, die afrikanische Männer nicht als Sklaven oder primitive Menschen abbildeten, sondern realitätsgetreue Porträts anfertigten. Die ambivalenten Gefühle gegenüber dem 'Anderen' werden im Kapitel über das Bild von Indianern in der Kunst besonders deutlich. Rund um die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents bestand die Dichotomie vom 'edlen Wilden' und vom 'bösen Wilden'. Diese beiden Formen der Alterität waren schon zu Zeiten Christoph Columbus' auszumachen und werden dem Priester Bartolomé de Las Casas und dem Chronisten des spanischen Hofes, Fernández de Oviedo, zugeschrieben. Während Las Casas gegen die Versklavung und Ausrottung der indianischen Urbevölkerung plädierte und in ihnen einen Teil der Natur und viele christliche Tugenden wie Ehrfürchtigkeit, Monogamie und die Nächstenliebe sah, waren Indianer in den Augen Oviedos nur kriegerische, angriffslustige, grausame, übersexualisierte Wesen, die nicht zivilisierbar waren und somit versklavt werden mussten. Hieraus zeigt sich die Ambivalenz, die dem Exotischen inhärent ist: man fühlt sich zum 'Fremden' hingezogen, allerdings nicht bedingungslos, sondern immer vor dem Hintergrund einer gewissen Angst und Abneigung. Erwähnenswert ist der Umstand, dass auch sexistische Aspekte und Tendenzen innerhalb der Kunst, die oft Hand in Hand mit exotistischen Anschauungen gingen, nicht ausgespart werden, sondern ganz im Gegenteil einen zentralen Platz in von Beymes Studie einnehmen.

Auch kommen eine Vielzahl an ähnlichen Ausdrücken wie Exotismus, Rassismus, Orientalismus, Archaismus, Primitivismus und Folklorismus zur Sprache, was bei mangelnder Kenntnis dieser Begriffe schnell zu Verwirrung führen kann. Dem Autor gelingt es aber, all diese Termini kurz und prägnant zu erklären und sie so voneinander abzugrenzen, dass deutlich wird, dass sie zwar alle zusammen gehören, aber dennoch ganz unterschiedliche Phänomene oder Aspekte bezeichnen. Von Beyme erläutert, wie das Exotische überhaupt ins Bewusstsein der europäischen Gesellschaft geriet und wie infolgedessen das Bild des Exoten mitsamt all seinen Stereotypen als der 'Andere' konstruiert wurde. Zu diesem Zweck werden auch einige Stereotype angeführt, so dass die gängige Meinung über das 'Fremde' ersichtlich wird. Dabei werden auch die jeweiligen Diskurse einbezogen, was das vorliegende Buch nicht zu einer reinen Studie über Kunst, sondern ebenso über Literatur, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und ihre jeweiligen Wertvorstellungen und das alltägliche Leben macht. Die Studie überzeugt sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Auch optisch besticht es durch die vielen Abbildungen von Gemälden, Zeichnungen und Drucken, die in einem Appendix mit allen Details ausgewiesen sind und bei vorhandenem Interesse relativ einfach gefunden werden können. Der emeritierte Politologe Klaus von Beyme liefert mit seiner Studie eine gute Übersicht für verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie die Literaturwissenschaft, die Kulturwissenschaft, die Ethnologie und Kulturanthropologie, verschiedene philologische Richtungen (zum Beispiel Islamwissenschaft, Orientalistik, Afrikanistik, Sinologie oder Japanologie), die Politikwissenschaft, die Kunstgeschichte, aber auch für die Kunst als solche, die aufgrund ihres klaren und erläuternden Stils auch für völlige Laien nachvollziehbar ist.


Titelbild

Klaus von Beyme: Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008.
210 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770546565

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