Too much

Cathi Unsworths Debut "Die Ahnungslose" will von vielem zu viel

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich erstaunlich, dass Krimis von professionellen Schreibern oft hemmungslos überladen sind, insbesondere dann, wenn sie nicht aus der amerikanischen Schule kommen. Dort legt man offensichtlich Wert auf einen klaren und funktionsfähigen Plot, um den herum Handlung, Figuren, Charakterrollen und sonstige Ingredienzen nach Belieben zugefügt werden können, um dem Ganzen genügend Fleisch an die Knochen zu geben. In jedem Fall kommt dabei ein vielleicht nicht sehr originelles, in fast jedem Fall aber funktionsfähiges Gebilde heraus.

Europäische Debutanten bemühen sich hingegen besonders um einen lebensweltlichen Einstieg (was jeder Journalist in seinen ersten professionellen Wochen eingebläut bekommt), originelle Figuren, viel Krimskrams zum Leben der Zentralfiguren (Musik- und Schnapsgeschmack, Kleidungsstile, Liebesverhältnisse und dergleichen), extraordinäre Verbrechen und eine einigermaßen innovative Auflösung. Dabei geraten Plot und Handlung gelegentlich aus dem Blickfeld, werden die Ausstattungen maßlos angehäuft und geraten die Einblicke in die tiefenpsychologischen Begründungen der extremen Verbrechen ein wenig platt (immer sind es die frühkindlichen Schädigungen, Missbräuche und so weiter).

Cathi Unsworths Krimi, die mit ihm, folgt man dem Klappentext des Verlags, das beste englische Romandebüt seit langem vorgelegt hat, zeigt alle diese Schwächen. Nicht genug, dass die Heldin des Romans sich als journalistischer Underdog in der Londoner Medienszene bewegt und dort als Redakteurin eines neuen, hippen Magazins namens "Lux" Furore macht. Sie ist auch noch Single mit Trennungsschäden, als Vierzehnjährige vergewaltigt worden und hatte zu allem Überfluss noch einen seligmachenden One-Night-Stand mit dem Opfer, einem Filregisseur, der zu Beginn (angeblich wie ein Schwein) geschlachtet wird. Das muss am Ende natürlich im Detail geschildert werden, wobei das vorgebliche mörderische Kunstwerk vor allem eine riesengroße Sauerei ist. Außerdem muss Unsworths Heldin noch einen weiteren One-Night-Stand - diesmal entsetzlich und erniedrigend - mit dem psychotischen Mörder haben, den sie als Krimiautor kennenlernt und interviewen will (besonders schlimm: Sie ist für die Krimis in ihrem Magazin zuständig und interviewt die Crème de la crème der englisch-amerikanischen Szene). Natürlich fasst er einigermaßen Vertrauen zu ihr, was sich lohnt, immerhin verschont er sie am Ende, als er sich selbst richtend von der Brücke in den Fluss stürzt (Eine Kombination von Sturz, Ertrinken und Kehle durchschneiden, was ihn nicht notwendig davon abhalten wird, wieder von den Toten aufzuerstehen, falls Unsworth Gefallen an ihm finden sollte). Nebenbei bemerkt: Der Showdown muss selbstverständlich dort platziert werden, wo alles anfing, mehr als 20 Jahre zuvor. Eben too much.

Irritierend ist das nicht zuletzt auch deshalb, weil die Heldin gerade bei ihren eigenen Krimilektüren den vom Bösewicht geschriebenen wegen seiner Geradlinigkeit und Dichte schätzt, während sie das schwatzhafte Elaborat seiner Konkurrenz überhaupt nicht mag. Die Autorin hätte wohl besser auf ihre Heldin hören sollen, könnte man meinen.

Nun, was aber geschieht: Der Starregisseur Jon Jackson wird bestialisch ermordet, in der Nacht, in der er dem Herausgeber von "Lux" ein langes Interview gegeben hat. Diana - so heißt Unsworths Heldin - wird unwissentlich in den gesamten Komplex einbezogen, weil eben einer ihrer Interviewpartner der Mörder ist, was dem geneigten Leser schnell klar wird. Damit hält Unsworth nicht hinter dem Berg.

Allein daraus ergibt sich so etwas wie Spannung, denn Diana ist nicht auf der Suche nach dem Mörder, sondern bemüht sich lediglich darum, ihre Sachen einigermaßen auf die Reihe zu bekommen. Da ist die Chance, den geheimnisvollen Krimi-Newcomer, von dem niemand weiß, woher er kommt, ein weiteres Mal zu sprechen, sehr attraktiv. So gerät sie in seine Fänge, erst für die bewusste Nacht, dann für den Showdown.

Besonders übel nehmen kann man freilich beiden - Unsworth wie ihrer Heldin -, dass das Buch des neuen Krimistars zwar toll zu lesen ist, sie beide aber - jeweils auf ihrer Ebene - vor allem daran interessiert zu sein scheinen, ob das, was da zu lesen ist, authentisch, also wirklich erlebt ist. Diana wird das nach und nach erfahren, und Unsworth teilt es uns gleichfalls mit: Alles das ist erlebt. Ein Schnellkurs in Erzähltheorie hätte hier helfen können, hätte aber der Autorin den Plot zerschlagen.

So tauchen wir denn in die frühkindlichen Schädigungen des Mörders ein, der der Sohn einer sich prostituierenden Alkoholikerin ist, die ihre Kinder vernachlässigt, von denen der Älteste die anderen missbraucht, bis dass sich der Jüngere grausam an ihm rächt. Das spätere Opfer lernt er in dieser Zeit kennen, und erfährt mit ihm überhaupt so etwas wie Normalität und was es heißt, in einer anderen, friedlicheren Welt zu leben. Als sich junge Jon allerdings von seinem Freund trennt (er sieht ihn ein Küken zerreißen), nimmt ihm dieser das bitter übel und bleibt ihm für immer gram. Gram genug, um ihn schließlich Jahre und einige Vorfälle später, bestialisch zu ermorden. Das wars. In jedem Fall genug, um mehrere Krimis daraus zu machen.


Titelbild

Cathi Unsworth: Die Ahnungslose. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Katarina Grän.
Distel Verlag, Heilbronn 2008.
343 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783923208821

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