Möglichkeiten

Jenny Siler schreibt in ihrem Thriller "Portugiesische Eröffnung" über das Herstellen von historischen Notwendigkeiten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Einmarsch der Amerikaner und ihrer Verbündeten in den Irak, der wohl nicht die letzte der historischen Entscheidungen der amerikanischen Außenpolitik sein wird, ist - wie heute allgemein bekannt ist - mit fadenscheinigen, wenn nicht gefälschten Argumenten begründet worden. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen der Iraker sind bis heute nicht gefunden, die Verbindungen Iraks zu Al-Qaida, die die zweite Argumentationslinie darstellte, waren schon damals kaum plausibel und wurden bis heute nicht bestätigt. Die Gemengelage von internationalem fundamentalistischen Terrorismus, Kampf der Kulturen, Achsen des Bösen und des Guten, Kriegstreibern und Kriegsmeidern gibt, nach dem Ende des Kalten Krieges, dem neuen Agententhriller genügend Stoff ab, um daraus teils spekulative, teils einigermaßen plausible Geschichten entwickeln zu können, die irgendwie möglich scheinen - vor allem dann, wenn die historischen Hintergründe peinlich genug gewahrt bleiben.

Literatur - und gerade Trivialliteratur - löst damit den Möglichkeitssinn eines Robert Musil sehr viel schneller und radikaler ein, als dies je irgendeine ernsthafte gehobene Literatur könnte, die immer auch unter der Last von Stilinnovation und Reflexionsniveau zu leiden hat. Texte, die mit den großen Vorgängern des 20. Jahrhunderts mithalten wollen, überanstrengen sich gerne und schnell, vor allem dann, wenn ihnen dabei ihr Thema verloren geht.

Trivialautoren haben es da einfacher. Mit ein wenig Schulung geraten ihre Texte immer unterhaltsam, und mit ein wenig Glück auch noch besonders gut. Der Entwurf von "Die sieben Tages des Condor", in dem eine amerikanische Geheimdienstabteilung auch fiktionale Literatur nach Hinweisen auf verdeckte Operationen durchforstet, ist so gesehen nicht einmal ohne Plausibilität. Hier lässt sich vieles finden, was so geschehen sein könnte, ohne dass der Anspruch erhoben wird, dass es so auch geschehen ist. Das ist auch gefährlich, denn wer könnte am Ende sagen, ob ein Agententhriller vor allem unterhalten will oder ob er vielleicht doch ein bisschen der historischen Wahrheit verpflichtet ist. Wir gehen natürlich in der Regel von der Unterhaltung aus, alles andere wäre am Ende doch zu verwirrend.

Jenny Siler folgt der Verlagerung der Thriller-Handlungsorte in den Nahen Osten, die spätestens nach 9/11 an die Stelle der Länder hinter dem Eisernen Vorhang getreten ist. Eine junge Libanesin mit amerikanischem Pass wird von einem CIA-Agenten aufgefordert, nach ihrem ehemaligen Liebhaber zu suchen, da der angeblich in die Vorbereitungen eines Anschlags von enormen Ausmaßen verwickelt ist, größer als der Anschlag auf die amerikanischen Botschaft in Nairobi. Zwar glaubt Nicole Blake nicht daran, dass ihr ehemaliger Geliebter Rahim sich mit islamistischen Fundamentalisten abgibt. Aber seit ihrer Verbindung sind lange Jahre vergangen, und der Druck, den der CIA-Agent auf sie ausübt, ist groß genug, sie auf den Weg nach Lissabon zu bringen.

Mit diesem Schritt wird ein doppelter Handlungs- und Erzählstrang in Gang gesetzt: Die Suche der jungen Frau nach der Wahrheit über die angebliche Anschlagsvorbereitung und über die Anschläge der Vergangenheit, die mehr und mehr auch zur Suche nach ihrer eigenen Identität wird (wer ist ihr wahrer Vater?).

Heraus kommt dabei eine - kaum überraschende - Verwicklung der Strategien und Akteure, die immer in der Perspektive des Irak-Kriegs gesehen werden. Offensichtlich ist eine große Geheimdienst- oder Terroroperation im Gange, die entweder der Legitimation des amerikanischen Einmarsches dient oder einer Attacke auf die Amerikaner und ihre Bündnispartner. Dass dabei die Linien nicht immer klar getrennt werden und die Akteure auf beiden Seiten der Front agieren, ist dabei weniger überraschend. Immerhin ist das guter Agententhrillerbrauch seit Jahrzehnten. Auch dass die grausamsten und verhängnisvollsten Aktionen teilweise vom System selber geplant und durchgeführt werden, weil ihre Agenten der Meinung sind, damit Verhältnisse klarer und Entscheidungen schneller werden zu lassen, ist nicht neu. Was das angeht, entwirft der Thriller ein Gegenszenario zu aktionsorientierten Serien wie "24", in denen die Akteure immer recht haben.

Dennoch ist Silers Entwurf nicht ohne Charme. Denn ihr gelingt es tatsächlich, dem lange darniederliegenden Genre ein paar neue Qualitäten abzugewinnen und das Ganze lesenswert zu gestalten. Die Balance zwischen gegenüber Gehorsam den Genregesetzen und einigen neueren Wendungen wird dabei gewahrt. Es gibt genügend fatale Entscheidungen, Opfer und Täter, wo man sie nicht erwartet, Sympathieträger und Unsympathen, Blut fließt genug, und es entkommen genügend viele Kombattanten, so dass das Ganze nicht als billiges Blutbad daherkommt. Außerdem wird die Situation immer komplizierter und verworrener, je weiter die Handlung voranschreitet - wer sind denn nun die Bösen und wer die Guten?

Am Ende gibt es gar ein Showdown, wie es sich gehört, und unsere Heldin kann entkommen, ohne dass sich damit die ganze Geschichte (und damit ist die gesamte gemeint) in Wohlgefallen auflösen würde.


Titelbild

Jenny Siler: Portugiesische Eröffnung. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
267 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783596177158

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