Die Einbindung von 'gender' und anderen kulturwissenschaftlichen Kategorien

Eine Festschrift für Natascha Würzbach über Geschlechterforschung

Von Christine KanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Kanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ohne den mittlerweile zum Modeetikett gewordenen Begriff "Kulturwissenschaften" kommen derzeit wenig Sammelbände aus. Er bleibt dann nicht selten bloße Worthülse für eine mehr oder weniger interdisziplinär daher kommende Literaturwissenschaft. Ähnlich verhält es sich mit dem Label gender studies, hinter dem sich oft noch eine relativ traditionelle, dennoch immer noch notwendige Arbeit zur Frauenforschung verbirgt. Das ist nicht verwerflich, sondern bedeutet einfach, dass man einen Anspruch verfolgt, der bislang in der hiesigen Wissenschaftspraxis noch nicht so einfach eingelöst werden kann wie zum Beispiel in der US-amerikanischen, wo schwul-lesbische Emanzipationsbewegungen und eine ästhetisch-experimentelle, mit Geschlechtsidentitäten spielende Campkultur zum Alltag gehören. Zudem kann die US-amerikanische Wissenschaft, im Gegensatz zur deutschsprachigen, auf eine ausdifferenzierte Tradition von cultural studies zurückblicken.

Einer solchen Diskrepanz zwischen Aufschrift und Inhalt geht die vorliegende Festschrift von vornherein aus dem Weg: Der Untertitel teilt explizit mit, dass sie literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschlechterforschung enthält. Erstellt wurde sie zu Ehren Natascha Würzbachs, jener Anglistin also, die sich Zeit ihres Lebens stark gemacht hat für women's und gender studies. Unter ihrer Federführung wurde in Köln beispielsweise eine der ersten Datenbanken für Frauen- und Geschlechterforschung eingerichtet. Diese Datenbank ist inzwischen zu einem wichtigen Hilfsmittel für die Recherche von Forschungsliteratur im Bereich der gender studies avanciert. Unter dem Namen GenderINN ist sie mittlerweile auch im Internet vertreten. Einfach mal Anklicken lohnt sich! [http://www.uni-koeln.de/phil-fak/englisch/datenbank]

Eindeutig an den Schwerpunkten der gegenwärtigen Kulturwissenschaften orientiert sind zumindest die Kapitelüberschriften, nach denen die Beiträge eingeteilt sind: "Gender und kulturelles Zeichen", "Konstruktionen des Männlichen und Weiblichen in Literatur und Kultur", "Vielstimmigkeit und Ambiguität weiblicher Schreibweisen", "Gender und die Interpretation männlicher Literatur" und "Die weibliche Vermittlung literarischer Kultur". Allerdings enttäuscht, dass die Auswahl und die Anordnung der Aufsätze oder gar deren theoretische und inhaltliche Ausrichtung weder in einem Vorwort, noch in einem Nachwort erläutert werden. Die Vorbemerkungen der Herausgeber Andrea Gutenberg und Ralf Schneider sind eher dem Dank an die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bands und natürlich vor allem der Ehrung Natascha Würzbachs geschuldet.

Freilich ist eine komplexe Einführung zu 25 höchst divergenten Beiträgen auch äußerst schwierig zu bewerkstelligen. Denn die hier bearbeiteten Themen reichen von "Rollenzuschreibungen im traditionellen Volkslied" (Otto Holzapfel) oder "Darstellungen der Therese Giese" (Hedwig Müller) oder "Türkenbild im Bänkelsang des 19. Jahrhunderts" (Tom Cheesman) bis "Zum Dopplungskonzept in der feministischen Literaturwissenschaft" (Andrea Gutenberg) oder "Literarische Strategien zur Dekonstruktion des biologischen Geschlechts" (Susanne Webel) oder "Geschlechterklischees in der Werbung" (Siegfried J. Schmidt u. Guido Zurstiege).

Inhaltlich wird also - kulturwissenschaftlich und political correct - die Analysekategorie gender ebenso präsentiert wie zumindest die Kategorie 'Ethnizität'. Zudem wird den verschiedenen Medien, wenn auch meist nur am Rande, Rechnung getragen. Der Band ist selbstverständlich gattungsübergreifend angelegt: Die Ballade wird ebenso behandelt wie der Roman oder der Witz. Kaum, höchstens in einzelnen Beiträgen am Rande, werden allerdings kulturwissenschaftliche Theoreme oder die Rolle, Aufgabe und Funktion der Analysekategorie 'gender' in den Kulturwissenschaften reflektiert. Eine methodische Einführung in die Kulturwissenschaften oder gar eine Weiterführung kulturwissenschaftlicher Ansätze also darf man von diesem Band nicht erwarten. Eher eine Anwendung theoretischer Einsichten literatur- und kulturwissenschaftlicher gender studies - und zahlreiche Anregungen zu innovativen Fragestellungen.

Das große Thema der Münchner Anglistin und langjährigen Leiterin des Graduiertenkollegs "Geschlechterdifferenz & Literatur" Ina Schabert ist beispielsweise die Analyse der Verquickung von Nationenkonzepten (England, Italien) mit Genderkonstruktionen in literarischen Texten des frühen 19. Jahrhunderts (z.B. de Staels "Corinne"). Insbesondere interessiert sie hier die Differenz von Eros als dem Verlangen nach Wahrheit, und Erotik als dem Begehren nach dem anderen Menschen in der Verknüpfung mit gender. Besonders gewinnbringend für die gender studies ist ihr Nachdenken über die Verflechtung von weiblichem Genie, weiblicher Kreativität und Autonomie im Verhältnis zu Liebe, Eros, Ehe und Mütterlichkeit. Selten wurden beide Konzepte je miteinander kombiniert, vielleicht gerade mal als schöne Utopie imaginiert. Allerhöchstens von solchen selbst schon ungewöhnlichen Frauen wie Madame de Stael wurde versucht, eine literarische Figur wie Corinne zu konzipieren. Corinne ist eine der wenigen literarischen Frauenfiguren, in der Eros und Erotik eine harmonische Verbindung eingehen, und die dies auch in eine glückliche Partnerschaft hineintragen kann. Für eine gewisse Zeit wird Corinne Teil eines idealen Paares - fast so wie Beatrice auf Giovanni di Paolos Bild "Dante und Beatrice im Paradiso", auf dem das idealtypische Liebespaar, das in einer egalitären Geschlechterbeziehung unter dem Zeichen von Eros und Erotik vereint ist, gemeinsam der göttlichen Sonne zustrebt. Aber auch de Staels Corinne scheitert letztlich daran, den Eros in eine bürgerliche Ehe integrieren zu wollen. Sie wird verlassen - zugunsten einer konventionellen Frau. Die Konditionen, Implikationen und Konsequenzen reflektierter weiblicher Autorschaft in Romanen von Frauen sind bisher kaum untersucht worden. Noch seltener wurden dabei die Differenzkategorien Nation und gender zusammengedacht. Bei Schabert sind es England und Italien, die die polaren Geschlechtsidentitäten spiegeln, wobei Corinne als Halbitalienerin und Halbengländerin eben die Chance einer Überwindung der Grenzen verkörpert: "Am Ende des Romans hat das 'englische' Patriarchat sich faktisch behauptet; der 'italienische' weibliche Enthusiasmus aber hat seine geistige Überlegenheit und seine moralische Großzügigkeit ebenso eindeutig bewiesen."

Streng gesehen ist der Beitrag von Ina Schabert ein rein literaturwissenschaftlicher, da sie weder andere Medien in ihre Überlegungen mit einbezieht, noch sich ihrem Thema interdisziplinär nähert. Intermedialität und Interdisziplinarität spielen auch in dem zwar materialreichen, theoretisch aber etwas naiv anmutenden Beitrag von Helmut Bonheim über die Geschlechterdifferenz von Emotionen keine Rolle. Die kulturwissenschaftliche Einsicht, dass Emotionen genau wie Geschlechter soziale Konstrukte sind, versucht er anhand zahlreicher, oft trivial anmutender Beispiele, doch unter Ignorierung sämtlicher bisheriger Forschungsansätze zu diesem Thema zu verdeutlichen. Dabei wird vor allem eines bestätigt: Emotionen und Sprache sind nicht voneinander zu trennen. Benannt und kategorisiert werden können emotive Erregungen nur dann, wenn man auch Worte für sie hat, sie also rationalisieren kann. Beispiele aus anderen Kulturen sollen bei Bonheim das vom kulturwissenschaftlichen Anspruch eingeforderte multikulturelle Ambiente vermitteln.

Einer der Beiträge in diesem Buch, der den hehren Zielen der Kulturwissenschaften mit am nächsten kommt, ist wohl der Gisela Eckers über den "Körper als Zeichen in Texten jüdisch-amerikanischer Autorinnen". Neben der Kategorie der Ethnizität ist es auch die Kategorie der 'sexuellen Präferenz', die sie zu Reflexionen über die Differenzen in der Geschlechterdifferenz veranlasst. Ihr geht es in dem Aufsatz auch um die Verknüpfung von Homosexualität mit dem Judentum. Indem sie ethnologische und psychoanalytische Fragestellungen in ihre Überlegungen mit einbezieht, wagt sie sich am tiefsten in das weite Feld der Interdisziplinarität vor.

Insgesamt fällt bei der Lektüre dieses facettenreichen Sammelbandes auf, dass in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft immer noch gründliche Systematisierungen und Eingrenzungen im Streit um die Etikettierungen "Literaturwissenschaft" und "Kulturwissenschaften" fehlen. Sie sind dringend notwendig, soll der Begriff "Kulturwissenschaften" nicht immer mehr zum bloßen Modelabel verkommen. Zwar haben die Herausgeber das Buch in größtmöglicher Offenheit betitelt, aber sie haben wenig zur anstehenden Differenzierung der Benennungen beigetragen.

Titelbild

Gender-Cultur-Poetic: Zur Geschlechterforschung in der Kultur- und Literaturwissenschaft.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
520 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 315009772X

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