Pathosfreier Erzählton

Christiane Rösingers Debütroman "Das schöne Leben" erzählt vom schwäbischen Kuchenfundamentalismus und den Tücken des Berliner Alltags

Von Thomas BlumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Blum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben derer, die als Teil- oder Vollzeitbohemiens und Angehörige des so genannten Kulturprekariats (was für ein hässliches Wort) in der Großstadt vor sich hinwurschteln, zuweilen eifrig, manchmal lethargisch, ist seit je eines ihrer Lieblingsthemen. Als Gründerin der Lassie Singers, Sängerin, Texterin und Gitarristin der Band Britta und umtriebige Clubgängerin weiß Christiane Rösinger, von welchem Milieu sie spricht. Sie selbst gehört seit den 1980er-Jahren zu eben jener Westberliner Subkulturszene, die den Hedonismus eines ausschweifenden Nachtlebens gleichermaßen mit einem gesellschaftskritischen Bewusstsein wie mit lakonischem Humor verbindet. Nicht ohne Grund stammt von ihr der treffende Begriff der "Ausgehgesellschaft". Spät aufstehen, lustige Sachen erleben, "manchmal auch gar nichts", und möglichst nicht ins Bett.Doch das war nicht immer so. Im ersten Teil ihres Buches erzählt Rösinger von ihrer Kindheit und Jugend in der tristen katholisch-süddeutschen Provinz. Mit liebevollem Blick zurück berichtet sie etwa vom elterlichen "Sparwahn", vom "Kuchenfundamentalismus" und anderen schwäbischen Eigenarten: "Die zu betreuenden Gräber auf dem Friedhof glichen den Ausstellungsbeeten der Landesgartenschau." Kein Zweifel: Die Frau hat dort gelebt.So werden dem Leser zwei zunächst unvereinbar scheinende Parallelwelten vor Augen geführt: Mit derselben Detailtreue, mit der sie Episoden vom skurrilen Kleinbürgerwahnsinn ihres badischen Heimatdorfs erzählt, schildert sie die Tücken und Beschwerlichkeiten des Berliner Alltags einer älter werdenden armen Poetin und abgeklärten "Ausgehspezialistin". In der Berliner "taz" schreibt sie passenderweise für die Rubrik "Ausgehen und Rumstehen" regelmäßig launige Kolumnen.

Auch in ihrem autobiografischen Debütroman, mit dem sie nun eine Art Berliner Gegenstück zu Rocko Schamonis "Dorfpunks" verfasst hat, herrscht der fortwährend zwischen Gelassenheit, melancholischem Humor und heiterer Resignation schwankende und vollkommen pathosfreie Erzählton, den man aus ihren Glossen kennt. Das ist schön. Und manchmal sehr komisch: "Gerade im Sommer kam in Berlin ein fast mediterranes Lebensgefühl auf, wenn sich benachbarte Alkoholikerinnen aus den Fenstern ein liebevolles ,Halt's Maul, du blöde Votze!' zuriefen."


Titelbild

Christiane Rösinger: Das schöne Leben.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
202 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783596175956

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