Der allerletzte Mohikaner

Über Alain Badious "Dritter Entwurf eines Manifestes für den Affirmationismus"

Von Michael MayerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Mayer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht ist es manchmal tatsächlich vor allem eine Frage des Stils, in dem einer spricht oder schreibt - genauer des Zungenschlags, der rhetorischen Gebärde, mit der er sich selbst präsentiert; der Herablassung, ja Missachtung, mit der er andere en passant abstraft. Wer Texte des französischen Philosophen Alain Badiou liest, wird von Anfang an den Eindruck nicht los, dass eine gewisse Gefallsucht selbst die Gedanken noch zu verderben droht, die des Nachdenkens lohnen könnten. Sicher, ein gerüttelt Maß an Selbstverliebtheit gehört zum Handwerk jedes Schreiberlings, erst recht des philosophischen. Aber muss sie sich so aufdringlich in Szene setzen? Muss die gespreizte Koketterie mit der behaupteten Exzeptionalität so weit getrieben werden, bis der Überdruss alsbald die Lektüre vergällt? Muss einem mit jeder Zeile eingebläut werden, man habe hier den letzten Mohikaner des okzidentalen Denkens vor Augen, dessen Einlassungen die versammelten Stammesbrüder und -schwestern allenfalls mit wohlwollendem Grummeln zu quittieren hätten?

Nein, unter den Scheffel stellt Badiou sein Licht nicht. Auch wenn der unlängst beim Merve Verlag erschienene "Dritte Entwurf eines Manifests des Affirmationismus" gegenüber dem Band "Kleines Handbuch zur In-Ästhetik" (2000) kunstphilosophisch mit nichts wesentlich Neuem aufwartet, ist es doch exemplarisch für die Art seines Denkens überhaupt wie für seine Vorstellungen von Kunst im Besonderen. Schon in "Das Sein und das Ereignis" (2005), seinem Hauptwerk, hatte er sie neben Wissenschaft, Politik und Liebe als eine eigenständige Wahrheitsprozedur ausgewiesen. Gegenüber der Philosophie zeigt sich Kunst somit als ebenbürtig, ihr weder unter- noch übergeordnet, sondern in einem komplexen Verhältnis der Interaktion einbegriffen.

Das ist als Erkenntnis so taufrisch auch nicht mehr. Badiou aber deduziert aus dieser Setzung drei traditionelle Dispositive, die sich von seiner eigenen Verhältnisbestimmung zwischen Kunst und Philosophie signifikant unterscheiden sollen: erstens das "didaktische Dispositiv", bei dem die künstlerische Praxis einer externen (philosophischen oder politischen) Idee unterworfen wird; zweitens das "klassische Dispositiv", das Kunst dem Regime der Gefälligkeit und des guten Geschmacks ausliefert; drittens endlich das "romantische Dispositiv", bei dem Kunst zum letzten Residuum der Idee und des Wahren stilisiert wird, dem sich noch die Philosophie unterzuordnen habe.

Vor allem wider Letzteres ficht Badiou mit Verve und Eifer, restaurierte es sich zuletzt doch in Gestalt der vielgescholtenen Postmoderne (der Kunst wie der Philosophie), der er den Hang zum Individualismus, zum Spektakel subjektiver Begierden und Fantasmen sowie zur Zurschaustellung bloßer Partikularismen vorrechnet. Vielleicht nicht ganz zu unrecht. Wenn man nur wüsste, wen und was genau Badiou im Auge hätte? Dass er - wie so oft - in seiner nervösen Polemik Ross und Reiter zu nennen schuldig bleibt, verleiht seiner Philippika aber den unangenehmen Geruch einer flächendeckenden Diffamierung. Die Denuancierung indes hat Methode, ihr Zweck ist ein strategischer: Erst vor diesem Hintergrund erstrahlt das Konterfei Alain Badious im hellsten Glanze. Erst vor der Kontrastfolie der historisch wie systematisch erschöpften Dispositive, so der Wunsch und Wille des Autors, gewinnt sein Alternativkonzept die Gloriole randscharfer Kontur.

Es ist die des "Affirmationismus". Er setzt sich zuerst von der Figur einer im bloß Negativen verharrenden Kritik ab, der Kultur-, Zivilisations- wie Gesellschaftskritik, deren Wortführer sich mit den demonstrativ beklagten Verhältnissen längst arrangiert haben. Zweitens zeichnet sich Badious Affirmationismus durch ein ebenso komplexes wie faszinierendes Wechselverhältnis zwischen Singularität und Universalität aus. Affirmation wäre die Operation, die gerade im Durchgang durch das festgehaltene Singuläre das Universelle freilegt. Dieses Universelle - zuletzt etwa in seiner Studie zu Paulus. "Die Begründung des Universalismus" (2002) bearbeitet - und damit die Möglichkeit einer universell ausgerichteten Politik charakterisiert eines der wesentlichen Anliegen Badious. Drittens steht die Affirmation im Kontext des "Ereignisses" als eines Vorfalls, der zuvor nicht möglich war und also weder erwartet oder herbeigezwungen werden konnte. Das Ereignis - anders gesagt - ist das "Neue" selbst; das, was nicht aus der bloßen Rekombination gegebener Schemata resultiert. Und viertens ist die Affirmation von einer bloßen Bejahung genau dadurch unterschieden, dass sie das, was sie affirmiert, verändert. Die Affirmation beschreibt in diesem Sinne eine praktische, genuin politische Bewegung.

Darüber könnte und sollte man vielleicht auch weiter nachdenken. Was indessen durch mehrerlei erschwert wird: Der Begriff krankt an seiner Abstraktheit im schlechten Sinne. Ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit Kunst, vor allem der bildenden, scheitert Badiou daran, sein Konzept am ästhetischen Material durchzuarbeiten. Der Begriff des Affirmationismus wirkt wie aufgepfropft, ein leeres Etikett, so viel-, so nichtssagend wie ein Werbeslogan in eigener Sache. Die vertane Chance kompensiert er durch eine kurzatmige Pathetik, mit der er seine künstlerischen Favoriten nominiert: "Es gibt die großen Affirmationisten, die Besten, die nicht zu wissen brauchten, dass sie das waren: ... Pessoa ... Picasso ... Schönberg ... Brecht ... Celan ... Webern ... Kandinsky ... Pollock" und so weiter und so weiter. Das ist ebenso peinlich wie die genannten Namen vorhersehbar sind. Zur dringlichen Präzisierung taugt all das, was Badiou hier schwatzt, nicht.

Das muss natürlich den Gedanken an sich nicht schon diskreditieren, zumal Badiou die Abstraktheit seines Konzepts einräumt. Schwerer jedoch wiegt die völlige Verdrängung philosophischer Wahlverwandtschaften, in denen das Motiv des Affirmationismus schon vor Badiou keimte. Da muss der altbackene Vitalismusvorwurf gegen Friedrich Nietzsche einmal mehr aus der Mottenkiste geholt werden, um dessen Versuch zum "Ja" erst gar nicht in die Nähe zu dem Badious zu rücken. Von Georges Bataille oder Jacques Derrida ganz zu schweigen, deren Denken als eine grandiose Meditation zur Affirmation gelesen werden kann. Auch Jean-François Lyotards "Affirmative Ästhetik", auf deren Scheitern sein gesamtes Spätwerk reagiert, wäre als Ausbund der "Postmoderne" per se schon erledigt. Und Gilles Deleuze, auf dessen Fußnote in seinem letzten Buch "Was ist Philosophie?" (Zusammen mit Félix Guattari, 1996) Badiou so stolz war? Mit welchem Einsatz und mit welcher Finesse man diesen "Affirmationisten" verfehlen kann, demonstrierte er vor einiger Zeit schlagend in "Deleuze. Das Geschrei des Seins" (2003). Indem er Deleuze als Metaphysiker aus altem Schrot und Korn skizzierte, verspielte er hier wie andernorts die Chance, dessen radikale Bejahung mit seinem Begriff des Affirmationismus sinnvoll abzugleichen. Und genau das ist mehr als nur ein akademisches Versäumnis. Genau das beschädigt ihn.

Alain Badiou schießt gerne auf Pappkameraden - und ist da nicht der einzige. Aber keiner zielt so gekonnt an ihnen vorbei. Nietzsche warnte einmal vor der Verwechslung des "heiligen Ja" mit dem "I-A" des Esels. Beides klinge doch so ähnlich. Nur ist das eine Geschrei, das andere die große Verwandlung selbst. Der "dernier cri" aus Paris, als den sich Badiou nur zu gerne preist, ist vielleicht auch nur eine Eselei.


Titelbild

Alain Badiou: Dritter Entwurf eines Manifestes für den Affirmationismus.
Herausgegeben von Frank R. Ruda und Jan Völker.
Merve Verlag, Berlin 2008.
54 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-13: 9783883962375

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