Überblick verschafft Einblicke

Christina Kallas' "Kreatives Drehbuchschreiben" schlägt einen spielerischen Umgang mit Regeln vor, die man kennen sollte

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Lektüre vieler Drehbuch-Ratgeber können eine verwirrende und ermüdende Wirkung auf den interessierten Leser haben. Vielleicht liegt dies vor allem an der Mischung aus Demut vor dem Drei-Akt-Modell Aristotelischer Prägung bei gleichzeitig deutlich wahrnehmbaren Stolz über den vermeintlichen Besitz der einzigartigen Nuance, die das jeweilige Werk über den Rest der Publikationen erheben soll. In jedem Fall freut man sich über eine Publikation wie diese, die erst einmal einen profunden Überblick über das weite Feld der Drehbuchtheorie gibt, statt Heilsversprechen zu liefern - auch wenn dies nur den ersten Teil dieses Buches ausmacht. Der Vergleich der Ansätze von Drehbuch-Gurus wie Robert McKee und Syd Field mit eher unbekannten Exoten wie den ,Nichtaristotelisten' Jean Claude Carrière oder Peter Rabenalt, die statt der linearen Akt-Struktur einer "gewunden und endlos[en], ununterbrochen bereichert[en], ununterbrochen umgeformt[en]" Erzählform anhängen, die Kontextualisierung der unterschiedlichen Drehbuchtheoreme mit den Konzepten ,klassischer' Dramentheorien von Friedrich Schiller, Gustav Freytag oder Bertolt Brecht und schließlich nicht zuletzt auch die Gegenüberstellung von Aristoteles' Poetik mit den Ausführungen Platons zur Dichtkunst machen den Vorzug von Kallas' Werk offenkundig.

Weder tritt die angesprochene seltsame demütige Dünkelhaftigkeit vieler Handbuch-Autoren zu Tage, noch zeugen die Darlegungen der Autorin, die wissenschaftliche Objektivität und Gründlichkeit mit pointierter Knappheit elegant verbindenden, von der Borniertheit vieler dem Geniekult anheim gefallenen europäischen Autoren und Regisseure, die von den Regeln und Strukturmöglichkeiten einer Gattung erst gar nichts wissen möchten, weil sie von vornherein die Versklavung durch die Kulturindustrie befürchten. Der in Europa häufig anzutreffenden Ablehnung der angeblichen amerikanischen Tradition des verschulten Schreibens, die nur in steriler Normativität enden könne, begegnet Kallas mit dem Hinweis auf die Tradition der literarischen Manifeste und Regelwerke der europäischen Literatur, darunter so explizit nach Erneuerung strebenden Bewegungen wie die des literarischen Surrealismus eines André Breton.

Den Boden für die folgenden, auch weiterhin geglückten Kapitel, die in nur fast klassischer Ratgeber-Attitüde daherkommen, indem sie sich Kunstgriffen und Techniken des Drehbuchschreibens verschreiben, bereitet Kallas' Einsicht, dass es die Geschichte ist, die sich ihre Form suchen muss - und nicht umgekehrt. Um die dafür notwendige Kreativität zu entwickeln, tauchen immer wieder auf den ersten Blick merkwürdige, ,strukturfeindlich' anmutende Sätze auf, die genau zu dem Gegenteil raten, was die klassischen Handbuch-Autoren predigen. Etwa: Um kreativ zu werden, solle man vergessen, was die ursprüngliche Motivation der Geschichte ist. Derartig Provokantes ist natürlich in erster Linie als Gegengewicht zu der geballten Regelhörigkeit des Metiers zu verstehen, die schon so manchem Drehbuchstudenten die Kreativität völlig ausgetrieben hat, wie Kalla aus ihrer Praxis als Dozentin zu berichten weiß. So kann man "Kreatives Drehbuchschreiben" als ein informatives und gelungenes Regelwerk gegen den allzu strikten Umgang mit Regeln auf dem festen Boden eben dieser begreifen, das zu lesen nicht nur für Drehbuchautoren eine Bereicherung darstellt.


Titelbild

Christina Kallas: Kreatives Drehbuchschreiben.
UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2007.
208 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783896696786

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