Kosmisches Roulette ?

Der Astrophysiker Owen Gingerich verteidigt den Schöpfungsglauben

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gelegentlich ist es nötig, inne zu halten und in festgefahrene Debatten die nötige Ordnung zu bringen. Das gilt in der Politik wie auch in der Wissenschaft, insbesondere dann, wenn in Politik und Wissenschaft weltanschauliche Fragen berührt werden, wenn es an das "Eingemachte" menschlicher Selbstvergewisserung geht. Diese Ordnung bringt Owen Gingerich, Astronom und Wissenschaftshistoriker am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, mit "Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen" in die Debatte um Evolution und Schöpfung. Der Text ist aus den "Nobel Lectures" von 2006 entstanden, deren Manuskripte wohl weitgehend unredigiert in das Buch eingegangen sind, anders lassen sich bestimmte Formulierungen ("ich habe einen kleinen Uranwürfel mitgebracht") nicht erklären.

Stets darum bemüht, dass die Leser beziehungsweise Hörerschaft ihm folgen kann, führt Gingerich diese sehr unterhaltsam durch die Weiten des Universums zurück zu dessen Ursprung. Das, was der Autor über die Umstände der Weltentstehung zu sagen hat, erstaunt und zeigt, wie atheismuserschütternd Astrophysik sein kann. Denn wir leben, so Gingerich, in einer von Beginn an derart auf uns zugeschnittenen Welt, dass es schwer fällt, von einer Sinn- und Zwecklosigkeit des Ganzen auszugehen. Gingerichs Wallfahrt durch Raum und Zeit macht Halt an einigen Sanktuarien der Kosmologie, die schon seine berühmten Vorgänger Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler zu demütigem Staunen nötigten: Die Feinabstimmung, die Ordnung, die Harmonie des Universums - Umstände, die das Leben ermöglichen.

Der Autor bringt Ordnung in den Zugang zur Ursprungsfrage der beiden grundverschiedenen Paradigmata, die mit "Evolution" und "Schöpfung" nur unzureichend beschrieben sind, denn die unterstellte Dichotomie von "Schaffen" und "Entwickeln" existiert nicht. Auch das Entwickelte oder sich Entwickelnde kann geschaffen worden sein, auch das Geschaffene kann so geschaffen sein, dass es sich erst durch seine Entwicklung zum eigentlichen Zweck entfaltet. Mit den Worten Gingerichs: "Eine nach Gottes Zielen gestaltete Welt kann auf viele Arten erreicht werden."

Besser ist es da, von einer materialistischen und einer spiritualistischen Deutung des Ursprungs zu sprechen, was Gingerich auch tut, wenn er die Ansätze "Evolutionstheorie" und "Intelligent Design (ID)" gegeneinanderstellt. Glasklar wird dabei nach der Annahme des universellen Prinzips (Zufall vs. Zweck), nach der Art der erforschten Zusammenhänge beim Untersuchungsobjekt (Wirkursachen vs. Zielursachen) und nach der Leitfrage unterschieden: Die materialistischen Evolutionisten fragen ausschließlich nach dem "Wie?" oder sollten sich zumindest darauf beschränken, die schöpfungsgläubigen ID-Vertreter auch nach dem "Warum?".

Dass dieser Unterschied beziehungsweise dessen Bewusstmachung grundlegend ist, wird in Gingerichs Darstellung ebenso deutlich wie die Tatsache, dass die Antworten des einen Ansatzes nicht die Fragen des anderen verstummen lassen. Beide - materialistische Evolutionisten und schöpfungsgläubige ID-Theoretiker - kriegen ihr Fett weg, wenn sie im Hoheitsgebiet des jeweils anderen wildern: "Ich denke, sie [die ID-Theoretiker] vertun sich in der Kategorie, wenn sie anregen, Intelligent Design neben der Evolutionstheorie im Wissenschaftsunterricht zu lehren." Aber auch "Evolution als eine materialistische Philosophie ist Ideologie, und sie als solche darzustellen erhebt sie in den Rang einer Zielursache. Evolutionisten, die die kosmische Teleologie ablehnen, auf ein kosmisches Roulette vertrauen und für die Zweckfreiheit des Universums eintreten, äußern keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen; sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung", von der Gingerich der Ansicht ist, sie sei unbegründet, denn vieles spreche für "intelligent Design" - mit kleinem "i"!

Wer aus der Naturalismuskritik den ID-Vertreter heraushört, muss genau hinhören und auf die Zwischentöne und die feinen Nuancen der intelligenten Schrift achten. Gingerich lässt sich nicht vereinnahmen. Zwar spricht seiner Ansicht nach vieles - auch die erwähnten kosmologischen Befunde, die der Astrophysiker dankenswerter Weise sehr nachvollziehbar erläutert (wie etwa das Gleichgewicht von Expansionsenergie und Bremskraft der Gravitation kurz nach dem Urknall) - für einen Schöpfer und inspirierte Eingriffe in den Lauf von Raum und Zeit, doch folgt daraus für die wissenschaftliche Erforschung in den Grenzen eben jener Fundamentalkategorien der Welt nichts. Denn: "Als Wissenschaftler akzeptiere ich den methodologischen Naturalismus als eine Forschungsstrategie."

Was er hingegen nicht akzeptiert: "Einige der geistreichsten Verteidiger der Evolutionstheorie, wie Richard Dawkins, nutzen ihr Ansehen als wissenschaftliche Wortführer und werben ungehemmt für den Atheismus." Das kann er schon deshalb nicht gutheißen, weil in seinen Augen ein solcher "Übergriff" nur das andere "Extrem" stärke: "Ich denke, er allein verhilft dem Intelligent Design zu mehr Bekehrten als jeder ID-Theoretiker."

Wie wahr! Mit einer Biologie, die mit einer schlechten Metaphysik zur Universallehre umgestaltet wird, bewirkt man statt "Aufklärung" zum Zweck eines wissenschaftlichen Weltdeutungsmonopols das glatte Gegenteil: eine Eskalation der Gegensätze, eine Vertiefung der Gräben. Am Ende stehen links und rechts vom Abgrund zwei Parteien, unfähig zum Austausch. Umso wichtiger, dass Gingerichs Buch beiden die entscheidenden Bemerkungen ruhig und sachlich ins Stammbuch schreibt: ID ist ein "interessanter philosophischer Gedanke", der jedoch nicht "die wissenschaftlichen Erklärungen ersetzt, die die Evolution bietet", deren Interpretationsrahmen wiederum auf Kausalitäten in der Welt beschränkt bleiben muss, weil sie über mögliche Finalität nichts auszusagen vermag. Diese Grenzen sind zu achten, denn es ist falsch, "Evolution als eine Zielursache darzustellen", doch gleichfalls ist es falsch, "Intelligent Design als Ersatz für eine effektive Wirkursache" zu betrachten.

Es kommt vor, dass man dem Autor nach einer gelungenen Passage mit einem lauten "Ja!" beipflichtet und sich das höchste akademische Lob nicht verkneifen kann: "Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?" So einfach und zugleich so tiefgründig hat sich wohl selten jemand mit der Ursprungsfrage befasst wie Owen Gingrich in seinen "Nobel Lectures". Dabei gefällt die Bescheidenheit und der Humor, mit denen er sich den "offenen Fragen" nähert, ein Duktus, den man in der verbissen und hartherzig geführten Auseinandersetzung zwischen den beiden weltanschaulichen Grundrichtungen sonst vermisst. Bei ihm ist kein Platz für Polemik gegen die Person des Andersdenkenden, auch wenn er keinen Hehl macht aus seiner Abneigung gegen die arrogante Art, mit der Atheisten wie Dawkins ihr wissenschaftliches Fach zur letzten Instanz ausbauen und den Ertrag ihrer Forschung zu weltanschaulichen Zwecken missbrauchen wollen.

Dass Owen Gingerich nicht nur Astrophysiker, sondern auch Wissenschaftshistoriker ist, kommt dem Anliegen, über offene Fragen nachzudenken, sehr zugute. Viele kenntnisreiche Exkurse in die Geschichte menschlicher Orientierung in Raum und Zeit erhellen die Fragen, auf die auch Gingerich keine Antwort hat (wenigstens gibt er es zu!), für die er aber Denkanstöße und Antwortmöglichkeiten bereithält. Er zeigt, in welche Richtung es gehen kann, wenn er mit seinem Kollegen John Polkinghorne darin übereinstimmt, dass hinsichtlich der letzten Fragen "der religiöse Glaube mehr erklären kann als der Unglaube".

"Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen" ist das großartige Buch eines Wissenschaftlers, der sauber zwischen dem Wie und dem Warum zu unterscheiden vermag. Es vereint nachvollziehbare Argumentationsketten und unterhaltsame Anekdoten zu einer sehr lesenswerten Annäherung an ein Schlüsselthema unseres Daseins, gibt der zugehörigen Debatte eine klare Struktur und verhilft zu einem differenzierten Umgang mit den disparaten Antworten auf die Ursprungsfrage.


Titelbild

Owen Gingerich: Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Rhiel.
Berlin University Press, Berlin 2008.
147 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940432186

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