Terroristen als Medienprofis

Andreas Elters Studie über die RAF und die Medien

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die medialen Kompetenzen terroristischer Gruppen sind seit dem Aufstieg von Al Qaida in den Vordergrund gerückt, auch die historischer Gruppen wie der RAF, deren Selbstauflösung vor zehn Jahren eine Epoche beendete. Dabei kehren zwei Momente wieder, die bereits in der Frühgeschichte des Verhältnisses zwischen Bundesrepublik und RAF zentral waren: die Größenverhältnisse und die Rolle der Medien.

Im noch jungen Jahr 1972 publizierte Heinrich Böll im "Spiegel" einen Essay, der eine der heftigsten literarisch-politischen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik provozieren sollte: "Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?" Er habe mit diesem Essay versöhnen und vermitteln wollen, erklärt Böll später, habe den RAF-Mitgliedern den Rückweg erleichtern, der Gesellschaft, der Öffentlichkeit, den Medien, den Behörden einen Weg zeigen wollen, wie der Polarisierung und der Verhärtung der Fronten zu begegnen sei. Wenn Böll in seinem literarischen und politischen Leben eines misslungen ist, dann dieser Vermittlungsversuch. Das wundert aus der historischen Distanz nicht, begann Böll doch seinen Essay mit einem heftigen Angriff auf die publizistische Verwertung der RAF durch die Springerpresse und hier vor allem durch die "Bild"-Zeitung. "Das ist nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid, das ist nackter Faschismus. Verhetzung, Lüge, Dreck", warf er der Berichterstattung von "Bild" vor und versuchte im Gegenzug, die Unsinnigkeit einer Mobilmachung der Bundesrepublik gegen die RAF herauszustellen: "Die Bundesrepublik Deutschland hat 60.000.000 Einwohner. Die Gruppe um Meinhof mag zur Zeit ihrer größten Ausdehnung 30 Mitglieder gehabt haben. Das war ein Verhältnis von 1: 2.000.000. Nimmt man an, daß die Gruppe inzwischen auf 6 Mitglieder geschrumpft ist, wird das Verhältnis noch gespenstischer 1: 10.000.000."

Solche Kräfteverhältnisse legitimierten keinesfalls, "den nationalen Notstand auszurufen". Stattdessen forderte Böll von den Medien die Einstellung der "Volksverhetzung" und vom Staat ein Rechtsempfinden, das einem demokratischen Rechtsstaat anstehe, um Ulrike Meinhof und der RAF die Rückkehr aus der Illegalität zu ermöglichen. Die harschen Angriffe auf "Bild", solche Forderung an die Politik und schließlich die Beschreibung des Wegs, den Ulrike Meinhof genommen habe, wurden von der konservativen Presse bereitwillig aufgegriffen und gegen Böll gewendet. Kurz vor der Verhaftung unter anderem von Andreas Baader, Meinhof und Gudrun Ensslin und vor der Verleihung des Literatur-Nobelpreises sah sich Böll als Wegbereiter der RAF und als deren Sympathisant an den Pranger gestellt, wie Wilfried Ahrens in "Quick" titelte: "Die Bölls sind gefährlicher als Baader-Meinhof".

Böll hat sich vielleicht in den Zahlenangaben geirrt. Wie Andreas Elter mit Verweis auf Angaben des Bundeskriminalamts berichtet, hatte die RAF im Herbst 1977 nur zwanzig Mitglieder, und das war so viel wie niemals zuvor oder danach in ihrer Geschichte. Auch ist seine Wortwahl, mit der er seine Medienschelte betreibt, nicht allzu zurückhaltend. Aber mit den Medien attackierte Böll genau jene gesellschaftliche Institution, die nicht weniger als die RAF selbst zu der aufgehetzten Stimmung der Zeit beigetragen hatte.

Das war allerdings 1972 bereits Geschichte und reichte in die Zeit vor Entstehung der RAF zurück. Denn bereits gegenüber der Studentenbewegung zeigte sich der aggressive Tonfall, den die konservativen Medien und die Massenpresse, unter ihr insbesondere die "Bild"-Zeitung, an den Tag legten. Auftretend als Volksstimme, gab sich "Bild" als populistisches Hetzblatt, dem vermeintlich das Wohlergehen von Staat und Gesellschaft, faktisch jedoch vor allem die Attacke gegen den neuen Feind im Untergrund am Herzen lag. Dass sich davon auch die politisch Verantwortlichen anstecken ließen, ist zumindest bemerkenswert. Allerdings - und das ist keineswegs zu vernachlässigen - war die Situation, in die sie durch die RAF gebracht wurden, historisch neu. Eine Gesellschaft auf dem Weg aus der formierten Gesellschaft der fünfziger Jahre in die offene und deregulierte des späten 20. Jahrhunderts sah sich von einer aggressiven Gruppe attackiert, die sie mit dem 1945 untergegangenen Faschismus identifizierte, ihre Repräsentanten angriff und trotz offensichtlich elitärem Habitus als Vorhut einer revolutionären Massenbewegung auftrat. Wie damit umzugehen war, musste erst in bitteren Lektionen studiert werden - und ob die Gesellschaft ausgelernt hat in dieser Sache, ist durchaus zu bezweifeln.

Während ihrer aktiven Zeit hat die RAF allerdings den Kampf mit dem System nicht nur mit Attentaten geführt, sondern - um ihre Ziele erreichen zu können - auch die Massenmedien der Bundesrepublik strategisch instrumentalisiert. In diesem Zusammenhang ist die Medienarbeit der RAF von großem Interesse, nicht vorrangig weil sie besonders innovativ oder leistungsfähig gewesen wäre (da hat sie allerdings ihre "Meriten"), sondern weil hier kongruente Interessen aufeinander stießen: Die RAF instrumentalisierte die Medien, um ihre Propagandaziele erreichen zu können. Sie bot den jeweiligen Medien im Gegenzug dazu eben nicht nur spektakuläre Themen, die sie zur Steigerung von Aufmerksamkeit, Auflage oder zur Besserung ihrer Position im Medienbetrieb nutzen konnten, sondern auch einen Gegenüber, den sie nutzen konnten, um Position zu beziehen.

Gerade der letzte Punkt ist von Bedeutung, da - wie Elter zeigt - die Medien nicht einheitlich agierten, sondern mit unterschiedlichen Positionen und Rollen auftraten. Das Beispiel Böll, der in einem "Spiegel"-Essay gegen "Bild" agitiert, das Thema später in zwei Romanen verarbeitet, von denen schließlich einer von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta verfilmt wurde, zeigt diese Gemengelage in aller Klarheit. "Spiegel", Filmindustrie und Literatur besetzten andere Positionen als Politik und konservative Massenblätter wie "Bild" oder "Quick".

Elters Studie über die "RAF und die Medien" ist nun sichtlich geprägt von dem Willen, das Feld systematisch und grundsätzlich aufzuarbeiten. Das Exempel RAF ist ihm dabei deshalb von Belang, weil die Gruppe die erste gewesen sei, die von den Möglichkeiten der neuen elektronischen Massenmedien Gebrauch gemacht hätten. Damit wird zugleich der Medienbegriff der Studie mitgeliefert, denn Elter bezieht sich - und in der Folge wird das klar - beinahe ausschließlich auf die Medien Presse, Rundfunk und Fernsehen, also auf jene Medien, die als PR-Instrumentarien genutzt werden können und eine möglichst große Zahl an Rezipienten erreichen.

Qualitative Medien wie Zeitschriften, Literatur, Film und bildende Kunst fallen beinahe vollkommen aus seinem Beobachtungshorizont. Ihnen widmet er zwar einen eigenen Abschnitt (im Kapitel III "Die Schatten der RAF" der missverständliche Abschnitt "Die RAF und die Medien"), aber was er dort auf 15 Seiten zu Literatur, Film, Kunst und Popkultur (die ihm hier in die Kunst rutscht,) zu sagen hat, ist nicht wirklich von Gehalt.

Für die Literatur wertet er lediglich einen Aufsatz aus, der drei Phasen und Gruppen benennt (1. Beschäftigung mit den Auswirkungen der staatlichen Terrorismusbekämpfung auf die Gesellschaft, 2. Fokussierung auf Terroristen als Privatpersonen, 3. Romantisierende Rückblicke). Die mittlerweile rege Forschung zur Literatur, die sich mit dem Terror beschäftigt (etwa vom niederländisch-englischen Forscher Gerrit-Jan Berendse) wird ignoriert. Literarische Texte wie die von Christian Geissler oder F.C. Delius, ja sogar von Peter-Jürgen Boock, die die RAF nicht nur aus der Binnensicht, sondern auch politisch (eben nicht nur apologetisch) diskutieren, werden ausgeblendet.

Ähnlich kritisch sind Elters dürftige Bemerkungen zur bildenden Kunst zu sehen, der er - speziell am Beispiel der Berliner Ausstellung "Zur Vorstellung des Terrors" - mangelnde Distanz und zu geringe sachliche Aufarbeitung vorwirft, die eine "echte Annäherung" (was immer das sein mag) unmöglich mache. Die Frage, weshalb bildende Künstler das Bild- und Faszinationsmaterial RAF verarbeiten, ohne die möglicherweise gebotene Minimaldistanz einzuhalten, stellt Elter nicht einmal. Inwieweit die Stilisierung der RAF und ihrer Mitglieder zu Ikonen der Pop-Kultur in ein ähnliches Feld fällt, wird ihm gleichfalls fremd sein. Insofern hätte er auf diesen Themenbereich besser ganz verzichtet.

Bedenkenswert hingegen sind seine Hinweise auf die unterschiedliche inszenatorische Qualität terroristischer Akte der RAF der ersten, zweiten und dritten Phase: Die Akte der zweiten Phase hätten, so Elter, eine zeitliche und strukturelle Ausdehnung, die als Inszenierung ebenso funktional sei wie sie die Berichterstattung gefördert habe. Elter verweist sogar auf die Formel von der "Miniserie", zu der sich die Berichterstattung über eine Flugzeugentführung im Libanon, die die Medien über zwei Wochen beschäftigt habe, ausgeweitet habe. Allerdings gehörten diese Hinweise wohl eher in einen systematisch-strukturellen Teil der Studie, auf den Elter aber verzichtet hat.

Seine Bemühungen um einen systematischen Zugriff lassen ihn eine Begriffsbestimmung vornehmen, die Geschichte der "Propaganda der Tat" skizzieren und der Chronologie der RAF-Geschichte folgen. Das führt dazu, dass er etwa ein Viertel seiner Studie der Begriffsbestimmung ("Was ist Terrorismus?", "Kommunikation und Medien") sowie einem historischen Abriss widmet. Das ist für die Historisierung des Gegentands RAF vielleicht hilfreich, für sein Thema freilich weitgehend irrelevant. Hingegen wären die Fixierung der Konstituenten dieser terroristischen Gruppe, deren Medienverständnis und Zielgruppen wesentlich hilfreicher als ein solcher Generalzugriff. Auch der Hinweis darauf, dass die "Propaganda der Tat", also des öffentlichen terroristischen Aktes einer namentlich benannten Gruppe mit breiter Medienwirkung ein historisches Phänomen ist, weder falsch noch irrelevant - aber gehört er wirklich in eine Studie über die Medienpolitik der RAF, zumindest in dieser Breite?

Elters grundsätzliche Entscheidung, sein Thema chronologisch und nicht analytisch aufzuarbeiten, führt zu seiner Skizze der Geschichte der RAF, in die er die PR-Aktivitäten der Gruppe einbettet, beschreibt (und bewertet) - und nicht umgekehrt. Als Zugriff ist das nicht falsch. Fraglich ist nur, ob ein systematisch-analytisches Vorgehen nicht effizienter gewesen wäre und zu weniger Verwirrung geführt hätte. Die Erkenntnis, dass Elter die Verbindung zwischen RAF und Medien so eng sieht, dass er die Skizze der RAF-Aktivitäten immer auch sogleich als Skizze ihrer Medienaktivitäten versteht, reift beim Leser nur mählich. Das mag die Lektüreanstrengung und damit den Erfolg einer Lektüre verstärken, aber ein bisschen besser bedient möchte man sich dann doch fühlen.

Dabei hat Elter einiges zu bieten (um nicht zu sagen, er macht es sich und uns schwerer als nötig): Die Periodisierung in drei Generationen ist nicht nun Forschungskonsens, sondern als Beschreibungsbasis hilfreich, wie auch die jeweilige Ausrichtung der drei Generationen: Initiierung des revolutionären Prozesses, Orientierung auf die inhaftierte Gründergeneration, Öffnung der Aktivitäten nach deren Tod.

Elters Referate verweisen denn auch auf strukturelle Merkmale der Texte, die kommunikationshistorisch aufschlussreich sind: die Struktur der Bekennerschreiben der zweiten Generation ist derart effizient auf eine schnelle und einfache Informationsvermittlung ausgerichtet, dass sie als Lehrbeispiele in der Ausbildung von PR-Leuten denkbar wären (was vielleicht auch in Hinblick auf die Willfährigkeit von Texten für beliebige Inhalte aufschlussreich wäre).

Auch die Nutzung relativ neuer Medien wie Video und Polaroid zeigt die Fähigkeit der RAF, ihre strukturelle Schwäche (geringe Größe, verdeckte Operation, relativ geringe Ressourcen) in operative Stärke zu wandeln. Allerdings hat sie dabei auch harsche Rückschläge hinnehmen müssen, zumal immer dann, wenn sie das Solidarisierungspotential des linken Spektrums überforderte und glaubte, etwa den Mord an einem amerikanischen Soldaten oder die Präsentation des gefangenen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in ihrem Sinn nutzen zu können. Dass dabei die Akzeptanzschwelle der weitgehend zivil orientierten Linken überschritten wurde, ist nicht zuletzt auch der mangelnden Integration der RAF zuzuschreiben. Weder nutzte die RAF die Medien des linken Spektrums in genügendem Maße, noch hat sie es vermocht, einen "zivilen Arm" aufzubauen wie ETA oder IRA. Das sei, so berichtet Elter, auch von der RAF als einer der basalen Fehler ihrer Geschichte angesehen worden.

Auf ähnlich hohem Niveau sind Elters Hinweise auf die Makrostruktur der Kommunikation zwischen RAF, Öffentlichkeit und staatlichen Institutionen. Sie ist immer auf einen möglichst großen Effekt und insbesondere darauf ausgerichtet, die RAF auf Augenhöhe mit dem System zu etablieren und zugleich ihre Position im anvisierten Unterstützerspektrum zu verankern. Dass sie dabei überhaupt so weit gekommen ist, dass ihre Sicht als plausibel wahrgenommen wurde, ist nicht zuletzt der überzogenen Reaktion der staatlichen Institutionen und der harten Linie der konservativen Massenmedien und einem daraus entstehenden Grundmisstrauen gegen das "Establishment" zuzuschreiben. Das aber hat eben Geschichte und eine Entwicklung, die mindestens bis in die frühen sechziger Jahre zurückreicht. Dass Elter diesen Teil des Themas nicht bearbeitet, ist ein Manko, das sich bis in seine Bewertungen auswirkt. So sind seine Überlegungen zur Rolle des Springer-Konzerns als Kontrahent der RAF (wie zuvor der Studentenbewegung) nicht hinreichend. Dass der Vorwurf gegen die Springer-Zeitungen - wie Elter anlässlich des Todes Benno Ohnesorgs bemerkt - nicht völlig aus der Luft gegriffen gewesen seien, ist als Analyseergebnis zu schwach. Springer hat sich in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren massiv gegen die Öffnung der gesellschaftlichen Ordnung gewandt und sich dabei an den neuen sozialen Bewegungen und schließlich an der RAF abgearbeitet. Inwiefern Elter zudem öffentliche Meinung und mediale Stimmung differenziert, bleibt zudem unklar.


Titelbild

Andreas Elter: Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
287 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125144

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