Am Fuße des Altaigebirges

Galsan Tschinag blickt in seinem Roman "Die Rückkehr" auf sein bewegtes Leben zurück

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Da sind Leute aus meiner Sippe, meinem Volk. Wir nennen uns Dywalar, die Tuwa. Wir lieben beischmückende, in fremden Ohren oft irreführende Wörter. Nennen uns selber oft Tenek Dywalar, die dummen Tuwa. Womit lediglich unsere vielen Schwächen wie unser kleiner Übermut, unsere kleine Eitelkeit, all unsere Menschlichkeit gegenüber allen höheren Wesen zugegeben ist. Es gibt zwar zahlreiche Witze, erzählt von Nachbarvölkern und gemünzt auf uns, aber wir wissen, wir sind nicht schlimmer als andere, so wie wir nicht besser sind als jene."

Liebevoll und mit Nachsicht beschreibt Galsan Tschinag, Schamane und Stammesoberhaupt, in seinem neuen Roman sein turksprachiges Nomadenvolk. Er hat sich vor Jahrzehnten die Bewahrung der archaischen Lebensweise der Tuwa zur Lebensaufgabe gemacht und schildert in seinen Erzählungen und Romanen ihre Sitten und Gebräuche, sowie ihren alltäglichen Überlebenskampf. In seinen Texten - und dies scheint das besonders Eigene an ihnen zu sein - vermischt sich der Realismus des ethnografisch-autobiografischen Erzählens mit Gesängen der oralen Erzähltraditionen der Tuwa, die bis vor kurzem noch keine Schriftlichkeit kannten.

Tschinag erlangte als deutschsprachiger Schriftsteller aus der Mongolei sowohl Ruhm als auch finanzielle Sicherheit. Wenn er nicht auf Lesereisen in Europa unterwegs war, lebte er mit seiner Familie in Ulan Bator und verbrachte jedes Jahr einige Monate mit seiner Sippe im Hohen Altai. Dass diese nach den Zwangsumsiedlungen in den 1960er-Jahren seit 1995 wieder in ihrer angestammten Heimat leben kann, verdankt sie ihrem Häuptling, der die große Karawane in die Heimat ermöglicht und seinen Stamm über 2000 Kilometer zurück in das Altaigebirge geführt hat. Zweifelsohne nimmt die Erfüllung dieses Traums unter den in den Roman eingestreuten Lebenserinnerungen - an die Prüfung, die über die Zulassung zum Studium in Deutschland entschied, das Studium in Leipzig in den 1960er-Jahren, die Begegnung mit dem Dalai Lama 1981 und die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2002 - einen wichtigen Platz ein.

Seinem starken Sendungsbewusstsein entsprang auch die Entscheidung, nicht mehr nur besuchsweise zu seiner Sippe zurückzukehren, sondern auch seinen Lebensabend mit ihr zu verbringen. So befindet sich der Ich-Erzähler zu Beginn des Romans mit seiner Frau und dem jüngsten Enkel auf dem Weg in ein Nomadenleben, das sich seine Lieben nach Jahren sesshaften Lebens nicht so recht vorstellen können. Während der siebenjährige Enkel - in den Augen des Großvaters eigentlich ein "Stadtkind, gewohnt an Dinge, die in rascher Abwechslung das Auge, das Ohr und auch nicht weniger den Gaumen kitzeln" - die für ihn fremde Lebensweise als Abenteuer auffasst, betrachtet Tschinag seine Rückkehr als wohlverdiente Ankunft. Er sehnt sich nach den langen Jahren des Unterwegsseins nach Ruhe und der "Ereignislosigkeit" des Nomadenlebens. Im "Zwischenlager", wo sie von den ehrfürchtigen Gesandten seines Volkes abgeholt werden, plagen ihn aber unerwartet Selbstzweifel, ob er sich als Stammesoberhaupt bewähren wird.

Denn die Außenwelt hat auch bei den Tuwa ihre Spuren hinterlassen. Das nur noch einige hundert Menschen zählende Volk, das auch infolge der Feindschaft seiner beiden Schamaninnen zerstritten ist, kann als kulturelle Minderheit nur überleben, wenn alle an einem Strang ziehen und wenn es sich auch mit den mongolischen und kasachischen Bevölkerungsteilen um ein partnerschaftliches Verhältnis bemüht. Das spirituelle Fest zur Wiederaufrichtung eines heiligen Steinhügels, eines Owoos, soll die Tuwa in ihrer Gemeinschaft auch symbolisch bestärken. "Und wenn es gesehen und gespürt hat, was das heißt, einig zu sein, dann kann es sich wieder verteilen und ein jeder auf seine vertraute, kleine Versteckfalte im riesigen Körper des Altai zuwandern."

Galsan Tschinag gewährt in seiner bisher persönlichsten Geschichte auch in seine Zukunftspläne einen flüchtigen Einblick. Man kann nur hoffen, dass sie sich nicht als willkürliche Eingriffe in das soziale Gefüge und die kulturellen Traditionen entpuppen, sondern, wie im Roman suggeriert, die "abgestandenen" Gewohnheiten des Volkes tatsächlich zum Fließen bringen. Als Garant für positive Entwicklungen dient dem Leser ein Stammesoberhaupt, das, obwohl es die Selbstzerfleischung gerne den Deutschen überlassen würde, nicht müde wird, das eigene Tun auf etwaige Fehler zu überprüfen.


Titelbild

Galsan Tschinag: Die Rückkehr. Roman meines Lebens.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
256 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783458174103

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