Tanz auf Gischtwolken

Tim Winton philosophiert in seinem Surferroman über den "Atem" und die Widrigkeiten des Lebens

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist nicht eben einfach, über das Surfen zu schreiben. Welche Worte könnten es auch beschreiben? Dieses einen völlig einnehmende Gefühl, wenn sich die Welle, auf die man so lange, so geduldig und so sehnsüchtig gewartet hat, erst zu einer senkrechten Wasserwand aufbäumt, um sich dann in gewaltigem Tempo und mit tosendem Gebrüll auf einen zu zu bewegen? Und welche Worte könnten ihn beschreiben, diesen ultimativen Kick, der einen beim waghalsigen Tanz auf den Gischtwolken durchfährt? Gerade weil es in Gefahr ist, spürt der Surfer das Blut in diesen wenigen Sekunden des Lebendigseins und während seines Flirts mit dem Tod in all seinen Adern pulsieren: "Angst zu haben, das beweist, dass du lebendig und wach bist."

Für die Gefühle, die diese ganz spezielle und so einzigartige Kontaktaufnahme mit dem Element Wasser in einem auslöst, scheint es tatsächlich keine Worte zu geben. Man muss das wohl selbst erlebt haben. Tim Winton hat es trotzdem gewagt. Und er brachte durchaus nützliche Voraussetzungen mit. Er ist ein guter Erzähler, der die Worte in ebensolcher Perfektion in seinen Sätzen tanzen lässt wie die Surfer ihre sonnengebräunten Körper auf den Wellen. Dazu ist er auch ein guter Surfer und in "Atem" ist ihm das scheinbar Unmögliche gelungen: Dieses Lebensgefühl, dieser Lebensinhalt, dieser Rausch wird sogar nachfühlbar für all diejenigen, die nie auf einem Brett standen, um den eigenen Körper elegant über die Wellen zu tragen.

Tim Winton ist einer der bekanntesten, erfolgreichsten und wichtigsten Autoren in Australien. Er wird von der Kritik gefeiert und verkauft Bücher in Mengen, von denen viele Schriftsteller nur träumen können. Sein Publikum liebt ihn. Noch bevor er dreißig war, hatte er bereits zehn erfolgreiche Bände veröffentlicht. Trotz seines großen Erfolges ist er hierzulande noch wenig bekannt. Mit "Atem" erscheint erst das dritte Buch in deutscher Übersetzung. Geradlinig, elegant und zügig lässt Winton darin seinen fünfzigjährigen Helden Pikelet zum Erzähler von dessen eigener Jugend in der westaustralischen Kleinstadt Swayer werden.

Pikelet und sein Freund Loonie stillen ihre Gier nach der Gefahr zunächst mit immer tollkühneren Tauchaktionen. Gemeinsam tauchen sie hinab zum Flussbett und halten den Atem an bis sie Sterne sehen. Die magische Anziehungskraft des Wassers lockt sie schließlich zur nahe gelegenen Küste, wo sie beim Buhlen um die Gunst des alternden Surfers Sando bald von Freunden zu Rivalen werden. Das Surfen wird schnell zu ihrer neuen Droge. Sie werden süchtig nach dem täglichen Rausch und nach Sandos Anerkennung. Pikelet und Loonie treiben sich gegenseitig an, über immer größere Wellen zu gleiten. Dabei ist ihre Schlacht mit dem Wasser nur ein Abbild ihres mühsamen Kampfes mit dem Erwachsenwerden und dem Leben an sich. Grenzerfahrungen sind es, die sie suchen und für wenige Sekunden, im Moment des Bezwingens der Welle, auch finden.

Wintons beschreibt das perfekt: Die enormen Mengen an Salzwasser, die Pikelet und Loonie während ihrer zahlreichen, immer todesmutiger werdenden Surfaktionen verschlucken, meint man bald selbst zu schmecken, wenn man sich beim Lesen zwischendurch einmal mit der Zunge über die Lippen fährt.


Titelbild

Tim Winton: Atem.
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Berr.
Luchterhand Literaturverlag, München 2008.
235 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872766

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