Hannah Arendt reloaded

Lothar Fritze bündelt Weiterführungen von Hannah Arendts Thesen

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hannah Arendt gehört zweifellos zu den großen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Nach wie vor übt sie großen Einfluss auf die unterschiedlichsten wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurse aus. Stark polarisierend schwankt die Rezeption ihrer Thesen und ihrer Person zwischen Zustimmung zu ihren Ansätzen und Wertschätzung ihres Geistes einerseits und intensiven Anfeindungen und Negierungen ihrer Theorien andererseits. Auf besonders großen Widerstand traf ihre "Aufdeckung" der Wesensverwandtschaft zwischen dem deutschen Nationalsozialismus Adolf Hitlers und dem sowjetischen Kommunismus Josef Stalins, die sie beide als Extremfälle totalitaristischer Systeme identifizierte, sowie ihre Behauptung, die damaligen Judenräte hätten das grausame Treiben des nationalsozialistischen Regimes unterstützt. Wie auch immer man zu solchen Theorien stehen mag - unbestritten bleibt, dass die Ansätze der deutschen gesellschafts- und politikwissenschaftlichen Theoretikerin noch heute in großem Ausmaß und in so unterschiedlichen Bereichen wie der Philosophie, der Politik- und Sozialwissenschaft, der Literaturwissenschaft und der Geschichtswissenschaft fortwirken.

Der 100. Geburtstag der Denkerin (1906-1975) wurde vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden zum Anlass genommen, um seiner Namensgeberin ein Symposium zu widmen. Dieses begnügte sich aber nicht mit Lobgesängen, sondern setzte es sich zum Ziel, Arendts "Ideen, Problemstellungen und Überlegungen [...] aufzugreifen und gegebenenfalls kritisch weiterzuführen". Der nun erschienene Kongressband "Hannah Arendt weitergedacht. Ein Symposium" versammelt die vielfältigen Beiträge, in denen sich Philosophen, Politologen, Soziologen und Historiker mit Arendts Werk beschäftigen.

So unterschiedlich die Themen auch sein mögen - unter anderen widmen sich die Autoren Arendts Exilerfahrung (die Philosophin emigrierte von Deutschland aus über Frankreich in die USA) und deren Einfluss auf ihr Denken und Schreiben, ihrem sich im Laufe der Jahre veränderten Machtbegriff, ihrer umstrittenen Haltung zum Holocaust sowie der Rezeption ihrer Werke -, auf einige Aspekte aus Arendts Geisteshaltung wird dennoch stets zurückgegriffen. So stellen die drei wichtigsten Monografien Arendts - "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (1951), "Vita activa" (1958) und "Über die Revolution" (1963) - vielfache Referenzpunkte dar, und Arendts Verständnis der Menschenrechte wird unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Galt doch die Sorge der Theoretikerin vor allem der Bedrohung der Freiheit des Individuums in den modernen Massengesellschaften.

Vielfach werden auch die Bezüge zwischen Arendt und den Theorien von Philosophen wie Platon, Sokrates, Aristoteles, aber auch Niccolò Machiavelli, Immanuel Kant, Martin Heidegger sowie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer aufgezeigt. Die Ansätze werden auf unterschiedliche Art und Weise im Sinne eines Gedankenexperiments weitergeführt, ausgearbeitet und hinterfragt, wobei manche Texte eher wie reine Erläuterungen der Thesen ohne ausgeprägtes kritisches Moment erscheinen. Herausgehoben wird ein Beitrag des Publizisten und Historikers Joachim Fest, der Hannah Arendt persönlich kannte. Ursprünglich wollte Fest in seinem Beitrag über seine Bekanntschaft mit Arendt sprechen, verstarb jedoch. Aus diesem Grund ist in diesem Band ein Auszug aus seinem Porträt "Das Mädchen aus der Fremde" im Anhang aufgenommen, das ein sehr persönliches Bild von Hannah Arendt und ihren Lebensumständen zeichnet sowie eine Anzahl an Anekdoten anführt, es aber nicht versäumt, auch einen Einblick in Arendts Geisteshaltung zu geben.

"Hannah Arendt weitergedacht" ist eine Sammlung von Beiträgen, die vor allem für Arendt-Kenner bedeutsam sein dürften. Als Einstieg in ihre Gedankenwelt und Theorien ist das Buch aber sicher nicht geeignet, setzt es sich doch mit konkreten Punkten aus ihrem Œuvre auseinander und verlangt somit eine fundierte Kenntnis dieser Werke und ein gewisses grundlegendes Hintergrundwissen. Was auf jeden Fall deutlich wird, ist die Bedeutung von Hannah Arendts Denkansätzen in heutigen Zeiten mit Fragen wie der Entstehung und Entwicklung totalitärer Regime, ihrer Thesen zum Antisemitismus sowie ihrer Diskussion der Menschenrechte.


Titelbild

Lothar Fritze (Hg.): Hannah Arendt weitergedacht. Ein Symposium.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.
233 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783525369135

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