Killers Ende

James Sallis macht sich in seinem Roman "Deine Augen hat der Tod" an die Vergangenheitsbewältigung eines Ex-Spions

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Alptraum, ein Zimmer, ein Bett, ein Telefonanruf, falsch verbunden: So lakonisch können Romane beginnen, die danach eine immer größer werdende Rasanz entwickeln, wie eben auch dieser schmale Text von James Sallis. David, so sein Protagonist, wird nach neun Jahren, die er aus seinem früheren Leben ausgestiegen ist, von seinen alten Dienstherren angerufen und auf die Reise geschickt. Er gehörte damals zu einer Spezialeinheit von Agenten, die eine Sonderausbildung erhalten hatten, eine Ausbildung zu jenen extrem effektiven, dabei nicht minder anfälligen Killermaschinen, die für Sondereinsätze under cover gebraucht werden. Sonderprogramme, die aufgelegt und nach den obligatorischen Fehlschlägen schnell wieder aufgegeben werden. Die Überlebenden (in früheren Romanen mit FBI- oder CIA-Hintergrund wurden solche Leute schlichtweg entsorgt, was bei ihrem Ausbildungsstand auch nicht ganz einfach ist) bleiben auf sich gestellt und tauchen unter. Solange zumindest, bis einer von ihnen aus dem Ruder läuft: "Die Stunde des Jägers" ist ein Film zum Thema, oder auch die "Bourne"-Reihe, in denen der arme Ex-Killer vor allem schnell rennen muss, um seinen Häschern zu entkommen - "Deine Augen hat der Tod" ist nun der entsprechende literarische Beitrag.

Freilich wählt Sallis in diesem Fall eine aufschlussreiche Variante des Genres. Ja, auch hier ist irgendjemand ausgerastet, und David soll sich auf seine Fährte machen. Nur dass es auf einmal David ist, der verfolgt wird und der sich verschiedener Anschläge erwehren muss. Nach gängigem Muster heißt das nichts anderes, als dass er das eigentliche Ziel der Aktivitäten ist, dass jemand versucht, sich seiner zu entledigen, dass es darum geht, alles, was irgendwann einmal geschehen sein mag, endgültig zu begraben. Und dass es für David das Beste wäre, wenn er sich ins Zentrum der Macht begibt, um dort endlich für klare Verhältnisse zu sorgen.

Sallis aber verstößt gegen solche Vorerwartungen. Unter anderem wird immer unklarer, ob er seinen Helden wirklich auf Aufklärungstour schickt, oder ob er ihn als Hasen benutzt, hinter dem die unterschiedlichen Jäger hinterherrennen. Unklar ist auch, ob wir es mit einer Treibjagd oder einer Verfolgungsjagd zu tun haben. David fährt oder fliegt von einem Ort zum anderen, manchmal Hinweisen folgend, manchmal Anweisungen. Immer ist jemand hinter ihm her, immer gelingt es ihm, seine Attentäter zu stellen. Manche schickt er nachhause, manche schüttelt er ab, manche bringt er um. Manche tauchen immer wieder auf.

Der Roman beginnt auf diese Weise zu kreisen, um eine Vergangenheit, die niemand genau kennt, vor allem nicht die Leser, um Morde, die nicht wirklich motiviert scheinen, um einen geheimnisvollen unbewegten Beweger, dem die Begehrlichkeiten auch der Auftraggeber Davids gelten.

Das ist für einen Autor, der mit "Driver" in der letzten Saison einen ungeheuer stringenten Text im deutschsprachigen Raum publiziert hat, eine irritierende Konstruktion, und man mag ihm nicht immer folgen, zumal nicht beim "einsamen Ringen mit den Furien der Vergangenheit", das einem der Klappentext ankündigt. Das muss man wohl nicht ganz ernst nehmen.

Freilich ist diese Irritation dem Text nicht einmal abträglich. Dazu ist Sallis in der Durchführung schlichtweg zu souverän und abgeklärt. David ist nicht nur ein ehemaliger Killer, der auch jetzt noch jedem gewöhnlichen Straßenräuber Respekt einflößen kann. Er ist auch bildender Künstler, der beeindruckende Werke geschaffen hat (nehmen wir das mal hin, Sallis ist auch sonst beindruckend gebildet, da wird er auch dabei nichts falsch machen). Er ist ein Liebhaber, der sich um die Sicherheit seiner Frau sorgt. Er ist ein gebildeter und sympathischer Mann, dem man nichts mehr gönnt als den verdienten (womit?) Ruhestand.

In den geht er aber erst nach kurzweiligen 190 Seiten, an deren Schluss nur eine halbherzige Lösung geboten wird, so als ob hier geliefert wird, was beim Expressservice bestellt worden ist, aber die eigentliche Sorgfalt liegt nicht bei der Mahlzeit, sondern bei der Tatsache, dass sie geliefert worden ist. Krimi frei Haus, in allen gewünschten Varianten. Anders gewendet, um das Bild auch wirklich auszunutzen: Bei solchen Dienstleistungen hat nicht mal die Pizza, die man vom Lieferservice kriegen kann, etwas mit Pizza zu tun. Sie macht nur satt und sie ist da. Das aber ist immerhin etwas - aber ob es mit Essen irgendwas zu tun hat, ist zweifelhaft.

Im Krimi verhält es sich allerdings anders, gelegentlich. Denn er lebt vom Verstoß gegen die Gattungs-Konventionen, der eben nie zu weit gehen darf. Und Qualität (vulgo Geschmack) ist dabei eben nur ein Aspekt unter anderen. Anders gesagt hat das Genre keine Einschränkungen bei seinen Versuchen, sich immer wieder auf's Neue selbst zu erfinden. Sallis ist jedenfalls dabei.


Titelbild

James Sallis: Deine Augen hat der Tod. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernd W. Holzrichter.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2008.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783935890564

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