Eine alte Standuhr, die die Zeit nie richtig anzeigt

Ahmet Hamdi Tanpinar hat mit "Das Uhrenstellinstitut" eine fulminante Satire auf die Zeit der türkischen Modernisierung geschrieben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

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Er ist ein Pechvogel, dieser Hayri Irdal, ein Träumer. Er ist vom normalen Leben, das er für ein Märchen hält, "das man mit den Händen in der Tasche ständig neu erfindet", heillos überfordert. Seine Kinder kennt er kaum noch, seine Ehe ist schwierig, seine Frau träumt von Hollywood. Ihre Schwestern wollen Schönheitsköniginnen werden: "Als ginge ich in einem Hohlraum unter der Meeresoberfläche dahin, stolperte ich ständig über Gedanken, die ich nicht begriff, über Bruchstücke des Wissens, und bei jeder Bewegung klebten mir grundlose Nervosität, endlose Hoffnung und haltloser Glaube an Armen und Leib wie verfaulte Algen". Seine wirkliche Heimat ist das Kaffeehaus, wo er von einem besseren Leben träumt, in dem er den Apotheker und Goldmacher Aristidi trifft und den Psychoanalytiker Doktor Ramiz, spiritistische Sitzungen mitmacht und eine Erbtante wieder auferstehen sieht. Hayri möchte eigentlich nur seine Ruhe. Dem Fortschritt, den Kemal Atatürk nicht nur verspricht, sondern auch einführt, würde er gerne entgehen. Wahrscheinlich wäre er am liebsten wie "die Selige", ein altes Familienerbstück, eine Standuhr, die die Zeit nie richtig anzeigt.

Aber dann hat Hayri einmal Glück: Er macht Karriere. Ganz zufällig steigt er auf zum Vizedirektor des "Uhrenstellinstituts", einer Behörde mit schließlich dreihundert Angestellten, siebzig Sekretärinnen und Großraumbüros. Ein wichtiges Amt, ein ganz modernes, das für die korrekte Einstellung der Uhren im ganzen Land zu sorgen hat: Besitzer falsch gehender Uhren werden mit einem Bußgeld belegt. Wiederholungstäter bekommen Rabatt. Natürlich muss man auch eine historische Legitimation haben, also erfindet Hayri auf Befehl des Gründers und Direktors Halit Ayarci ein osmanisches Uhrmachergenie aus dem 17. Jahrhundert.

Ahmet Hamdi Tanpinar, einer der Klassiker der türkischen Moderne, hat einen flotten Schelmenroman geschrieben, eine fulminante Satire nicht nur auf die türkische Modernisierung unter Kemal Atatürk. Sein witziger und charmanter Roman ist auch eine Kritik an korrupten, bürokratischen Gebilden auf der ganzen Welt, die nicht nach Fähigkeiten einstellt, sondern nach Verwandtschaftsgrad, die nichts anderem dienen als der eigenen Selbsterhaltung, die zu nichts gut sind außer für sich selbst.

Es ist eine märchenhafte, überbordende, fantasievolle Geschichte von epischer Breite aus den zwanziger und dreißiger Jahren, eine Art Tausendundeine Nacht mit lauter erfundenen Dschinns und von Alpträumen gejagten Scheherazaden. Denn was passiert, wenn der Schwindel auffliegt? Und er fliegt auf, und wie! Und dann? Naja, dann gibt es eben eine Kommission, damit das Institut noch in aller Ordnung aufgelöst werden kann. Eine Groteske, auf die sarkastische Spitze getrieben.


Titelbild

Ahmet Hamdi Tanpinar: Das Uhrenstellinstitut.
Übersetzt aus dem Türkischen von Gerhard Meier.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
400 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446230620

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