Kriegsträumer

Lars Koch zu Walter Flex und Ernst Jünger als Repräsentanten der Gegenmoderne

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als nationalkonservative Bezugsgrößen des frühen 20. Jahrhunderts werden Walter Flex und Ernst Jünger mit großer Regelmäßigkeit genannt. Beide waren Weltkriegsteilnehmer, der eine gar ein Kriegsgefallener, der andere ein überlebender Kriegsheld und zugleich letzter Träger des Ordens "Pur le merité".

Flex starb bei einer wohl eher als getarnter Selbstmord anzusehenden Aktion an der Ostfront im Jahr 1917, gerade einmal dreißigjährig. Er hinterließ ein schmales Werk, von dem vor allem der Gedichtband "Volk in Eisen" und der unvermeidliche "Wanderer zwischen beiden Welten" bekannt geworden sind. Flex' Ruhm und Wirkung ist vor allem ein Nachkriegsphänomen - was freilich nicht so verstanden werden darf, dass er sich nicht mehr dagegen habe wehren können, von wem er vereinnahmt wurde. Denn, wie Lars Koch in "Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne" zutreffend herausarbeitet, Flex' Krieg ist kein realer Krieg, sondern ein idealisiertes, irreales Ideenwerk, ein Phantasma, dessen Kompensationsfunktion unübersehbar ist - und trotzdem eine wirkungsmächtige Konstruktion, die das bürgerliche Selbstbild des frühen 20. Jahrhunderts auf wundersame Weise ausfüllt und weiterspinnt.

Flex' Idee der Volksgemeinschaft als idealem Verband führt die Nationalstaatsgemeinschaft, die unter dem Ansturm der gesellschaftlichen Modernisierung wieder zu zerfallen drohte, einer neuen, diesmal ideellen Qualität zu. Dass es Flex also um eine Neuintegration des Nationalen gegangen sei, und das als Idee, ist - wie Koch resümiert - für weite Teile des Bürgertums konsensfähig, weil sinnstiftend. Dass daraus der Verzicht auf allzu konkrete Kriegseindrücke im Werk Flex' resultiert, ist gleichfalls plausibel. Wo Schwert und Eichenlaub motivtragend sind, kann von einem industrialisierten Kriegsgeschehen kaum die Rede sein. Dass dies gegebenenfalls im Falle Flex damit zusammenhängt, dass ihm die Erfahrung des Stellungskriegs und der Materialschlachten fehlt, die die Westfront kennzeichnete, mag das rationalisieren, aber nicht erklären. Zumal Flex auf einem Pferd mit gezogenem Degen, wie man lesen kann, den Tod findet: Norbert Elias folgend ist diese Art Tod ein klassischer Anachronismus und demonstriert noch im Tod die Verweigerung der Modernisierung. Der massenhafte Tod machte ja, wie Koch unterstützt durch Justus H. Ulbricht vorbringt, gerade Idealgestalten wie Flex' Figuren notwendig. Indem sie nicht vom realen Krieg absehen, sondern ihn auf ein ideales Niveau heben, garantieren sie eine intakte kollektive Existenz: Ihr Opfer ist sinnstiftend und zugleich Garant für den Fortbestand des Kollektivs als Nation. Wurche als fiktive Gestalt (mit realem Vorbild) und Flex stehen damit für den Wahrheitsgehalt des Konzeptes ein, und das mit ihrem Leben, was die symbolische Aufladung für ein bürgerliches Publikum abrundet.

Ernst Jüngers Weltkriegsgeschichte hingegen ist eine Erfolgsgeschichte: Der Kriegsfreiwillige der ersten Stunde überlebt den Krieg nicht nur - und das an der Westfront und obwohl er an ziemlich allen Materialschlachten der Jahre 1914-1918 teilnahm. Er erhält - womit seine "Stahlgewitter" abschließen - sogar den Orden "Pour le mérite": Mit anderen Worten: Während das Reich den Weltkrieg verliert, geht der Leutnant Jünger aus ihm hoch dekoriert hervor. Ein Stahlbad anscheinend für den jungen Mann, der er noch 1918 war.

Der vierjährige Krieg prägte Jünger, wie nicht anders zu erwarten und wie er es mit anderen jungen Männern seiner Generation teilte: Texte wie "In Stahlgewittern", "Feuer und Blut", "Das Wäldchen 125" und "Der Kampf als inneres Erlebnis" nehmen den Krieg eben nicht nur als Memorial auf, sondern instrumentalisieren ihn mehr und mehr auch als Folie für die Wahrnehmung und Interpretation von Gegenwart. Dabei arbeitet sich Jünger beständig an dem Dilemma von heroischem Subjekt und den subjektvernichtenden Materialschlachten ab. Daraus leitet er für seine Zentralfigur die Linie Krieger-Stoßtruppführer-Arbeiter ab. Jüngers Konzept in den "Stahlgewittern", das noch viel vom vitalistischen Grundzug hat, wie Koch zeigt, der Jünger den Krieg als Abenteuer anvisieren lässt, bleibt also so nicht stehen. Jünger entwickelt aus der Erfahrung und seiner Wahrnehmung des Krieges heraus und in der beständigen Bearbeitung dieses Komplexes ein gesellschaftstheoretisches Modell, das als "organische Konstruktion" eine prominente Karriere gemacht hat. Koch kennzeichnet Jüngers intellektuelle Bewegung, die in der "Arbeiter"-Schrift von 1932 ihren Höhe- und Schlusspunkt findet, als "schleichende Militarisierung der zivilen Wirklichkeit". Hier ist ihm allerdings zu widersprechen - denn obwohl Jüngers Werk diesen Schluss naheliegt, der Rekurs auf die Modernetheorien, die Koch zur Basis seiner Untersuchung macht, hätte ihn eigentlich zu einem anderen Schluss und einem anderen Erklärungsmodell kommen lassen müssen. Auf der Basis nämlich einer sich radikal dynamisierenden gesellschaftlichen Realität ist Jüngers Modell eines unter vielen, das diese Dynamik zu sistieren sucht. Das versucht er zweifelsfrei auf der Folie der Kriegserfahrung. Dass er diese jedoch verlässt und auf ein allgemeineres Integrations- und Formierungsmodell verfällt, wird nicht zuletzt mit dem titelgebenden Arbeiterbegriff gezeigt.

Jüngers Adaption militärischer Kategorien und Ordnungsideen ist das eine, dass sie von den gesellschaftlichen Regulierungsproblemen her zu verstehen ist, ist hingegen das andere. Koch kann dabei für sich in Anspruch nehmen, dass seine Interpretation, in der der Krieg die Gesellschaft überformt, weit verbreitet ist. Das macht ihre epistemologische Stichhaltigkeit jedoch nicht größer. Auch ist der Vorrang des Textes gegen die Theorie nicht entscheidend - ersterer muss letztere immerhin bestätigen. Denn im Kontext dieser Diskussion ist das Verhältnis von einem erst noch festzulegenden Gesamt-Textkorpus zu den theoretischen Annahmen zu gewichten. Und in diesem Kontext stehen Kriegstexte eben auch neben Texten, die Alltagssituationen in den Fokus nehmen.

Koch unternimmt mit seiner Schlussdiskussion sogar den Versuch, seine Thesen insbesondere zu Jünger an die neueren Diskussionen um die Neue Sachlichkeit, die von Helmut Lethens "Verhaltenslehren der Kälte" (1994) initiiert worden sind, anzuschließen.

Allerdings führt er diese Diskussion - was kaum überraschen kann - schließlich zugunsten seiner Militarisierungsthese. In diesem Kontext wäre freilich nicht die "Deutsche Nation" und ihre kriegerische Fundierung ins Feld zu führen, sondern die sich rasch entfesselnde Industriegesellschaft, deren Subjekte dringend nach Regulierungs- und Orientierungsrahmen suchen, damit sie überhaupt noch handlungsfähig bleiben. Ein solcher sicherer theoretischer Rahmen fehlt Koch schließlich doch. Mit der Untersuchung von Zentralkategorien Emile Durkheims, Max Webers, Georg Simmels und Ludwig Klages' zieht er zwar vier gesellschaftskritische Ansätze (freilich unterschiedlicher intellektueller Seriosität) heran, die ihm als Basis seiner soziologischen Theoriebemühungen dienen: Anomie, Sinnverlust, Krise des authentischen Ichs und Entfremdung (angesiedelt bei Klages, aber wieso Klages?). Freilich ist das darauf beruhende Schema (das in seine Textuntersuchung kaum einfließt) am Ende doch zu starr und zu wenig belastbar, um als Untersuchungsbasis dienen zu können. Koch legt damit zwar eine ungemein materialreiche Studie vor, auf dem Weg durch das Material aber verliert er anscheinend die Denkmuster und die theoretische Basis etwas aus den Augen.


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Lars Koch: Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne. Zu den Werken von Walter Flex und Ernst Jünger.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2006.
387 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-10: 3826031687

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