Zu wenig Zeit

Ursula Büttner beschreibt anschaulich "Weimar, die überforderte Republik"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über die Weimarer Republik war lange nichts Gutes zu erfahren. Sie hatte, so das gängige Urteil, versagt angesichts der Machtgelüste der Nazis, hatte sich ihnen ohne nennenswerte Gegenwehr ausgeliefert, ertrug passiv den eigenen Untergang und ermöglichte so den Aufstieg des "Dritten Reiches". Wahrlich keine Erfolgsgeschichte dieser ersten deutschen Demokratie.

Weimar wurde immer vom Ende her beurteilt. Und da steht das peinliche Versagen des höchsten Organs einer Demokratie, des Parlaments. Ausgelaugt und hilflos dem Druck der braunen Macht ausgeliefert, stimmte das Parlament am 23. März 1933, knapp zwei Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, dessen "Ermächtigungsgesetz" zu. Eine Selbstentmachtung. Nur die tapfere SPD rettete die Ehre des Hohen Hauses, als sie als einzige Fraktion gegen Hitlers Machtanmaßung stimmte. Die Rede des letzten SPD-Fraktionsvorsitzenden im Reichstag war ein letztes hilfloses Aufbäumen der demokratischen Zivilkultur: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht."

Dem historischen Versagen der Weimarer Republik wurde seit 1945 immer wieder auch das hehre Idealbild dieser Republik gegenübergestellt. Und so war es denn auch das berechtigte Bestreben der Architekten der Nachkriegsbundesrepublik, diese Demokratie einerseits in der Nachfolge der Vorgängerdemkratie zu sehen, sie aber andererseits gerade aufgrund der historischen Erfahrung um Schutzmechanismen zu erweitern, die einer neuerlichen Selbstaufgabe vor diktatorischen Ansprüchen vorbeugen konnte. Das Grundgesetz war Ausdruck dieser Überlegungen.

Nicht die versagende Republik steht im Mittelpunkt von Ursula Büttners anschaulichen Gesamtdarstellung der Weimarer Republik. Sie nennt Weimar im Untertitel statt dessen "die überforderte Republik". Und tatsächlich ergibt sich ein anderes Bild, wenn man diese Republik von ihren Anfängen her betrachtet. Gab es jemals zuvor einen Staat, der unter derart misslichen Bedingungen in eine neue Zukunft aufbrechen musste wie diese deutsche Republik? Ihre Verfassung war ,vorbildlich'. Soviel Demokratie und emanzipatorischen Aufbruch hatte es in Deutschland nie zuvor gegeben. Doch in allen Phasen ihrer kurzen Existenz war die Republik außergewöhnlichen Herausforderungen ausgesetzt. Statt Demokratie einzuüben, kämpfte sie verzweifelt immer wieder um ihr Überleben. Das Erstaunliche war: sie schaffte es immer wieder.

Schon die bedrohlichen Wirren ihrer Gründung hatte sie überstanden. Von links bedrängte sie die sehr wirkungsmächtig von Karl Liebknecht ausgerechnet vom Balkon des Hohenzollernschlosses ausgerufene "Freie Sozialistische Republik". Der vom SPD-Politiker Philipp Scheidemann zugleich im Reichstag ausgerufenen "Deutschen Republik" haftete derweil etwas Verlegenes an. Umso entschiedener aber wehrte sie sich gegen die existenzbedrohende Attacken von rechts. Mit Terror und Putschgelüsten trachtete die Rechte nach der Macht, indes die Republik hielt stand. Und konnte seit 1924 auch zunehmend als "konservative Republik" Stabilität gewinnen. Die bis heute im kollektiven Bewusstsein noch präsente Inflationskatastrophe, mitverursacht durch die ,unvernünftige' Politik der Ruhrbesetzung durch die französich-belgischen Kriegsgewinner, über die ausländische Besucher jener Jahre wie der katalanische Journalist Eugeni Xammar (siehe literaturkritik.de 10/2007) mit schauderndem Erstaunen, aber spürbarer Bewunderung für die kämpfende Republik berichteten, konnte durch eine rigorose Wirtschafts- und Finanzreform überwunden werden. Dabei half auch, dass während der "Ära Stresemann" die Republik auch erstmals auf der internationalen Bühne Statur gewinnen konnte. Die drückende Last der aus dem Versailler Vertrag resultierenden Reparationsforderungen schien verhandelbar.

Wieder war es eine Wirtschaftskatastrophe, die das Errungene ins Wanken brachte. Bedenkt man, dass die Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre ein Land traf, das weitgehend noch agrarisch geprägt war und dessen Modernisierung, so wie wir sie heute für selbstverständlich halten, bestenfalls gerade im Entstehen war, dann begreift man, welchen Belastungen die Republik durch die dauernden wirtschaftlichen Katastrophen ausgesetzt war. Wieder waren die Feinde der Republik, vor allem von rechts, die Profiteure. Diesmal aber war die Republik nicht mehr in der Lage, sich zu behaupten. Dem Ränkespiel derjenigen, denen die Idee der demokratischen Republik seit Beginn suspekt erschienen war, war sie nicht mehr gewachsen. Die Anstrengungen der wenigen noch verbliebenen Demokraten waren vergeblich.

Heute, und auch darauf verweist die Autorin, würdigt man das Bemühen der Demokraten in der Weimarer Republik. Sie waren in ,ihrem' Staat nie in der Mehrheit. Das wussten sie, aber dennoch kämpften sie für die Republik und ihre Akzeptanz. Sie waren jene "aktive Minderheit", die einem Wort des verstorbenen Publizisten Walter Dirks folgend, so wichtig für ein Gemeinwesen sind. Doch ihnen verblieb nicht genügend Zeit. Nach 15 Jahren war die Republik am Ende.


Titelbild

Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008.
864 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783608943085

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