Seltsame Worte, seltsamer Wahn

Mechthild Geesen untersucht Ingeborg Bachmanns Prosa

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Ich verschwindet in der Wand und spricht dennoch. Aber: Wer sagt den letzten Satz? Diese offene Frage im Kontext der paradoxen Schlußsequenz des Romans "Malina" von Ingeborg Bachmann ist der Auslöser für vielfältige Forschungsbemühungen der letzten zwanzig Jahre. Auch Mechthild Geesen zentriert ihre Arbeit um das Problem der Erzählperspektive innerhalb der Prosa von Ingeborg Bachmann. Allerdings beschränkt sie sich dabei nicht ausschließlich auf "Malina" oder die Texte im Umkreis des "Todesarten"-Projekts, sondern bezieht die gesamte Prosa Bachmanns in die Untersuchung ihrer Fragestellung mit ein. Dies unterscheidet ihre Überlegungen von anderen, die sich entweder dem Früh- oder Spätwerk widmen und bestenfalls kurze Ausblicke oder Literaturverweise bieten.

Die Spannung zwischen den widersprüchlichen Aspekten der doppelten Ich-Figur in "Malina" scheinen im Kontrast zu den eindimensionalen und traditionell geschlossenen Figuren der frühen und mittleren Prosa zu stehen. Geesen findet in diesen Figuren dennoch Vorprägungen des dekonstruierten Ichs. Schon in der Erzählung "Drei Wege zum See" zeigt der Erzählprozess verschiedene Brüche, so dass die Erzählinstanz sich nicht immer exakt von der Figurenperspektive unterscheiden lässt.

Es geht aber nicht ausschließlich um erzähltheoretische Überlegungen - vielmehr ist ihr übergreifender Kontext die Grundproblematik des Subjekts in der Moderne. Geesen stellt überzeugend dar, inwieweit die Orientierungslosigkeit des modernen Individuums Wirklichkeits- und Sprachverlust bedingt. Ingeborg Bachmann selbst verwies in ihren "Frankfurter Vorlesungen" auf die neue Gangart, die die moderne Sprache benötigen würde, um nicht zu stagnieren und damit sich selbst zum Opfer zu fallen.

Ein weiterer Pfeiler der Untersuchung ist die Analyse männlicher und weiblicher Sichtweisen. Gerade die Prosa Bachmann bietet sich dafür an, da vor allem in ihren frühen Erzählungen der Schwerpunkt eindeutig auf männlichen Erzählperspektiven liegt. Die Hinwendung zur weiblichen Sicht findet ihren Höhepunkt in "Malina", in der Konstruktion einer doppelten Ich-Figur, die beide Perspektiven verbindet und kann doch keine geschlossene Identität bilden.

Mechthild Geesen: Die Zerstörung des Individuums im Kontext des Erfahrungs- und Sprachverlusts in der Moderne. Figurenkonzeption und Erzählperspektive in der Prosa Ingeborg Bachmanns.

Kein Bild

Mechthild Geese: Die Zerstörung des Individuums im Kontext des Erfahrungs- und Sprachverlusts in der Moderne.
Schäuble Verlag, Rheinfelden 1998.
275 Seiten, 59,30 EUR.
ISBN-10: 3877188362

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch