Die vernachlässigten Schriften

Ingeborg Bachmann als Essayistin

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl Ingeborg Bachmann seit ihrem ersten Gedichtband hartnäckig vor allem als Lyrikerin betrachtet wurde, hat ihre Prosa nach ihrem Tod - vor allem durch feministische Strömungen innerhalb der Literaturwissenschaft - eine intensive Wiederentdeckung erlebt. Zahlreiche Analysen haben sich seitdem ihrem Roman "Malina" sowie den Erzählungen und den Fragmenten des "Todesarten"-Projektes gewidmet. Auch ihre Hörspiele sind Gegenstand verschiedener Arbeiten. Ein wirkliches Schattendasein führen bis heute die zahlreichen Essays der Autorin, die vor allem um philosophische und kulturwissenschaftliche Themen kreisen. Die 1989 veröffentlichte Untersuchung von Malgorzata Swiderska bildet hier eine Ausnahme: Gegenstand ihrer Analyse sind ausschließlich die Essays; neben den Arbeiten für den Rundfunk zählen auch die "Frankfurter Vorlesungen" und die Reden Ingeborg Bachmanns dazu.

Vor allem die "Frankfurter Vorlesungen" wurden häufig zur Untermauerung verschiedener Interpretationsansätze der Gedichte oder Prosa herangezogen oder dienten als theoretischer Ausgangspunkt, um das Sprachverständnis Ingeborg Bachmanns zu analysieren. Dass das essayistische Werk der Autorin durchaus einer intensiven Einzelbetrachtung standzuhalten vermag, zeigt Swiderska überzeugend.

Inwieweit die essayistische Denk- und Schreibweise für Bachmann "relevant, wesentlich" erscheint, stellt das Erkenntnisinteresse der Autorin dar. Diese Frage wird im Verlauf des Buches positiv beantwortet, denn Bachmann entwirft in ihren Essays vielfach theoretische Axiome, auf denen sich im Verlauf ihres Lebens und Schaffens grundsätzliche Haltungen gründen.

Vor allem am Beispiel der Sprachauffassung Bachmanns lässt sich dieser Prozess ablesen. Ausgehend von der Sprachphilosophie Wittgensteins, dem sie allein zwei Essays widmet, entwickelt sie bis zu den "Frankfurter Vorlesungen" eine engagierte Haltung zur Sprache, die möglicherweise auch in der spezifischen Art der Darstellung begründet ist: "Es scheint, daß sie in der Form des Essays ein ihrem offenen Denken adäquates Ausdrucksmittel gefunden hat".

Der Essay als Form der Vielseitigkeit, die es ermöglicht, ein breites Bild zu zeigen, doch gleichzeitig die Fokussierung erfordert, gehört sicherlich zu den außergewöhnlichen literarischen Typen. In der Essayistik Bachmanns lassen sich bestimmte Themenkomplexe voneinander abgrenzen. Die erste Gruppe besteht aus Essays, die sich auf verschiedene Autoren oder Philosophen beziehen (Marcel Proust, Robert Musil, Simone Weil, Franz Kafka, Wittgenstein). Die zweite Gruppe behandelt übergeordnete Themen wie Liebe, Freiheit oder das Motiv der Erlösung durch die Sprache. Hier wird die Verknüpfung mit ihrem Werk besonders deutlich: In ihrem Musil-Essay findet man die "klassischen" Bachmann-Themen wieder: die Liebe, den anderen Zustand, die tausendjährige Utopie. Diese Konzentration zentraler Motive späterer literarischer Arbeiten sind von der Forschung bisher stark - und wie Swiderska zeigt - zu Unrecht vernachlässigt worden, da in diesen theoretischen und stark konzeptionellen Arbeiten sicher die Basis vieler zentraler Aspekte ihres Werks zu sehen ist. Der Essay als Ort der Utopie, des Unsagbaren und der Vereinbarkeit des Univereinbaren sollte aus seinem Schattendasein befreit werden.

Titelbild

Malgorzata Swiderska: Die Vereinbarkeit des Unvereinbaren.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1998.
115 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3484320494

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