Globalität und Regionalität

Christoph Kleßmann und Bernd Stöver haben einen Sammelband zu den Folgen des Koreakriegs herausgegeben

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obgleich eine der opferreichsten Auseinandersetzungen des Kalten Kriegs, ist der Koreakrieg in der heutigen westlichen Wahrnehmung randständig. Das mag daran liegen, dass die Rollen von Aggressor und Verteidiger weitaus weniger klar verteilt waren als im Vietnamkrieg, und auch daran, dass niemand als klarer Sieger aus dem Kampf hervorging: Nach dreijährigem Gemetzel lag die Waffenstillstandslinie eben dort, wo schon vor dem Krieg die Demarkationslinie verlief.

Christoph Kleßmann und Bernd Stöver unternehmen es in ihrem Sammelband weniger, den Verlauf des Krieges nachzuzeichnen, als vielmehr die internationalen Rahmenbedingungen und seine Auswirkungen im fernen Europa und in der Nachwelt vorzustellen. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich um ein deutsch-koreanisches Unternehmen handelt: Etwa die Hälfte der Beiträge sind von koreanischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verfasst. Leider fehlt die nordkoreanische Perspektive - was sicherlich nicht den Herausgebern, sondern der immer noch rigiden Abschottungspolitik des Nordens anzulasten ist.

Ein Akzent des Bandes liegt auf der Verortung des Konflikts im Kalten Krieg. Kleßmann und Stöver zeichnen in zwei instruktiven Beiträgen die Gegnerschaft zwischen den USA und der Sowjetunion nach, die sich nach dem gemeinsamen Sieg über die faschistischen Staaten rasch verschärfte. Beide Seiten setzten gleichermaßen alle Mittel ein, um sich Vorteile gegenüber dem Feind zu erkämpfen. Sogar Elemente der Entspannungspolitik waren in dieser Auseinandersetzung Waffen. Keine Seite hatte Hemmungen, militärische Gewalt einzusetzen. Die Möglichkeiten dazu waren lediglich dadurch begrenzt, dass der Atomkrieg vermieden werden sollte und deshalb Territorien, die zum strategischen Kernbestand des je anderen Lagers gehörten, von beiden Seiten respektiert wurden.

Deutlich wird, warum Stalin davon ausging, dass Südkorea aus Sicht der USA nicht zu diesem Kerngebiet gehörte und warum er deshalb dem Drängen des nordkoreanischen Parteichefs Kim Il-Sung, ihm einen Angriff zu erlauben, nachgab. Weniger deutlich wird das strategische Kalkül Kims; womit auf allgemeiner Ebene das Problem "heißer" Regionalkonflikte im globalen Kalten Krieg berührt ist. In ihnen spielten nicht nur die Pläne der Großmächte eine Rolle, sondern ebenso die Ziele der lokalen Akteure, die häufig kaum weltanschaulich bestimmt handelten, sondern sich pragmatisch Hilfe daher holten, woher sie eben erhältlich war.

Sieht man aus der Perspektive des weltweiten Kalten Kriegs auf die Kämpfe in Korea, so lässt sich diese Ebene nicht erfassen. Wahrscheinlich lässt sie sich auch wissenschaftlich kaum aufarbeiten, solange nordkoreanische Archive nicht zugänglich sind. Immerhin wird in manchen der Aufsätze im vorliegenden Band passagenweise deutlich, dass sich im Koreakrieg, besonders in den Anfangsmonaten, Staatenkrieg und Bürgerkrieg überkreuzten. Die schnellen Wechsel, welche Partei welches Gebiet beherrschte, führte zu einer raschen Folge wechselseitiger Abrechnungen mit dem jeweiligen sozialen Gegner. Bereits 1948 hatten südkoreanische Truppen unter dem Vorwand, Kommunisten zu bekämpfen, auf der Insel Jeju Zehntausende von Bewohnern hingemetzelt; die Herrschaft von Großgrundbesitzern wurde in weiten Teilen des Südens mit brutaler Gewalt aufrechterhalten.

Wie dies zu einer Radikalisierung beider Seiten führte, kann man etwa in den ins Deutsche übersetzten Romanen von Jo Jong Rae nachlesen. Der Angriff nördlicher Truppen im Juni 1950 bedeutete eine neue Phase der Auseinandersetzung, nicht aber den Beginn von Gewalt überhaupt. Diese innerkoreanischen Gründe für eine Eskalation entziehen sich einem auf globale Auseinandersetzungen fixierten Blick.

Seine Stärken hat der Band dagegen in manchen jener Beiträge, die den Auswirkungen des Krieges in Europa gewidmet sind. Thomas Lindenberger vermag konzise zu zeigen, wie der Koreakrieg im oberflächlich betrachtet wenig berührten Frankreich aufgenommen und für jeweilige Zwecke instrumentalisiert wurde. Dagegen leidet der Aufsatz von Árpád von Klimó und Jan C. Behrends zu Reaktionen in Polen und Ungarn unter einer simplen Totalitarismustheorie, die nur böse Propaganda von oben und guten Widerstand von unten wahrzunehmen vermag. Die Chance, differenziert Rezeptionsvorgänge in wenig involvierten Ländern zu erfassen, ist hier vertan.

In weitaus höherem Maße war Deutschland betroffen, als nach dem Zweiten Weltkrieg geteiltes Land Korea vergleichbar. Allerdings war 1950 noch nicht absehbar, um wie viel radikaler die koreanische Teilung sich auswirken würde. Vor allem war Deutschland als kriegsverursachende Großmacht aufgrund einer Niederlage gespalten; Korea hingegen hätte aufgrund der Niederlage seiner Kolonialmacht Japan eigentlich auf der Siegerseite stehen können, geriet jedoch auch infolge alliierter Absprachen in eine problematische Situation. Michael Lemke zeigt, wie aufgrund der Gemeinsamkeit, geteilt zu sein und unter einer Kriegsdrohung zu leben, der Koreakrieg in Deutschland zunächst auf der Ebene der Bevölkerung die Teilung in Ost und West verzögerte und ebendies den - auch mittels jenes Kriegs legitimierten - Aufrüstungsbestrebungen auf beiden Seiten Hindernisse entgegensetzte. Wirtschaftshistorisch äußerst differenziert weist Werner Abelshauser nach, was an der Rede vom "Koreaboom" der deutschen Wirtschaft stimmt und wie der Krieg zunächst Probleme, dann aber Chancen für eine westdeutsche Wirtschaft, deren Aufschwung noch lange nicht gesichert war, bedeutete.

Seong-bo Kim skizziert, welche wirtschaftlichen Schäden der Krieg in Nord und Süd verursachte, aber auch, wie die Kriegsökonomien strukturiert waren und wie die Aufbauhilfe nach 1953 eingesetzt wurde. Im Süden brachte der Krieg insofern einen Elitenwechsel, als durch die Kriegswirtschaft zahlreiche der Konzerne, die später die Industrialisierung des Landes prägten, ihre Grundlagen legten. In einem besonders instruktiven Beitrag legt You-jae Lee dar, welche Formen von Entwicklungshilfe die beiden deutschen Staaten zu ihren jeweiligen koreanischen Verbündeten pflegten. Die DDR unterstützte einerseits den Wiederaufbau im Norden in einem Maß, das gemessen an den eigenen ökonomischen Potentialen großzügig war. Doch zeigten sich andererseits beim Neubau der Stadt Hamhung - einem Schwerpunkt der DDR-Hilfe - nationalistische Überlegenheitsgefühle der europäischen Bauleiter, die sich auf örtliche Gegebenheiten wenig einzustellen vermochten. Auch war das Studium nordkoreanischer Fachleute in der DDR durch Fehlplanungen beeinträchtigt. Auf der anderen Seite wurde die Beschäftigung von Koreanern als Bergarbeiter in der BRD zwar als technische Aufbauhilfe begründet - doch waren tatsächlich die einreisenden Akademiker für die Arbeit unter Tage völlig fehlqualifiziert und gingen so gut wie keine technischen Fachkräfte, sondern allenfalls Devisen nach Südkorea zurück.

Ein eigener Teil des Bandes ist Aufsätzen reserviert, die sich mit der Erinnerung an den Krieg befassen. Das Buch fügt sich so dem herrschenden Trend, sich weniger mit der Rekonstruktion von Ereignissen und Vorgängen als mit der Rekonstruktion von Debatten über Geschichte zu beschäftigen. Dong-choon Kim vermittelt allerdings anschaulich, welches Konfliktpotential das Thema in Südkorea besitzt: Die Massaker, die südkoreanische Truppen an eigenen Landsleuten und die US-Armee überhaupt an der Zivilbevölkerung anrichteten, konnten während der jahrzehntelangen Abfolge der südkoreanischen Militärdiktaturen nicht einmal genannt werden: denn nicht nur die Opfer der Verbrechen, sondern auch all jene, die an die Opfer erinnerten, galten als Kommunisten. Erst in den letzten Jahren, vor allem unter der Präsidentschaft von Moo-hyon Roh zwischen 2002 und 2007, wurde die Aufarbeitung der Vergangenheit von Regierungsseite zunächst geduldet, dann sogar gefördert.

Inwieweit die neue Administration unter Präsident Myung Bak Lee diese Linie fortführen wird, ist ungewiss. Angesichts der historischen Erfahrungen mit dem Staat ist Kims Schlussfolgerung, auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen zu setzen, nachvollziehbar. Doch fragt sich hier wie sonst auch, ob einzelne Einschätzungen in einem Stimmengewirr jemals den Grad an Verbindlichkeit erreichen können wie eine staatliche Entscheidung - das heißt, ob nicht das Gerede von einer Bürgergesellschaft nur der Vorwand ist, den Kampf um den Staat als möglichem Agenten der Vernunft aufzugeben.

Das spannungsreiche Verhältnis von Staat und Bürgern beleuchten auch Yoo-seok Oh und Hubertus Büschel anhand von Kriegerdenkmälern. Oh weist für Südkorea verschiedene Phasen nach - auf spontan noch während des Krieges eingerichtete Gedenkstätten folgen immer monumentalere, von den Diktaturen geplante Anlagen. In jüngerer Zeit entstehen dann Gedenkstätten für die Opfer, die auf eine Gegengeschichte zielen, aber dennoch dem Pathos des Heldengedenkens verhaftet bleiben. Einen vergleichbaren Vorgag schildert Büschel für die USA, wenn er beschreibt, wie von unten eine Gedenkstätte für den Koreakrieg, den man lange als schmutzig und unübersichtlich aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängte, eingefordert wurde. Das Begehren hatte Erfolg, führte indessen zu einer Anlage, die mittels traditioneller Heroisierung einen "Sieg der Freiheit" inszeniert. Wenn nun das Denkmal ein Ort ist, zu dem insbesondere Veteranen gerne hingehen, sollte das allerdings nicht verwundern: Wahrscheinlich haben sie keinen anderen gewollt. Den Glauben, dass, was von unten komme, allein deshalb auch auf Opfer Rücksicht nehme, gilt es wohl zu verabschieden.

Insgesamt liegt ein Band vor, der sich auf ökonomische und ideologische Wirkungen der Kämpfe konzentriert. Militärhistoriker kommen nicht auf ihre Kosten. Das muss nicht schlimm sein, und im einzelnen sind die Aufsätze auch instruktiv. Aber es gibt zwischen der übergeordneten Ebene von Kaltem Krieg und Weltwirtschaft und dem nachträglichen - wenngleich in Südkorea und der USA zuletzt stets staatsbezogenen - Kriegsgedenken eine Verbindung, die in diesem Buch nur am Rande erwähnt wird: dass der Koreakrieg, wie dargelegt, Staatenkrieg und Bürgerkrieg kombinierte und daraus alle Probleme der Erinnerung zu erklären sind. Krieg bedeutet stets Gewalt - eine Erklärung aber für die Gewalt in Korea, die über das Normale des Kampfs zwischen Staaten hinausging, sucht man hier vergebens.


Titelbild

Christoph Kleßmann / Bernd Stöver (Hg.): Der Koreakrieg. Wahrnehmung - Wirkung - Erinnerung.
Böhlau Verlag, Köln 2008.
288 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783412201784

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