Liebe in Zeiten der Undurchsichtigkeit

Die chinesische Autorin Eileen Chang ist mit ihrem Erzählunsband "Gefahr und Begierde" zu entdecken

Von Ludger LütkehausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ludger Lütkehaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Werk dieser Autorin gibt es auch konventionelle Bildelemente, so etwa unter dem Titel "Spuren einer Liebe" die vertraute Metaphernverbindung von Glut und Asche als Symbol der Hinfälligkeit, der Vergänglichkeit leidenschaftlicher Liebe: "Es war November und im Haus brannte ein Feuer, ein kleines Kohlebecken mit glühenden Holzkohlen in einem Nest schneeweißer Asche." Aber schon dieses "Nest schneeweißer Asche" verdankt sich einer harten metaphorischen Fügung. Und im Kontext wird das Bild vollends eigenwillig: "Die Kohlen waren einst Bäume gewesen, dann waren die Bäume gestorben, und jetzt wurden ihre Körper durch das glutrote Feuer wieder zum Leben erweckt. Sie lebten, würden aber bald zu Asche werden. Ihre erste Existenz war grün, die zweite dunkelrot. Dem Becken entstieg der Geruch von Kohle, warf man jedoch eine rote Dattel hinein, so verströmte sie beim Verbrennen den süßen Duft von Reissuppe mit acht Kostbarkeiten. Die zischelnden Explosionen der Kohle erinnerten an das Rascheln von zerstoßenem Eis."

Die erotische Symbolik verbindet sich mit den "Kostbarkeiten" eines über viele Tonlagen verfügenden, pointenreichen erzählerischen Talents. Und in der Widersprüchlichkeit der Bildsprache von Kohle und Eis deutet sich schon etwas von der Widersprüchlichkeit der Liebe zwischen den Geschlechtern an.

Eileen Chang erreicht jetzt, nach einigen Zeitschriftenveröffentlichungen und einem frühen, wenig beachteten Übersetzungsversuch 1956 mit dem Roman "Das Reispflanzerlied", mit fünf Erzählungen unter dem Lockvogeltitel "Gefahr und Begierde" erstmals ein größeres deutschsprachiges Publikum - wie üblich verspätet: In den USA, in Taiwan, auch einem literarisch halbwegs liberalisierten China hat Chang wie schon im Shanghai der 1940er-Jahre Furore gemacht.

Chang ist 1920 oder 1921, die Angaben schwanken, in eine angesehene Familie von Militärs und Beamten in Shanghai hineingeboren worden. Die konfuzianische Tradition mit ihren starren Familienhierarchien und ihren konventionalisierten Formen bildet den Hintergrund etlicher ihrer Texte. Die Ehe der Eltern war dissonant. Die Mutter verließ die Familie, um in England und Frankreich zu studieren. Der opiumsüchtige, sich seinen Konkubinen widmende Vater hat die Tochter misshandelt bis sie der Mutter nachfloh. Von 1939 bis 1942 hat Chang in Hongkong studiert. 1955 ist sie in die USA emigriert, wo sie, unterbrochen von einem wissenschaftlichen Arbeitsaufenthalt 1967 in Cambridge, 1995 in San Francisco gestorben ist.

Changs neuer Ruhm, gipfelnd in der preisgekrönten Verfilmung von "Gefahr und Begierde" durch den Regisseur Ang Lee, ist hochverdient. Autorinnen wie Han Suyin oder Pearl S. Buck, die ein romantisiertes China-Bild pflegten, setzt sie "coole" Unsentimentalität, ja, Härte entgegen, den Sarkasmus wie den parodierten Sinnspruch. Die Kritik hat sie schon früh neben Katherine Mansfield, Katherine Anne Porter oder Eudora Welty gestellt. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Drehbücher und Essays in chinesischer und englischer Sprache. Die jetzt von Susanne Hornfeck, Wang Jue und Wolf Baus direkt aus dem Chinesischen übersetzten Erzählungen zeigen nicht nur in ihrer eigenwilligen Bildersprache die Vorzüge dieser Autorin.

Sie schreibt vor dem Hintergrund der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. China ist zwischen japanischer Okkupation, nationalchinesischer Opposition, zum Teil auch Kollaboration und kommunistischer Revolution zerrissen. Undurchsichtigkeit charakterisiert auf allen politischen und menschlichen Ebenen die Zeit. Man weiß nicht, wer mit wem paktiert, wer wen verrät, wer zu wem gehört. Man weiß nicht, wer jemand ist. Immer gibt es die Seitenwechsler, die Querschläger. Die titelgebende Erzählung, mit "Gefahr und Begierde" reißerisch vergröbernd übersetzt, wie die Übersetzerinnen selber anmerken, "Begehren, Wachsamkeit" wäre richtiger, verbindet im Clair obscur der Zeit eine politische Attentats- mit einer jäh keimenden und in doppeltem Verrat endenden Liebesgeschichte.

In dieser undurchsichtigen Zeit beharrt die konfuzianisch geprägte Familie als Hort der Tradition um so rigider auf ihren strengen Hierarchien und Werten, auch wenn die Erosion unübersehbar ist. In der letzten Erzählung mit dem doppelsinnigen Titel "Liebe in einer gefallenen Stadt" wird die Darstellung des Beziehungsgefüges zwischen den Familienangehörigen vom "Dritten und Vierten Herrn" bis zum "Sechsten, Siebenten und Achten Fräulein" zum satirischen Glanzstück. "Es gab wohl doch mehr gute als echte Menschen auf der Welt".

Doch auch Liebe, Sinnlichkeit, Leidenschaft und Kalkül gehen im Kampf, ja, Krieg der Geschlechter dieselben undurchsichtigen Wege wie die Epoche. Je berechnender die Beziehungen sind, um so unberechenbarer werden sie. Diesem Geschlechter-Wirrsal gilt das intensivste Interesse der Autorin. Meistens dominiert die Perspektive ihrer Protagonistinnen, die sich gegen die miesen Tricks der Patriarchen behaupten müssen: "Feinde im Leben, Gegner im Tode". Aber die Rechnung geht auch hier nicht im emanzipatorischen Sinn auf. Liebe gibt es, öfters jäh und gänzlich unerwartet. Und "fernes Wasser kann kein nahes Feuer löschen". Einmal, am Schluss des Bandes, ausgerechnet bei der "Liebe in einer gefallenen Stadt", behält die Liebe mit einem Happy End sogar das vorletzte Wort, wenngleich sich die Erzählerin darauf unverzüglich mit dem letzten einer parodierten Melancholie ergibt. Aber eine unbezweifelbare Verlässlichkeit bietet auch die Liebe nicht. Umfassende Skepsis bestimmt überall das Bild.

Die große Kunst der Autorin ist es, die historischen, familiären und erotischen Beziehungen in der Schwebe zu lassen. Manchmal haben die Leser Schwierigkeiten, sich in dieser undurchsichtigen Welt zurechtzufinden. Konturenscharf und prägnant ist nur Changs literarischer Zugriff. Sie kann handlungsstark und außerordentlich spannend erzählen wie in "Gefahr und Begierde" oder "Liebe in einer gefallenen Stadt". Am virtuosesten aber ist sie, wo sie den üblichen Lauf der Dinge in den Erzählungen "Straßensperre" und "Warten" anhält wie in einer Art Laborkonstellation zwischengeschlechtlicher Beziehungen, um das Leben, wie es ist, mit dem Potential dessen, wie es vielleicht sein könnte, zu konfrontieren - und es dann in den gewohnten Bahnen weiterlaufen zu lassen. Dass es aber so weitergeht wie bisher, ist auch in der Welt Changs die Katastrophe. Ihre Literatur unterbricht sie für einen kurzen vergänglichen Moment.


Titelbild

Eileen Chang: Gefahr und Begierde. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck, Wolf Baus und Wang Jue.
Claassen Verlag, Berlin 2008.
288 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783546004299

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch