Eine der letzten großen Herausforderungen

Magnus Mills erkundet die Randgebiete westlich geprägter Zivilisation

Von Jürgen WichtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Wicht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Wettlauf zum "Äußersten Erreichbaren Punkt" wird für zwei unabhängige Expeditionen zur ultimativen Herausforderung. Die äußeren Bedingungen sind denkbar schlecht, denn in der Polarnacht setzen den Abenteurern Kälte, Wind und anhaltende Dunkelheit zu. Während die eine Gruppe sich dem Ziel über die Ostroute durch ein ausgetrocknetes Flussbett nähert, versucht die andere den "ÄEP" über die Westroute zu erreichen.

Der jüngste Roman des britischen Autors Magnus Mills, "Die Entdecker des Jahrhunderts", ginge als klassischer Abenteuerroman durch, wenn nicht das merkwürdige Auftreten einiger Maultiere diesen ersten Eindruck fragwürdig erscheinen ließe. Die gutmütigen Tiere wirken im Verlaufe des Buches nämlich sukzessive menschlich: Sie bestehen aus Haut und Haaren, können sprechen sowie singen und es gibt sogar Hinweise auf eine altehrwürdige Kultur der Mulis. Weil so viel Ähnlichkeit mit den Menschen in der Vergangenheit zu unüberbrückbaren Differenzen geführt hat, suchen die Expeditionsteilnehmer, allesamt überzeugte Anhänger der "Verschickungstheorie" des merkwürdigen Professor Childish, einen Ort zur Deportation und Ansiedelung der Grautiere. Kurzerhand wird auf einer internationalen Konferenz der Punkt festgelegt, der die äußerste Grenze der zivilisierten Welt markiert.

Das Buch entzieht sich allen wohlmeinenden Kategorisierungsversuchen, eine Einordnung fällt schwer. Die gattungsspezifischen Elemente eines Abenteuerromans, der mehr und mehr in die Persiflage eines solchen abdriftet, verbinden sich mit denen einer Gesellschaftssatire. Hinzu kommt ein Autor, der keinen Hehl daraus macht, dass er sich, von Journalisten auf die gesellschaftliche Relevanz seiner Bücher angesprochen, gerne auch einmal irgendetwas ausdenkt, um die Presse zufrieden zu stellen. Dennoch offenbart der Umgang der Abenteurer mit den Maultieren die weitverbreitete menschliche Neigung zu Intoleranz und Selbstüberschätzung. Wer mag, kann beim Ethnologen Claude Lévi-Strauss nachlesen, wie der herablassende Blick westlicher Rationalisten den primitiven Bräuchen und Traditionen so genannter "primitiver Kulturen" ihren Nutzen abspricht. Bei Mills gerät der Antagonismus zwischen gesellschaftlichem Konsens und abweichendem Verhalten umso stärker, da er ihn in einer sehr britischen Weise auf das im Zusammenhang mit seinen Büchern viel zitierte Thema der Männerfreundschaften und Rituale beschränkt. Seine Figuren erinnern nämlich an die Mitglieder jener vornehmen englischen Klubs, deren hehre Maximen seit jeher Anständigkeit und Fairness sind und die wie alle, die Bigotterie bloß für ein Fremdwort halten, allzu oft an ihren eigenen Maßstäben scheitern. Für manch einen stellt sich nur die Frage, wie er seine Fehler als Erfolge darstellen kann.

Zu den erfreulichsten Aspekten des Romans gehört zweifellos Mills' lakonischer Humor, der ebenso wie der Habitus der Expeditionsteilnehmer typisch britisch daherkommt. Die Komik entsteht auf pragmatischer Ebene durch die Differenz zwischen Sagen und Meinen, Wollen und Tun. Soll ein Mitglied der Expedition beispielsweise zu einem gemäßigteren Schritt angehalten werden, sagt ihm das keiner direkt, sondern man erkundigt sich nach zurückliegenden, eventuellen sportlichen Erfolgen und lobt diese in überschwänglicher Manier. Es liegt auf der Hand, dass derart gedrechselte Gedankengänge immer wieder zu absurden Dialogen führen.

Auch wenn der Autor sich dagegen wehren sollte - eine viel versprechende Lesart seines Romans ist die der Gesellschaftskritik. Die hypothetische Frage nach den Grenzen westlicher Kultur fügt sich vorzüglich in das exzentrische Bild des Wettlaufs zum "Äußersten erreichbaren Punkt". Nicht ohne Sarkasmus überbieten sich die Entdecker mit größter Ernsthaftigkeit in den Bemühungen, in die Randgebiete der Zivilisation vorzustoßen. Dort wartet, kaum erstaunlich, die gleiche Einöde, die schon den Weg dorthin zu einer unausgesetzten Tour der Eintönigkeit werden ließ. Doch zum Glück haben die Abenteurer, weil sich das so gehört auf einer wissenschaftlichen Expedition, was sie entdeckten, gewissenhaft kartografiert, um nicht weniger als "eine Darstellung des Nichts, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet", mit nach Hause zu bringen.


Titelbild

Magnus Mills: Die Entdecker des Jahrhunderts. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Katharina Böhmer.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
195 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518420171

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch