Bruegel als Lebensberater

In "Zwei Affen" unternimmt Silvio Blatter den Versuch, seine Passion - das Malen und die Malerei - für das Schreiben fruchtbar zu machen. Das Ergebnis ist eine mäßig umgesetzte Liebes- und Kriminalgeschichte

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den 1990er-Jahren hat sich Silvio Blatter im Literaturbetrieb rar gemacht. Sein ungeteiltes Interesse galt damals der Malerei, für die er nun in seinem neuen Roman eine Sprache finden möchte. Ist der Schreibanlass auch recht profan, so weckt er jedoch Neugier: Denn wer hat bei der huldigenden Betrachtung eines in seiner Schönheit einmaligen Gemäldes nicht schon einmal darüber sinniert, wo und wie das gute Stück die turbulenten Zeiten der letzten Jahrhunderte überstanden, wer es wohl schon berührt, begehrt und besessen hatte. Pieter Bruegels Miniatur-Tierporträt zweier unter einem massiven Mauerbogen hockenden, an einen Eisenring geketteten Rotkopfmangaben, das den Autor nachhaltig geprägt zu haben scheint, wird dabei Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte mit Möglichkeitscharakter.

Die Wege, die Bruegels "Zwei Affen" in Blatters literarischer Konstruktion von 1945 bis 2006 nehmen, sind mehr als verschlungen und scheinen dem Mainstream-Kino abgeschaut: 1976 reist der Amsterdamer Geschäftsmann Martin Holm nach Berlin, um das Gemälde, das ihm vor dreißig Jahren das Leben rettete, wieder im Original sehen zu können. Er vertreibt in seinem "arroganten Alleinanspruch" auf das Bild die junge Malerin Lore Spescha aus dem Museumssaal, die gerade dabei ist, die Äffchen zu kopieren. Seit sie das Bild in der Kindheit zum ersten Mal gesehen hat - das aus Holz geschnitzte Puzzle war ein Mitbringsel ihres Vaters aus Holland -, verfolgt sie die "Vision eines selbstbestimmten Lebens" als Künstlerin. So ist es nur folgerichtig, dass sie am nächsten Tag wieder vor ihm stehen und versuchen möchte, sich Bruegels Kunstwerk zu widmen. Als der ärgerliche Mann wieder auftaucht und unerwartet den Wunsch äußert, die Kopie für eine horrende Summe zu erwerben, kann sie nicht anders, als einzuwilligen, will aber eine zweite Kopie anfertigen. Prompt wird sie nach Amsterdam eingeladen, wo sie die zwei Affen im Hause des Auftraggebers wie auf dem Original auf eine 400 Jahre alte Eichenholztafel malt. Zwar kommen sie sich gefährlich nahe, doch beide sind - so scheint es - mehr vom Bild beseelt, als voneinander.

Martin Holms erste Begegnung mit den "Zwei Affen" erfolgte in der Finsternis eines Thüringer Salzbergwerks, in dem sein Vater im "Dritten Reich" Ingenieur war. Man hat dort kurz vor dem Kriegsende den geheimen Inhalt - Goldbarren, Edelsteine, Schmuck und Kulturgüter - von 24 Waggons aus Berlin eingelagert. Die Arbeit haben Zwangsarbeiter aus Buchenwald verrichtet, darunter der Belgier Carel van Vliet, ein Schützling des Vaters und der heimliche Liebhaber der Mutter. Als er sich am Fuß verletzt und dadurch für jegliche Arbeit unbrauchbar wird, versteckt ihn der Sechzehnjährige in einem abgelegenen Schacht und rettet ihm damit das Leben. Im Nachhinein kann er sich die waghalsige Tat nicht erklären, doch ein Zurück gibt es nicht. In diesem Moment der Verzweiflung stößt er auf die kleine Kiste, in der die Holztafel aufbewahrt wird: Die ihrem Schicksal ergebenen Affen führen ihm das eigene Elend vor Augen und bewegen ihn zur Flucht.

Auch Jahrzehnte später spürt Holm die Macht, die das Gemälde über ihn hat. Seine Sehnsucht steigert sich ins Unermessliche, er will die "Zwei Affen" nur noch besitzen. Für einen Fachmann für Schließsysteme ist die Aufgabe eine leichte, so tauscht er die Bilder in Dahlem aus. Wann und wie, erfährt der Leser nicht. Es muss irgendwann in den dreizehn Jahren passiert sein, die sich die beiden nicht gesehen haben. Doch Lore steht 1989 plötzlich wieder bei Martin vor der Tür, aufgebracht, weil sie ihre Kopie in Edinburgh als Teil einer Ausstellung entdeckt hat. Zu einer echten Aussprache kommt es zwischen den beiden nicht, sie wollen auch nichts mehr voneinander, und doch hat der Leser das Gefühl, ihre Beziehung sei - um mit einem Buchtitel Blatters (2006) zu sprechen - "eine unerledigte Geschichte". Als Martin das Zimmer kurz verlässt, tauscht Lore das Gemälde gegen ihre erste, auf Leinwand gemalte Kopie aus und verschwindet. Martin hat den Tausch zwar bemerkt, lässt sie jedoch gehen, ohne ein Wort zu sagen.

Noch einmal versucht Blatter, in seinen Roman so etwas wie ein Spannungsmoment einzubauen. Noch einmal macht Lore das Gemälde zum "Prüfstein ihrer Gefühle, ihrer Liebesgeschichte", als sie 2006 zu Holm in die Abgeschiedenheit von Bergen aan Zee reist. Sie kann nicht anders: Die "Zwei Affen" müssen zurück in die Berliner Gemäldegalerie. Und Martin macht sich - äußerst unwillig - auf den Weg. Dass Blatter die Möglichkeiten einer Kriminalgeschichte nicht mehr ausreizt, sondern auf eine unerwartete Wendung setzt, kommt dem Roman zugute, während die Notwendigkeit eines Epilogs über den Verbleib des Gemäldes in der Nach-Holm-Spescha-Zeit nicht mehr nachvollziehbar ist.

Auch wenn vereinzelt sprachliche Klischees und verbrauchte Bilder den Lesegenuss schmälern, so fesselt Blatter in der geglückten Auseinandersetzung mit Bruegels Gemälde. Er taucht nicht nur schreibend, seine Bilder als Kompass benutzend, in Bruegels Zeit ein, sondern bietet dem Leser seinen persönlichen, vielfach intimen Blick auf jenes seiner Bilder an, dessen Vieldeutigkeit ihn bei jeder Betrachtung neu herauszufordern scheint. Hätte man sich zwischendurch eine ökonomischere Sprachhaltung gewünscht, so verzeiht man Blatters Weitschweifigkeit bei diesen Passagen bereitwillig.


Titelbild

Silvio Blatter: Zwei Affen. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2008.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783832180508

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