Sickerflüsse

Fabjan Hafner folgt Peter Handkes "vorerstem" Land

Von Christian LuckscheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Luckscheiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem Fabjan Hafner in den letzten Jahren bereits mehrmals mit kleineren Texten zum Thema "Peter Handke und Slowenien" hervorgetreten ist, liegen seine Untersuchungen dazu nun als Buch vor: "Peter Handke. Unterwegs ins Neunte Land". Da bisher eine Gesamtschau zu "Handke und Slowenien" fehlte, möchte er anhand von Selbstzeugnissen und Lebensdokumenten Handkes eine "bei allem Streben nach Vollständigkeit bündige Bestandsaufnahme" machen, die zeige, dass das Slowenische und Slowenien "nichts weniger als ein Lebensthema Peter Handkes ist". Für dieses Lebensthema findet Hafner ein schönes Bild: "wie die Sickerflüsse im Karst bald an der Oberfläche sichtbar, bald in den verborgenen Tiefenschichten" strömten, durchziehe das Slowenische und Slowenien als "durchgängiges Lateralphänomen" das Gesamtwerk Handkes. Er liest es als Utopia, erträumt und erdacht, angereichert mit (auto-)biografischen Versatzstücken, als Ersatz und Stellvertreter, Denkmal für etwas Abwesendes und als Gegenstand einer unerfüllbaren Sehnsucht, und verknüpft diese Sicht mit Jacques Derridas Konzeption einer "vorersten Sprache" und Jacques Lacans "Objekt klein a" (worüber allerdings ausführlicher zu streiten wäre).

Hafner hat also gleichsam einen Reisebericht vorgelegt - in ein einstmals fernes, mittlerweile unter- oder vergangenes Land, von dem Handke einerseits träumte, von dessen Wirklichkeit er andererseits aber überzeugt war. Es ist eine Reise in ein Literatur ermöglichendes Träumer-Land oder Traumland, von dem Handke Anfang der 1990er-Jahre bereits Abschied genommen hatte. Es kann folglich nur rekonstruiert werden. Für diese Arbeit hat Hafner mit "Unterwegs ins Neunte Land" einen äußerst gelungenen Titel gefunden, und "Unterwegs" ist vor der Lektüre mehrmals zu unterstreichen. Das Tempo wird vom Gehen vorgegeben, so wie die vielen Protagonisten im Werk Handkes am Gehen, beständig unterwegs und sogar in ihm, dem Unterwegssein, zu Hause sind. Mit dem Untertitel im Hintergrund macht man dann auch gerne die vielen Umwege und Exkurse mit, folgt den Mäanderungen, die die Gliederung des Buches und insbesondere die Zwischentitel an kaum einer Stelle zähmen können.

Manchmal hätte man es an ein paar Stellen, zumindest als Leser außerhalb Österreichs, gerne etwas genauer oder ausführlicher. Als Unbeschlagener erfährt man vorab nur wenig über Slowenien, über die generelle Situation und die Geschichte der Slowenischstämmigen in Kärnten. Es wäre zu überlegen gewesen, gleich zu Beginn des Buchs in einem einleitenden Kapitel diese Situation und den Nationalitätenkonflikt in Kärnten zu skizzieren - und zwar unabhängig vom Leben und Werk Handkes. Das war und ist allerdings und vielleicht nicht die Aufgabe Hafners im Rahmen eines solchen Buchs. Andererseits hätte sich angesichts seiner "lebensgeschichtlichen" Lektüre, die sich jedoch beinahe ausschließlich auf die Texte Handkes stützt und nur diese reden lässt - eine Leseweise, die eigentlich erst dann sinnvoll ist, wenn man bei einem innerliterarischen Ansatz bleibt -, das Heranziehen weiterer, über Handke hinausgehender Literatur angeboten.

Dieses schöne Buch, in dem man sich verlieren kann wie beim Gehen durch den Karst, hat sein Thema (vorerst) rundum erschöpfend abgehandelt. Es wird die Standard-Untersuchung sein, die sich mit der "anderen" Seite Handkes beschäftigt, derer, die "für ein freies Schweben abseits der gängigen Bezugssysteme" immer wieder Neunte Länder aus der Taufe heben muss.


Titelbild

Fabjan Hafner: Peter Handke. Unterwegs ins Neunte Land.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008.
383 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054271

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