Reaktionäre Foto-Moderne?

Margarethe Szeless über die Kulturzeitschrift "magnum" und ihren Macher Karl Pawek

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Durchsetzung der modernen Ästhetik insbesondere als Gebrauchsmoderne ist in den Jahren nach 1945 nicht zuletzt das Verdienst von Zeitschriften wie "magnum". Das 1953 in Wien gegründete Blatt, das 1957 von DuMont in Köln übernommen und bis 1964 fortgeführt wurde, gehört zu den eindruckvollsten Publikationen einer ästhetischen Nachkriegsmoderne. Diese Publikation trat nicht nur mit dem Untertitel "Die Zeitschrift für das moderne Leben" an, sie widmete sich zudem intensiv und insbesondere durch den extensiven Einsatz von visuellen, vor allem fotografischen Mitteln modernen Sujets: Repräsentanten der Klassischen Moderne waren ebenso Thema in "magnum" wie ihre Werke Gegenstand waren. Produktionen der verschiedenen Bereiche insbesondere der modernen Gebrauchskunst wurden präsentiert.

Städteplanerische Visionen Le Corbusiers, architektonische Entwürfe aus der Bauhaustradition, Einrichtungsgegenstände, Designklassiker - die Moderne als alltägliche Umgebung angemessener Nachkriegsexistenz wurde in "magnum" ausführlich vorgeführt. Und dies zwar konzeptionell zumeist so eingebunden, dass sie als Gebrauchsmoderne auch visuell erfassbar wurde. Wie Margarathe Szeless berichtet, stellten die "magnum"-Macher die Moderne nicht nur vor, sie stellten sie zugleich stets in den Kontext menschlicher Verwendung und Nutzung, indem sie die Gegenstände im Zusammenhang mit Personen präsentierten. Damit wird die kühle Ästhetik der Moderne zugleich in das Kontinuum menschlicher Existenz gestellt, die glatte, undurchdringliche Oberfläche der Klassischen Moderne erhält damit zugleich eine Brechung, die die Distanz zu ihr aufhebt.

Präsentiert wird diese "Gebrauchsmoderne" in "magnum" vor allem durch großformatige Fotostrecken, in denen unterschiedliche Motive gegeneinander gesetzt wurden, um aus dem Kontrast, aber auch der Homologie und Analogie semantischen Mehrwert schöpfen zu können. Hinzu kommt, dass die "magnum"-Macher zudem bevorzugt Fotos einsetzten, die semantisch möglichst wenig aufgeladen waren, kaum lokalisiert oder kontextuell eingeordnet werden konnten und damit dem Bildredakteur größtmögliche Gestaltungs- und Steuerungsfreiheit gaben. Szeless kritisiert dies zwar gelegentlich als manipulatives Vorgehen, weist aber auf die Durchgängigkeit des Verfahrens durchaus auch anerkennend hin.

Die Zeitschrift, die sich vor allem an intellektuelle Multiplikatoren wandte, erweist sich damit eben nicht nur als Medium, in dem in den Nachkriegsjahrzehnten die Moderne als strukturelles und ästhetisches Phänomen durchgesetzt wurde, sie ist zugleich selbst eines der besten Exempel für eine weit reichende Implementierung und Ausformung moderner, im Wortlaut der Studie "modernistischer" Ausstattungen.

Dem widerspricht nur bedingt, dass Karl Pawek, der die Zeitschrift gründete und bis zu seinem Ausscheiden 1962 redaktionell und vor allem in der Gestaltung maßgeblich bestimmte, zugleich ein Vertreter der so genannten Life-Fotografie war, die nicht nur die geglückte Augenblicksaufnahme favorisierte, sondern zugleich auch die Abhängigkeit der fotografischen Aufnahme von der abgebildeten Realität betonte. Das konstruktive Element der Moderne wird in Paweks eigenen Ausführungen gerade zum Element des Realen, wie in den zahlreichen Verweisen auf den "Dadaismus" fotografischer Aufnahmen erkennbar wird. Mit dieser Position setzt sich Pawek in Widerspruch zur so genannten subjektiven Fotografie der 1950er- und 1960er-Jahre, die dem Fotografen und seiner Gestaltungsmacht die entscheidende Rolle zuweist.

Hinzu kommt, dass in "magnum" durchgängig visuell kulturelle Traditionsbestände nicht nur Gegenstand von Fotografien, sondern auch inhaltlich bestimmend sind. Religion, das heißt vor allem die Ikonen des christlichen Glaubens, ist einer der zentralen Gegenstände der "magnum"-Hefte, wie Szeless herausarbeitet. Pawek schließt mit diesem christlich verbrämten Existenzialismus insbesondere an die Philosophie Edmund Husserls und Othmar Spanns an, zu dem er in den frühen 1930er-Jahren eine Dissertation verfasste.

Der vermeintliche Widerspruch zwischen Moderne und Traditionalismus löst sich mit einem Blick auf die kulturelle Situation der 1950er-Jahre und die Lösungen, die die konservativen Eliten in Österreich wie in Deutschland für das Problem "Moderne" nach dem Scheitern des, wenn man so will "Lösungsmodells" Faschismus suchten und fanden. Zentrales Problem ist - angezeigt etwa in Hans Sedlmayrs Schrift "Verlust der Mitte" aus dem Jahr 1948 - die Zerstörung von Ordnungsformen und Orientierungshilfen, mithin von festen Strukturen, mit denen die dynamisierten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse bewältigt werden konnten. Der Faschismus hatte die Lösung für das der "Systemzeit" angelastete Chaos versprochen, letztlich aber aus den Widersprüchen zwischen völkischem Extremismus und modernistischem Pragmatismus nur den ,Ausweg' Krieg und Holocaust gefunden. Ein desaströses Programm, mit dem sich die Lösung selbst wieder als Verschärfung des Problems gerierte. Konservative Publizisten der Nachkriegszeit schlugen deshalb den Faschismus ebenso den Verfallserscheinungen der Moderne und Massengesellschaft zu, wie die Konsum- und Genussfixierung der Bevölkerung, der als Hauptgrund für den Verfall der überkommenden Verhaltens- und Haltungsformen haftbar gemacht wurde.

In ihrem Modell hingegen gingen Adaption der formorientierten Varianten der kulturellen Moderne und formierte Gesellschaftskonzepte eine enge Verbindung ein, unter Einschluss der christlich-konfessionellen Angebote. Allerdings ist dieses Element verzichtbar, wie das Beispiel Gottfried Benn zeigt. Andererseits zeigt die Prominenz von Autoren wie Friedrich Heer, Stefan Anders, Werner Bergengruen und anderen eben auch die Prominenz dieses Modells an, das sich eben auch als Restauration den neuen avantgardistischen Modernismen wie der Wiener Gruppe oder dem späteren Aktionismus verweigerte. Die Prominenz der Form als zentrale Kategorie, die ja auch für "magnum" vorrangig ist, zeigt den Hintergrund dieses Denkmusters an.

Abzugrenzen ist dieses Muster allerdings von einer simplen Ableitung aus dem Nationalsozialismus oder ständestaatlich grundierten Ideologemen, wie dies Szeless unternimmt. Auch wenn Pawek (wie im Übrigen auch Sedlmayr) in den 1920er- und 1930er-Jahren ideologisch sozialisiert wurde und sich mit dem NS-Regime allzu stark eingelassen hat, ist die Denkform, die er in den 1950er- und - was seine fototheoretischen Schriften angeht - 1960er-Jahren in seinen Publikationen vorträgt, nicht dem Faschismus oder einem reaktionären Denken verpflichtet, sondern der Versuch, sich im Mainstream einer konservativen Moderne als Fototheoretiker und Zeitschriftenmacher zu positionieren und wirksam zu sein.

Davon einmal abgesehen, dass Szeless zwischen konservativen und reaktionären Haltungen keinen Unterschied zu sehen scheint, ist ihr Versuch, Paweks Position bruchlos aus nationalsozialistischen und ständestaatlichen Haltungen abzuleiten, deshalb ahistorisch und undifferenziert. Sie vernachlässigt dabei, dass Pawek sich ohne Probleme in eine historische Strömung einordnen lässt, die Moderne, Ordnungsimpuls und christliche Orientierung verbindet. Dass diese Strömung die ästhetische Moderne mit durchzusetzen hilft, bleibt davon unbenommen und ist auf ihrer Habenseite zu verbuchen, ohne dass man ihre ideologisches Profil teilen muss. Die ideologische Distanz sollte aber die Darstellung nicht soweit beeinflussen, dass sie derart perspektivisch verzerrt wird, wie dies Szeless unterläuft. Dass sie am Ende sogar den Versuch unternimmt, Paweks Position als Variante der "reaktionären Moderne" zu verbuchen - ein Begriff, mit dem der amerikanische Historiker Jeffrey Herff den Nationalsozialismus zu fassen versucht hat -, ist intellektuell schon fast sträflich.

Hätte sie, statt sich auf die Ableitung der Haltung Paweks aus dem Gedankengut des Nationalsozialismus und Ständestaats zu verpflichten, danach gefragt, welche Funktionen Paweks Position im Österreich und in der Bundesrepublik der Nachkriegsjahrzehnte hatte, dann wäre sie zu anderen Ergebnissen gekommen, bei denen die Differenzen zu Nationalsozialismus und Ständestaatsideologie stärker hervorgetreten wären. Das soll die ideologische Vorbelastung Paweks nicht mindern. Was das angeht, wird man Szeless durchaus folgen können. Dennoch ist die Konsequenz, die sie daraus gezogen hat, nicht sachgemäß. Die Moderne der Nachkriegsjahrzehnte ist zweifelsohne ein Produkt auch des Faschismus in Europa, damit wird sie noch lange nicht zu seinem ungewollten und nur halbwegs unabhängigen Abkömmling.


Titelbild

Margarethe Szeless: Die Kulturzeitschrift "magnum". Photographische Befunde der Moderne.
Jonas Verlag, Marburg 2007.
188 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783894453824

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