Fragloses Unglück

Katharina Bendixens Debüt "Der Whiskyflaschenbaum" blickt auf Menschen, die Antworten wollen und das Fragen verlernt haben

Von Philipp WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit "Der Whisyflaschenbaum" liegt der Debütband der Leipziger Autorin Katharina Bendixen (Jahrgang 1981) aus dem Verlag poetenladen vor. In dem Buch sind 21 Erzählungen versammelt, darunter bereits mit verschiedenen Preisen gewürdigte, etwa dem Würth-Literaturpreis und dem Litarena-Preis.

Was ihre Erzählungen verbindet, ist zunächst ganz augenscheinlich ihre Anordnung familiärer Konstellationen, wobei die Familie hier nur noch im Verweissystem der Sprache existiert. Der Vater, die Frau und das Kind werden die handelnden Figuren benannt, ganz gleich, ob nun ein übergeordneter Erzähler, der eigene Ehepartner oder die Mutter selbst spricht. Diese Reduktion aufs bloß Schablonenhafte erweitert sich auf die Handelnden selbst, mit den versammelten Geschichten taucht man in ein Kabinett familiärer Kälte ein: Gleich in der Auftaktgeschichte "Der Grashalm" überfährt ein Vater den eigenen Sohn mit dem Traktor. Alle Familienmitglieder schweigen über eine mögliche Schuld, nur in harmlosen "Traktorsätzen" wird fortan über den schrecklichen Vorfall gescherzt - bis die Familie eines Tages an dieser Last zerbricht.

Ähnlich schicksalhaft sind die nachfolgenden Erzählungen, darin findet sich stets die Kälte der auftretenden Figuren und eine verknappte Sprache wieder, die das Geschehen auf das Nötigste reduziert. Man blickt durchs Teleskop auf die Menschen, die sich unbekümmert weiter fortzupflanzen scheinen, ohne ihrem Leben irgend einen Sinn geben zu können. Episoden beginnen mit der achselzuckenden Hinnahme eines Todesfalles, um dann auf die Ruinen des Alltags überzublenden, etwa auf die Mahlzeiten, die gerade auf der Herdplatte vor sich hin köcheln.

Charakteristisch auch die defizitäre Sprache der auftretenden Figuren, ihr katastrophales Scheitern in der verbalen Welterschließung. Eine Erfahrungsarmut ist die Folge, die es unmöglich macht, Sinn zu stiften und die eigene Kälte zu überwinden. Beispielhaft ist dafür "Das Lächeln der Schauspieler nach dem Nathan", eine Episode, die so etwas wie ein poetologisches Scharnier in Bendixens Buch darstellt und zugleich den Mittelpart der Erzählungen bildet. Hauptperson ist eine Souffleuse, die nach der Aufführung des Nathan zu ihrem Gatten ins Ehebett heimkehrt, um dort den "Ernstfall" - Beischlaf gegen ihren Willen - über sich ergehen zu lassen. Ihr Ehemann berichtet dabei von der Begegnung mit einer "verrückten" Unbekannten, die in ihm aufgrund ihres abnormen Verhaltens unbestimmbare Emotionen auslöste. Näher kann er sein Erlebnis nicht beschrieben, zu sehr ist er damit beschäftigt, mit seinen "Spinnenbeinen" unauffällig in die Souffleuse einzudringen, um sich zu beschaffen, was er will: "Der Mann sagt: 'Diese Frau war so natürlich, sie war ganz in sich versunken, sie war so, wie soll ich das beschreiben, so... sag du doch mal!' die Souffleuse schweigt, die Spinnenhand krabbelt ihren Oberschenkel hinunter, ein Trick, den die Souffleuse kennt, er erlaubt der Hand, später weiter nach oben zu kriechen, auf der Innenseite ihres Oberschenkels, in ihr Schamhaar."

Das Schweigen der Souffleuse (nicht zufällig dem Schweigen der Sirenen bei Franz Kafka ähnelnd) ist beispielhaft für die vielen Stellen, wo die Protagonisten zwar Antworten bekommen wollen, aber es längst verlernt haben, wie man überhaupt Fragen stellt. So auch bei der Erzählung "Es gab keine Zeit für den Heimaturlaub", in der ein Sohn endlich Aussprache mit seinem Vater sucht, dann aber lethargisch konstatiert: "Ich wollte ihm keine Fragen stellen, sondern die Antworten einfach erfahren, und so schwieg ich und wartete ab".

Wird an anderer Stelle dem Leser zum Recht verholfen, ins Geschehen einzugreifen, um endlich die erlösende Mitleidsfrage à la Parzival zu stellen, wird er bloß in bürokratischen Floskeln weitergereicht: "Schlägt der Mann den Hamster in der Plastiktüte gegen die Balkonwand? Ja! Warum tut er das? Warum-Frage! Der Nächste ist an der Reihe".

Die stärksten Momente entstehen in Bendixens Buch immer dann, wenn die präsentierten Handlungen unbemerkt ins Absurde und Groteske kippen. Die inhumane Realität bietet dann die Kulisse, in der die Schwelle hin zum Horror nicht mehr genau auszumachen ist. Etwa bei "Sonnengötter", wo der gemeinsame Norwegenaufenthalt eines Pärchens mit den allüblichen Zwistigkeiten und neidischen Nachbarn zuletzt in einen von "Shining" inspirierten Showdown mündet. Bemerkenswert dabei ist, wie Bendixen es schafft, die Urlaubsexpertise ganz allmählich ins Surreale hinübergleiten zu lassen, ohne Signale an den Leser oder deutliche Brüche. Wird es bei den Geschichten zu ungestüm surrealistisch, werden die Konturen literarischer Vorbilder deutlich. Spannend aber auch hier, wie es der Autorin gelingt, eine Sprache zu entlarven, die in noch routinierter Alltäglichkeit verharrt, während das Geschehen bereits ins Entsetzliche verkehrt ist: "Schon bald ertrug ich ihre Fragen nicht mehr, und mir blieb nichts anderes übrig, als die Fragen zusammen mit der Frau in der Wäschemangel zum Verschwinden zu bringen. Ich wickelte die Frau im Mangeltuch um die Rolle und kurbelte sie hin und her, sie wehrte sich nur wenig. Vom Gewicht der Walzen geplättet, entstieg sie zitternd der Mangel. Sie lief mehrmal gegen die Türpfosten und stolperte dann über die Schwelle hinaus".

Es wäre jedoch nicht gerecht, Bendixen Utopielosigkeit zu unterstellen - gerade im Surrealen und Absurden finden sich jene magischen Residuale, in denen Hoffnung auf Erlösung schlummert. So gelingt es etwa in einer Geschichte schwarzen Gastarbeitern, von den fremdenfeindlichen Einheimischen fassungslos wahrgenommen, beim ersten Schneefall einfach davon zu fliegen. Ein literarisch brillanter Zug ist dabei die Reaktion der Einheimischen: "Wir wollten die Schwarzen an ihren schwarzen Füßen zurück auf den Boden ziehen, aber es waren zu viele, die meisten schwebten schon mehrere Meter über der Erde, und wir waren zu langsam, zu alt." Es gibt unendlich viel Hoffnung - nur nicht für die frag- und wunschlos Unglücklichen.


Titelbild

Katharina Bendixen: Der Whiskyflaschenbaum. Erzählungen.
Poetenladen, Leipzig 2009.
132 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-13: 9783940691071

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