Neues vom eingebildeten Kranken

Der Sammelband "Hypochonder" enthält angeblich "21 Texte über eingebildete Krankheiten"

Von Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Köther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der große Thomas Bernhard erklärte einmal in einem Interview: "Alles ist immer wirklich. Auch die Vision ist ja noch mehr Realität als die Realität. Nicht? Es gibt nichts Erfundenes." Und Molières eingebildeter Kranker ruft im sechsten Akt des gleichnamigen Dramas: "Ah! mon Dieu! je suis mort...". Beide Zitate verdeutlichen auf gewisse Weise, dass auch die Probleme und vorgeblichen Krankheiten des Hypochonders ernst zu nehmen sind, wenn nicht schwerwiegender sein könnten als mancher gemeine, banale, wenn auch schulmedizinisch erfassbare Virus.

Im vergangenen Herbst erschien nun der von Frank Willmann, Torsten Schulz und Christof Meueler herausgegebene Sammelband "Hypochonder. 21 Texte über eingebildete Krankheiten". Unter den Autoren der zum größten Teil humoristisch oder satirisch angelegten Kurzgeschichten und Essays sind etwa Wiglaf Droste, Wladimir Kaminer, Jochen Schmidt, Anne Hahn oder auch Uli Hannemann und Jan Böttcher.

Um es vorweg zu sagen: Wie so manch anderer Sammelband leidet auch dieser an den typischen kleinen Schwächen einer solchen Sammlung, und das weniger hypochondrisch, als manche seiner Protagonisten. Neben unterhaltsamen und soliden Geschichten stehen schwächere, in einigen, wenn auch wenigen Fällen sind das knappe Ausarbeitungen halbgarer und mäßig kreativer Ideen oder schlicht Banales wie etwa der Text "Bernabett", in dem Bernadette La Hengst - hauptberuflich eigentlich eine sehr viel bessere (Elektro-)Pop-Musikerin - scheinbar über Krankheit und die folgende im Bett stattfindende Erholungsphase, letztlich aber irgendwie über Nichts schreibt und ganz nebenbei auch ihr Thema verfehlt.

Denn - das mag nun pedantisch klingen, sei der Vollständigkeit halber jedoch erwähnt: Es handelt sich bei diesem Band mitnichten um 21 Geschichten über eingebildete Krankheiten. Gänzlich uneingebildete sind darunter - etwa im Text "Psoriasis vulgaris" von Falko Hennig die äußerst anschauliche Beschreibung einer Schuppenflechte und ihrer Symptome, inklusive dem Grind auf der Kopfhaut, "wie Streusel auf Streuselkuchen" -, oder aber Um- und Zustände, die scheinbar in keine der beiden Kategorien passen. Die ganze Zusammenstellung wirkt gelegentlich etwas planlos.

Unter den lesenswerten Geschichten ist etwa "Ich war das Klavier von Brahms" von Eugen Egner: Ein knapper Text über die Wahnvorstellung, eben das Klavier von Brahms gewesen zu sein - eine großartige Idee. Auch Uli Hannemann liefert Gutes und Komisches ab, unter anderem über das mit der (Beziehungs-)Zeit schwindende und hier titelgebende Krankenschwestersyndrom so mancher Frau und Freundin, darin enthalten übrigens auch einer der bösesten, wenn auch lustigsten Reinhold Messner-Witze: "Sagen wir, Reinhold Messner käme nach einem seiner Gewaltspaziergänge nach Hause und greinte: 'Mutti, mir tun die Füße weh - ich glaub, ich hab wieder ein paar Zehen eingebüßt.' Mutti würde ihm was husten: 'Was hab ich dir gesagt: Auf dem Berg ist es kalt! Wozu hab ich dir Socken gestrickt?! Zieh dir was Warmes an! Und wo ist eigentlich dein Bruder...?'"

Unterhaltsam auch "Der Hypochonder ist krank" von Annett Gröschner, über den taxifahrenden, hypochondrisch veranlagten Hosch, der seit seiner Kindheit im Angesicht selbst diagnostizierter Krankheiten wie Tollwut oder Blinddarmentzündung regelmäßig in Erwartung des Todes lebt, sich nun jedoch mit dem Problem konfrontiert sieht, dass sein Kopf unsanft einen Heizkörper traf und so nun tatsächlich lädiert ist.

Dann wiederum die leicht tragische Geschichte "Gramfeld" von Anne Hahn: Eine junge Magdeburger Punkerin fährt zu DDR-Zeiten nach Berlin, um den dort nach längerer Zeit wieder aufgetauchten und nach einem Selbstmordversuch entlassenen Guido Gramfeld abzuholen, der nicht nur etwas verrückt scheint, sondern auch unglücklich in die Ich-Erzählerin verliebt ist. Ein erzählfreudiger und guter Text ist auch diese Miniatur-Milieustudie, die allerdings in Hinblick auf den restlichen Band vollkommen deplatziert wirkt und mit Hypochondrie abermals nichts zu tun hat).

Die drei wohl bekanntesten Autoren des Bandes sind Eckart von Hirschhausen und die bereits erwähnten Wiglaf Droste und Wladimir Kaminer, deren Namen auch prompt an prominentester Stelle auf den das Buchcover umfassenden Papierstreifen gesetzt wurden - es könnte ja sein, dass jemand den Buchrückentext nicht liest und die drei übersieht.

Kaminers Text handelt vom Schriftsteller Calpirowski, bei dem sich auf seinen Lesereisen, da er auf sein erstes, autobiografisches Buch über seinen Gefängnis-Aufenthalt reduziert wird, Frust und Depressivität einstellt. Dem wirkt irgendwann der Manager entgegen, indem er am jeweiligen Aufenthaltsort Kellnerinnen besticht, die Calpirowski dann mit Autogrammwünschen um den Hals fallen, wonach bei dem Schriftsteller jedwede Melancholie verflogen und die Geschichte zu Ende ist. Man kann nicht sagen, dass der Text wirklich schlecht wäre, Kaminer hat allerdings schon deutlich Besseres geschrieben.

Eckart von Hirschhausen wiederum, Stand up-Arzt und Medizin-Comedian, mit zahlreichen Fernsehauftritten in Sendungen wie "Schmidt & Pocher" oder "TV Total", darf, schon da sein Name aufgrund der TV-Präsenz wohl ein weiteres dankbares Verkaufsargument schien, am Ende des Buches immerhin ganze zweieinhalb Seiten mit Witzeleien über Praxisgebühr und Wartezimmer als Treffpunkt der Anonymen Ärztehopper beitragen.

Das Buch ist also etwas weich in den Knien, vielleicht auch etwas unregelmäßig in der Atmung, trotz prinzipiell vorhandener geistiger Klarheit. Immerhin: In einer Jahreszeit, in der jeder Huster das eigene Ende ahnen lässt, sind einige der Texte in der Lage, morbide Gedanken in ein befreiendes Lachen aufgehen zu lassen.


Titelbild

Frank Willmann / Torsten Schulz (Hg.) / Christof Meueler: Hypochonder. 21 Texte über eingebildete Krankheiten.
Mit Illustrationen von Michael Straub.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008.
150 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783898125680

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