Links ist da, wo der Spaß aufhört

Der "Trend-Report 2009" von Matthias Horx betritt unvermutet das Terrain politischer Agitation

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erstaunlich. So viel Politik war selten beim Zukunftsfreund Matthias Horx. Nicht weniger als ein Drittel der jährlich erscheinenden Studie "Trend-Report" widmet sich diesmal dem Wertewandel infolge der globalen Finanzkrise und der neuen spießbürgerlich-linken Welle: "Soft-Kapitalismus" und "Biedermeier-Bolschewismus" sind demnach zwei der "sozio-kulturellen Schlüsseltrends für die Märkte von morgen".

2009 mag für Trendprognosen kein leichtes Jahr sein: Der neo-grüne und neo-ethische Lifestyle ist mittlerweile derart im medialen Mainstream angekommen, dass sich ihm nur unter größeren Mühen neue Trendperspektiven abpressen lassen. Und wer erinnert sich schon noch daran, dass es tatsächlich die Horx'sche Zukunftsinstitut GmbH war, die hierzulande als eine der ersten rief: Die LOHAS kommen (Lifestyle of Health and Sustainability)! Frühweitsicht dieser Art wird nicht immer honoriert - man frage die Grünen, was es ihnen eingebracht hat, seit Jahrzehnten Priorität für den Umweltschutz zu fordern. Die Prophezeiung "Die Letzten werden die Ersten sein" erfüllt sich immer wieder ganz diesseitig und nicht ohne Ironie: unsere Bundeskanzkerin als europäische Öko-Vorreiterin. Die Mahner sind immer lästig, damals, weil sie die Bequemlichkeit störten, und heute, weil sie an die selbstverschuldete Unmündigkeit von einst erinnern. Die Positiv-Denker dagegen sind tendenziell angenehm, weil sie heute Chancen skizzieren und Impulse geben, und morgen - das ganze Gerede eigentlich egal ist, denn dann gibt es Wichtigeres anzupacken.

So begleitet eine gewisse Unbeschwertheit das Trendforscher-Geschäft: Die momentane Energie der mitreißend-inspirierenden Prognose überwiegt bei Weitem ihre retrospektive Stichhaltigkeit. So kann der "Trend-Report" 2008 noch die "Ära der Avatare - Warum ein Zweitcharakter künftig zum Leben dazugehört" und schon 2009 den Web-Überdruss respektive "Offline-Trend" ausrufen. Gleichzeitig wird der "Ich-war-dabei!"-Trend zur digitalen Selbstvermarktung behauptet, der "offline" sicher nicht stattfinden wird. Trotzdem: Mit ihrem "Sowohl-als-auch" könnten die Kelkheimer durchaus recht behalten. Die Trendwirklichkeit ist widersprüchlich, mehrdimensional und es gehört zu ihrer Dynamik, dass ein Trend oftmals seinen Gegentrend schon in sich trägt (siehe literaturkritik.de 8/2008).

Notorische Gutgelauntheit und latente Erwartungsfreude sind das gute Recht und ein Stück weit auch Pflicht des Trendforschers. Nicht nur, weil Wirtschaft, wie dieser Tage wieder jeder weiß, zur Hälfte Psychologie ist. Auch weil er von Berufs wegen auf die Chancen und gewinnträchtigen Potentiale gesellschaftlicher Veränderungen hinzuweisen hat. Umso überraschender ist es daher, wenn Horx plötzlich hämisch, spöttisch, ja gallig auf die Zukunft schaut, die seinem Analysten-Blick einen neuen Lifestyle-Typus zeigt: den linken Spießer.

Biedermeier-Bolschewismus

Das Vakuum auf den Sinnmärkten, so die Diagnose, erzeugt einen Sog, in dem die Gesellschaft merklich nach links driftet. Quer durch alle Parteien finden sich Mehrheiten für den Mindestlohn, ebenso für die Wiederbelebung sozialer Gerechtigkeit oder für Re-Verstaatlichung zentraler Infrastruktur, wie etwa der Energienetze. Soziologen dürfte das nicht erstaunen: Die Mittelschicht fühlt sich gegenwärtig bedroht, bangt um ihren sozialen Status und wird empfänglich für protektionistische Ideen. Horx findet das ausgesprochen miefig. Und "risikoavers". Man merkt: Schumpeters kreative Zerstörung ist mehr seine Kragenweite.

Das klingt dann so: "Der Biedermeier-Bolschewismus ist indes nicht nur modernitätsfeindlich und rückschrittlich, er macht den Spießer und am Leben verzagten ,kleinen Mann' zum Märtyrer." "Viel brave Nostalgie und Gestrigkeit" zeige sich an den "warmen Rückzugsorten des Dagegenseins". Oder möchte Horx mit seiner harschen Abrechungen im Grunde bloß ermutigen? Think big, kleiner Mann!

Noch jung an Jahren, ist der linke Spießer laut Horx irgendwie blöd, weil er nicht sagen kann, warum er gegen G8 demonstriert. Älter an Jahren, hat er nichts dazugelernt, nährt sich vom abgestandenen Aufguss längst überlebter Ideologien und glaubt an "einfache Wahrheiten". Das Schlimmste am Linksspießer aber ist: Er wählt die Linkspartei. Und die Politiker der Linken argumentieren populistisch, so Horx. Zum Glück tun das Politiker sonst nicht.

Horx gehen angesichts der schäbigen "Revolution der Kleinkarierten" die Kategorien und Argumente derart durcheinander, dass er die Wochenzeitung "Der Freitag" als Blatt der Ewiggestrigen schmäht und in einer grafischen Darstellung das "Kommunistische Manifest" (immerhin ein Buch!) in eine Katastrophenreihe mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie dem Vietnam- und Irakkrieg rückt.

Finanzkrise & Kondratieff

Das der Finanzkrise und ihren Folgen gewidmete Kapitel "Soft-Kapitalismus" eröffnet Horx mit dem entschiedenen Hinweis, "entfesselte Marktkräfte" und "Heuschrecken-Kultur" als Schuldige der Krise zu nennen, sei "ziemlich falsch". Einsichtig wird das nicht und die Frage bleibt: Was anderes als nicht-regulierten Finanzmärkte sollten die gigantischen Investitionsströme so unheilvoll gelenkt haben? Plausibel sind aber die Einwände gegen die allgegenwärtige "Gier"-These: Die Wirtschaftsakteure "konnten sich auf einem illusionären Geldmechanismus ausruhen, anstatt wirklich neue Autos, innovative Häuser und neue Bankdienstleitungen zu generieren"; daher müsse man eher von "Faulheit, Opportunismus und Trägheit" sprechen.

Die aktuelle Krise sei Folge eines Mangels an "Realinnovationen". Bestes Beispiel dafür: die Autobranche. Die Finanzkrise vollziehe "nur das, was in den Märkten längst als Strukturproblem angelegt war." Das ist zwar verkürzt und als Erklärung der Krise sicher auch unzulänglich, weil es wesentliche Faktoren unberührt lässt: kein Wort über die fehlende Eigenkapitalabdeckung der Banken, Auslagerung von Krediten an Zweckgesellschaften, an die Banken ihre Kredite nach dem originate-and-distribute-Prinzip verschoben, die Verschleierung durch "innovative Finanzprodukte", die abhängige Position der Rating-Agenturen, die Verschuldung staatlicher Haushalte, die Zinspolitk der Zentralbanken, etc.. Selbst die BIZ (Bank für den Internationalen Zahlungsausgleich) spricht in ihrem Bericht vom Juni 2007 von einer "jahrelang ungezügelten Geldpolitk" als Ursache einer "gigantischen globalen Kreditblase".

Als relevanter realwirtschaftlicher Aspekt ist der von Horx selektiv wahrgenommene "Innovationsmangel" jedoch sicherlich ein berechtigter Hinweis. Obwohl auch hier, um wenigstens einen groben Zusammenhang herzustellen, die Abschwächung der Profitmargen westlicher Unternehmen, welche sich in der Folge vermehrt den profitableren Finanzspekulationen zuwandten, sowie der schon seit den 1980er-Jahren zunehmende Anteil von Kapitalgewinnen am Weltbruttosozialprodukt gegenüber einem sinkenden Anteil der Gehälter genannt sein sollten - Stichwort "Nachfragemangel".

Das theoretische Fundament seiner Deutung leitet Horx von Nikolai Kondratieff her. Nach dessen Zyklentheorie benötigt jede Prosperitätsphase ihre Basis-Innovation. Seit 1980 war dies die Computer- und Informations-Technologie. Die große Frage ist daher: Auf welchem Gebiet ist die nächste epochenmachende Basis-Innovation zu erwarten? "Erneuerbare Energien" und "Bio-Technologien", so Horx' plausible Antwort, die man übrigens auch, ebenfalls im Kontext der Kondratieff-Zyklen, in der Debatte "Zukunft des Kapitalismus" unter www.freitag.de oder unter www.berlinerdebatte.de findet: Rainer Land spricht dort unter dem Stichwort "Energiewende und Effizienzrevolution" davon, eine "Neukombination, die einen Zyklus wirtschaftlicher Entwicklung tragen könnte, müsste die zentrale Entwicklungsgrenze des alten Zyklus überwinden: das Zurückbleiben der Ressourcen-Effizienz hinter der Produktivitätsentwicklung, das Überschreiten von Tragfähigkeitsgrenzen der Natur durch die Belastungen, die mit dem steigenden Energie- und Rohstoffbedarfs sowie den zunehmenden Emissionen von Kohlendioxid und anderen Klimagasen einhergehen."

Überraschender dagegen die Prognose von Erich Händeler, den Horx als ökonomischen Experten anführt. Vor allem eine verbesserte, kooperative Arbeitskultur, die mehr Effizienz beim Wissens- und Informationsaustausch ermögliche, sei die Antwort auf die knappen Produktionsfaktoren des beginnenden Zyklus' im Sinne Kondratieffs. Das wirkt irgendwie niedlich, wenn man zum Vergleich an die Erfindung der Eisenbahn oder der elektronischen Datenverarbeitung denkt, die das Fundament der letzen Aufschwünge bildeten. Fast möchte man sagen: Schön wär's.

Auch wenn das "Soft-Kapitalismus"-Kapitel substantieller und die dort skizzierten Zukunftsszenarien ergiebiger sind als die Linksspießer-Beschimpfungen - auf politischem Terrain liegen die Stärken der Kelkheimer Trendforscher allem Anschein nach nicht.

Titelbild

Matthias Horx: Trend-Report 2009. Die soziokulturellen Schlüsseltrend für die Märkte von morgen.
Zukunftsinstitut, Kelkheim 2008.
134 Seiten, 125,00 EUR.
ISBN-13: 9783938284445

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