Die Kunst als verbindende Kraft gegen das Grauen

Über Steven Galloways Roman "Der Cellist von Sarajevo"

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Am 27. Mai 1992, während der Belagerung von Sarajevo, schlugen nachmittags um vier Uhr mehrere Mörsergranaten in einer Gruppe von Menschen ein, die hinter dem Markt an der Vase Miskina nach Brot anstanden. 22 Personen wurden getötet und mindestens 70 verletzt. In den nächsten 22 Tagen spielte Vedran Smailovic, ein berühmter einheimischer Cellist, an dieser Stelle zu Ehren der Toten Albinonis Adagio in g-moll." Soweit der kanadische Schriftsteller Steven Galloway im Nachwort zu seinem Roman "Der Cellist von Sarajevo". Diese Anregung hat er in einen Roman umgesetzt, der teilweise die historischen Wahrheiten verwendet, teilweise fiktive Elemente beinhaltet.

Anhand dreier Personen schildert Galloway das Leben im Ausnahme-, im Kriegszustand. Da ist Dragan, ein Mann um die 60, dessen Familie noch rechtzeitig nach Italien fliehen konnte und der sich nun alleine durchschlagen muss, immer mit der Hoffnung, alles werde sich wieder zum Guten wenden. Dann Kenan, der mit seinen Plastikflaschen den gefährlichen Weg zur Brauerei einschlägt, um seine Familie mit Wasser zu versorgen. Schließlich Strijela, die davon geträumt hat, zu studieren, vielleicht Kinder zu bekommen und die nun - sie ist ausgebildete Scharfschützin - wenn es nicht anders geht, tötet.

Der Leser erfährt hier nichts über die Motive, die Hintergründe dieses Krieges. Dem Autor geht es darum, den Alltag der Menschen zu zeigen, ihre Träume, ihre Ängste, ihr auf ein Minimum reduziertes Leben. Der Gang über die Straße kann den Tod bedeuten, da die Männer in den Bergen, die unsichtbaren feigen Heckenschützen, jeden ins Visier nehmen, der unvorsichtig ist. Diesem Irrsinn hat der Cellist mit seiner Kunst ein menschliches und kulturelles Symbol entgegengestellt, das wundersamerweise 22 Tage lang Bestand hatte.

"Der Cellist von Sarajevo" zeigt uns noch einmal die menschenverachtenden Mechanismen des Krieges, dokumentiert aber ebenso eindrucksvoll den Mut und die mentale Stärke des Individuums. Galloways Sprache ist schlicht, sein Roman erhebt nicht den Anspruch, sich in poetischer Weise einem Thema zu nähern, das nichts Poetisches an sich hat. Seine Idee, den Roman aus der Sicht dieser drei Menschen zu schildern, verleiht diesem Buch Nähe und Intensität.


Titelbild

Steven Galloway: Der Cellist von Sarajevo. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Georg Schmidt.
Luchterhand Literaturverlag, München 2008.
240 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872797

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