Wer gewinnt den Leipziger Buchpreis 2009?

Das 'poetische Rundumpaket' zu dieser Ausgabe

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 2005 wird der "Preis der Leipziger Buchmesse" verliehen, und dieser Tage ist es also einmal wieder so weit. In der Kategorie Belletristik sind Wilhelm Genazino, Reinhard Jirgl, Daniel Kehlmann, Sibylle Lewitscharoff, Andreas Maier und Julia Schoch nominiert worden. Dass Kehlmann mit seinem bereits seit Wochen ganz oben auf den Bestsellerlisten stehenden "Roman in neun Geschichten", "Ruhm", auf der Liste gelandet ist, verwundert nicht. Denn mittlerweile ist offenbar kaum noch irgendeine Aufzählung deutschsprachiger Autoren mehr denkbar, in der nicht der Name Kehlmann auftaucht.

Andererseits werden solche Preise ja seit einigen Jahren immer öfter für Bücher verliehen, die man gemeinhin "Familienromane" nennt. Von daher hätte Reinhard Jirgl mit seinem 'Jahrhundertroman' "Die Stille" sicher gute Chancen. Wurden doch etwa mit Arno Geigers "Es geht uns gut" (2005), Julia Francks "Die Mittagsfrau" (2007) und Uwe Tellkamps "Der Turm" (2008) bereits Bücher mit dem - ebenfalls seit 2005 existierenden, aber immer im Herbst zur Frankfurter Buchmesse verliehenen - Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, die Jirgls aktuellem Werk in gewisser Weise den Weg des Erfolgs vorgezeichnet haben könnten.

Alle diese - jeweils schnell zu Bestsellern gewordenen - Romane beschreiben 'deutsche Geschichte' als eine solche von Familien und ihren Generationen, und Jirgl ist dafür sogar schon länger als Spezialist bekannt, etwa durch seinen Sudetendeutschen-Roman "Die Unvollendeten" (2003).

Bloß, dass in seinem neuesten, monumentalen 'Epos' auf über 500 Seiten nun quasi so ziemlich alles vorkommt, was Deutschland im 20. Jahrhundert geprägt hat: Der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise von 1929, der Nationalsozialismus, die Shoah, die Vertreibungen aus dem Osten, und natürlich, als alles das wirkungsmächtig beinhaltende Gedächtnis-Instanz, Opis Fotoalbum. Ansonsten wird auch noch die ganz besonders schlimme DDR mit ihrem überaus menschenverachtenden Braunkohletagebau gewürdigt und schließlich die - im Sinne des Romans auch nicht einmal viel bessere - Berliner Republik: Weil sich ja die bürokratische Amtssprache in allen bisherigen deutschen Staaten sowieso nur in Nuancen unterschied, wird dieser fragwürdige, heutzutage aber kaum noch jemanden empörende historische Vergleich in dem überaus misanthropischen Roman nämlich immer wieder insinuiert.

Ach halt - und dann beschreibt Jirgl natürlich auch noch den unweigerlich bevorstehenden Weltuntergang im 22. Jahrhundert, an dem - you name it - vor allem die bösen USA Schuld sein werden. Ob das, sozusagen als poetisches "Familien"-Rundumpaket, die Leipziger Jury überzeugt?

Man wird sehen. Die aktuelle Ausgabe von literaturkritik.de jedenfalls ist traditionsgemäß den belletristischen Neuerscheinungen der Leipziger Buchmesse gewidmet. Da viele der in diesem Schwerpunkt zu besprechenden Romane erst soeben erschienen sind, werden im Laufe des Monats auch noch einige Artikel 'nachgereicht' werden, an denen unsere fleißigen Autorinnen und Autoren bereits emsig schreiben.

Anregende Lektüren wünscht schon einmal
Ihr
Jan Süselbeck


Titelbild

Reinhard Jirgl: Die Stille. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2009.
535 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446232662

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