Lost in Translation am Niederrhein

Über Christoph Peters' Roman "Mitsukos Restaurant

Von Stephan ReschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Resch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fettig triefende Bratwürste und pedantisch zelebrierte japanische Teezeremonien werden wohl selten in einem Atemzug erwähnt. Höchstens in Christoph Peters' neuem Roman "Mitsukos Restaurant", der einen Hauch japanischer Kultur in die niederrheinische Provinz der frühen 1990er-Jahre weht.

Um einen Zusammenprall der Kulturen, zu einer Zeit, als Sushi-Bars noch nicht zum alltäglichen deutschen Stadtbild gehörten, geht es in dieser Geschichte, ebenso wie um den Versuch, sich einer fremden Kultur langsam anzunähern. Dass dies nicht mit pädagogischem Ernst, sondern mit spielerischer Leichtigkeit erfolgt, dafür sorgen die wunderbar lebendigen Charaktere, allen voran der Romantiker und Teilzeitintellektuelle Achim Wiese, der sich mit gelegentlichen Komparsenrollen in Film und Theater über Wasser hält und den Rest des Tages seiner Faszination für Japan nachgeht.

Als er zufällig bei einem Waldspaziergang an einem Wanderheim vorbeikommt und darin entgegen allen Erwartungen ein japanisches Restaurant findet, erhält seine Japanleidenschaft neue Impulse. Achim verliebt sich in die attraktive Köchin Mitsuko, die dort mit ihrem Lebensgefährten, dem ebenso gutmütigen wie proletenhaften Eugen Schober, versucht, dem provinziellen deutschen Gaumen japanische Delikatessen schmackhaft zu machen.

Achim wird Küchengehilfe und versucht Mitsuko mit all seinem angelesenen Halbwissen über japanische Kultur zu beeindrucken, immer in der Hoffnung, sie früher oder später von Eugens Seite in sein Bett locken zu können. Dies ist, in Gründzügen, bereits die Handlung des Romans - etwas wenig für mehr als 400 Seiten, könnte man meinen.

Doch Peters gelingt es meisterhaft, die Geschichte kurzweilig zu gestalten und den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite aufrecht zu erhalten, selbst wenn man den Roman nur als Liebesgeschichte liest. Seine trocken lakonischen Milieuzeichnungen stehen denen Jörg Fausers in Wortwitz und Situationskomik in nichts nach. Besonders die kleinbürgerlichen Existenzen, die am Tresen sich selbst und jedem, der es hören will, die Welt erklären, sind so authentisch wie in der nächsten Eckkneipe.

Wenn eine dieser Gestalten dann versucht, romantisches Interesse an der lyrikbegeisterten chinesischen Germanistin und Kellnerin Yun Tsi zu bekunden, hört sich das so an: "Ich kann auch kochen, und zwar verdammt gut, my little china girl, ich war nämlich Smutje, bevor ich Zoohändler wurde." Auch Liebhaber der japanischen Küche werden von Peters eloquent servierten literarischen Häppchen kaum enttäuscht sein: "Er biß auf den Fischkopf, was im inneren Ohr ein Geräusch wie bei berstenden Kartoffelchips verursachte, Zunge und Gaumen allerdings entschieden vielgestaltigere taktile Reize bot: Auf die mit Marinade vollgesogene Bratkruste folgte hauchdünner Schädel, weiter vorn waren die kleinteiligen Kieferspangen zu spüren, dazwischen leberweiches Hirn, zartes Backen- und kräftigeres Brustfleisch. Im selben Moment füllte der Geschmack des Meeres Achims Mund. Nicht der tranige, mit Schweröl versetzte der sterbenden Nordsee, die man aus seinem Gedächtnis streichen mußte, wenn man genussvoll Fisch essen wollte, sondern der an Salz, fernen Ozeans, auf dem winzige Fischerboote aus Holz hin und her geworfen wurden wie Spielsteine von Riesen."

Bei aller Leichtigkeit ist "Mitsukos Restaurant" aber mehr als nur eine kulinarische Liebesgeschichte. Wie schon in seinen früheren Romanen ist die vielschichtig angelegte Struktur des Textes nicht zu übersehen. Besonders augenfällig ist dies bei den mit "Einige hundert Jahre zuvor in Japan" betitelten Einschüben. Sie erzählen von dem japanischen Fürsten Norishige, der lernen möchte, wie man die in Japan hochgeschätzten zeremoniellen Teeschalen herstellt und der für diese Neugier schließlich mit dem Leben zahlt. Die extrem stilisierte Form und Sprache dieser Einschübe steht in starkem Kontrast zum derben Realismus des kleinbürgerlichen deutschen Milieus. Durch die prägnante, manchmal enigmatische und oft eruptive Sprache wird eine Tonlage erreicht, die sich ostentativ von der Rahmenhandlung des Romans abhebt und damit wohl als ästhetischer Versuch angesehen werden kann, der inhaltlichen Annäherung an Japan ein sprachliches Pendant zu geben. Dass Christoph Peters als Kunstmaler die visuelle Metaphorik virtuos beherrscht, hat er bereits in früheren Romanen gezeigt, in "Mitsukos Restaurant" ist es vor allem die kunstvolle Symmetrie der Romanstruktur, die überzeugt. Die diametralen Elemente des culture-clashs sind eingearbeitet in eine kreisförmige Struktur, in der die Hauptfiguren am Ende ihrer kulturellen Entdeckungsreise wieder an ihrem Ausgangspunkt ankommen, allerdings mit einer neuen Perspektive.

Überhaupt arbeitet Peters in dem Roman reichlich mit Gegensätzen. Dem schwärmerischen und weltabgewandten Achim stellt er Wolf, einen zynischen und hedonistischen Schönheitschirurg als Freund an die Seite. Während sich Achim durch das Studium der Keramik und Kochkunst von der Superiorität der japanischen Kultur zu überzeugen versucht, macht Wolf lieber dubiose, aber einträgliche Geschäfte mit der japanischen Mafia. Im Übrigen ist er notwendig, um den zunehmend verklärten und oft klischeehaften Japanbegriff Achims ins Ironische aufzulösen. Denn Achim träumt keineswegs vom modernen Japan, sondern von dem aus Ritterromanen, hochästhetisierten Holzschnitten und Akira Kurosawas Historienfilmen. Eine Figur des Romans sagt wohl in seinem Sinn: "Das alte Japan ist wunderbar, aber kaum noch zu finden, und das moderne ist wie Amerika, nur noch schlimmer." Mit anderen Worten: Achim träumt sich in eine Welt, die es so schon lange nicht mehr gibt. Das sagt ihm auch Mitsuko, die als emanzipierte Frau sehr bewusst japanische Konventionen hinter sich gelassen hat, doch Achim mag es nicht so recht hören.

Neben der Liebesgeschichte und der eher eklektischen Erkundung der japanischen Kultur ist "Mitsukos Restaurant" aber auch ein Entwicklungsroman in der romantischen Tradition. Achim, der so sympathische wie weltfremde Antiheld, versucht sich selbst zu finden, und der drohende 30. Geburtstag wird für ihn, wie ja auch für viele andere Figuren der Literatur, zum Kristallisationspunkt. Auf Wanderungen versucht er, sich den profanen Forderungen des Alltags und der Leistungsgesellschaft zu entziehen, sein anachronistisches Japanbild wird dabei zur Projektionsfläche exotischer Wunschträume. Die "blaue Blume" findet er auf seiner Identitätssuche in Form von japanischen Keramikschalen, deren ungewöhnliche Ästhetik er zu verstehen versucht und die wohl stellvertretend für seine Annäherung an die fremde Kultur steht. Anfangs sieht er in den Schalen kaum mehr als "Hausfrauenarbeiten aus Volkshochschulkursen", doch je mehr Achim diese diffizile Kunst erfasst, desto mehr verweben sich die Handlungsstränge und eröffnen auch dem Leser neue Einsichten. Bei aller gelungenen Metaphorik ist hier die wohl private Faszination des Autors für das Keramikhandwerk allzu offensichtlich und so schleicht sich der eine oder andere für den Laien eher ermüdende Monolog über den Entstehungsprozess der Tongefäße ein.

"Mitsukos Restaurant" ist heiterer und leichter als Peters bisherige Romane, bleibt aber nicht ohne Anknüpfungspunkte. Die Figuren Achim und Wolf sind Peters-Lesern bereits aus den Kurzgeschichten in "Kommen und gehen, manchmal bleiben" bekannt. Auch die Grundthematik des Romans greift Ideen auf, die den Autor schon länger beschäftigen. Sei es die existentielle Bedeutung der Zentralperspektive in "Stadt, Land, Fluss" oder der Versuch, den islamischen Fundamentalismus nachzuvollziehen, Peters betrachtet gerne jene kompromisslosen Denk-, Lebens- und Daseinsformen, deren Verbindlichkeit oder doktrinäre Substanz für die wenigsten Menschen nachvollziehbar ist. Das feudale Japan mit seinen strengen Ehrenkodizes und stilisierten Zeremoniellen bildet dabei keine Ausnahme. Es ist die Frage, wie man heute, abseits der Konsumgesellschaft, noch leben und vielleicht auch glücklich sein kann. Am Ende des Romans glaubt Achim die Antwort darauf gefunden zu haben - er plant Japan auf den Spuren des Schriftstellers Matsuo Basho zu Fuß zu durchqueren. Schon dieser riet nämlich: "Erlange Erleuchtung, dann kehre zurück in die Welt der normalen Menschlichkeit."


Titelbild

Christoph Peters: Mitsukos Restaurant. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
415 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872735

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