Die Großeltern sind die Lehrer

Johanna Adorjáns Roman "Eine exklusive Liebe" wandelt auf den Spuren einer ungewöhnlichen Lebens- und Liebesgeschichte

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Sie sahen umwerfend aus, waren eingehüllt in eine Wolke aus Parfüm und Zigarettenrauch und hatten die tiefsten Stimmen, die man je gehört hat", so beschreibt Johanna Adorján ihre ungarischen Großeltern. Deren Geschichte erzählt sie in ihrem Buch "Eine exklusive Liebe", das im Februar 2009 im Luchterhand Verlag erschienen ist.

Doch nicht nur Erscheinungsbild und Auftreten des Paares sind ungewöhnlich, wie wir gleich zu Beginn des Buches erfahren, schließlich beginnt dieses mit dem gemeinsamen Selbstmord der Großeltern am 13. Oktober 1991, einem Sonntag. "Eigentlich nicht der ideale Wochentag für Selbstmorde", wie die Autorin lakonisch bemerkt. Trotzdem kommen keine überraschenden Verwandtenbesuche dem Paar in die Quere an dem Tag, von dem es seit langem beschlossen hat, dass es der letzte in einem langen gemeinsamen Lebensweg sein soll.

Ruhig und gefasst erledigt die 71jährige kerngesunde Großmutter Vera, was zu tun ist. Sie backt Kuchen für die Familie für Weihnachten und sorgt für peinliche Sauberkeit im Haus, während der 82jährige, von Krankheit gezeichnete István, genannt Pista, klassische Musik hört und die Pillen für ihr gemeinsames Ende zerbröselt. Auch am Tag ihres Todes pflegen sie immer noch die exzentrisch-elegante, distanzierte Haltung eines Paares aus dem jüdischen Großbürgertum der K. und K.-Monarchie, die sie sich ihr Leben lang bewahrt haben. Dazu gehört auch, dass man über Dinge wie den geplanten Freitod, erlittenes Leid und eigene Traumata nicht spricht. Dabei mangelt es nicht an Schicksalsschlägen im Leben von Vera und Pista: Kaum haben sie als junges Ehepaar in Budapest zusammengefunden, zerstören Krieg und Judenverfolgung ihre gewohnte Existenz: "Am 19. März 1944 besetzten die Deutschen Ungarn, also erst ziemlich spät im Krieg. Innerhalb der nächsten Monate deportierten sie in einer bis dahin nicht gekannten organisatorischen Großleistung an die 600.000 ungarische Juden. [...] Als Deutschland Ungarn besetzte, war meine Großmutter gerade im dritten Monat schwanger. Sechs Monate später, am 26. September, in der Zeit der höchsten Gefahr, brachte sie einen Sohn auf die Welt, meinen Vater."

Während Vera es mit dem Säugling schafft, dank gefälschter Papiere in Budapest zu bleiben, verschwindet Pista im KZ Mauthausen und taucht erst dann wieder auf, als schon niemand mehr an seine Rückkehr glaubt. Wie er das Todeslager überlebte und was er dort erlitt, wird für immer sein Geheimnis bleiben. Genau wie Vera wischt er alle Fragen nach dem Holocaust mit der Bemerkung "Darüber sprechen wir nicht" beiseite. Auch das spätere Leben als KP-Mitglieder in gut bezahlten Stellen im Gesundheitswesen im kommunistischen Ungarn und die nächtliche Flucht nach dem Einmarsch stalinistischer Truppen 1956 bleiben für die kettenrauchenden Wahl-Dänen Pista und Vera Themen, die nicht berührt werden dürfen.

Für sie zählt allein die Gegenwart, so scheint es, die perfekte Assimilation in ihre neuen dänische Nachbarschaft, für die sie sowohl ihre jüdischen wie auch ihre ungarischen Wurzeln abschneiden und ihre wahren Gefühle hinter der glatten Fassade eines erfolgreichen kultivierten Paares, das Musik liebt, verbergen. "Es war die Rolle ihres Lebens", wie die Enkelin beeindruckt feststellt.

Doch die Journalistin Johanna Adorján mag sich selbst nicht allein mit einem Leben im Hier und Jetzt begnügen. 16 Jahre nach dem Tod der Großeltern sucht sie Antworten auf die Fragen nach den familiären Wurzeln. Sie begibt sich auf eine intensive Spurensuche, kehrt an Orte des Lebens ihrer Großeltern zurück, befragt Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen - und stößt so auf manche Details, die die Puzzleteile ihrer eigenen Erinnerungen um weitere Facetten der Persönlichkeiten der beiden Menschen ergänzen.

Es gelingt ihr, über eine liebevolle, aber gleichzeitig ironisch-distanzierte Erzählweise, Fakten und Fiktionen zu einem dichten Ganzen zu verweben, das ein Bild echter Menschen entstehen lässt, die sie auch in ihren Schwächen mit Feingefühl und Diskretion behandelt. Vielleicht schafft sie diese Gratwanderung gerade auch deshalb, weil sie die Recherchen der äußerlich arrogant und unnahbar wirkenden Großmutter emotional weit näher kommen lassen, als sie es je vermutet hätte.

Jedoch nicht nur in der Beziehung zu den Großeltern bringt die Spurensuche Adorján näher an ihre eigenen Wurzeln heran. Während in ihrem bisherigen Leben ihr ungarischer Name und ihre jüdische Abstammung kaum eine Rolle gespielt haben, beginnt sie nun, deren Bedeutung für sich persönlich zu hinterfragen: "Ich habe eine deutsche Mutter und einen Vater, der sich als Däne fühlt, der aber von seiner Abstammung her zu drei Vierteln ungarisch und zu einem Viertel kroatisch ist. Mein Vater ist jüdischer Herkunft, meine Mutter nicht. Was heißt das für mich? Was heißt es, alles Mögliche nur halb zu sein?"

So beschleicht die kosmopolitische Intellektuelle plötzlich in einem Flugzeug nach Israel das Gefühl von Heimat, und sie fühlt sich dort "in dem wahrscheinlich unsichersten Land der Welt [...] dessen Klima mir nicht liegt, dessen Sprache ich nicht spreche und dessen Schrift ich nicht lesen kann", plötzlich in einem nie gekannten Ausmaß sicher, ruhig und zuhause.

Was bleibt also am Ende der Lektüre neben der Ergriffenheit über den Mut zu einem gemeinsamen, selbst bestimmten Tod und dem Gefühl, hier ein ganz besonderes Paar kennen gelernt zu haben? Es bleibt die Frage nach den eigenen Wurzeln, nach dem was von einem Menschenleben bleibt. Und danach, was wir wirklich wissen über die Personen, die uns umgeben. Spannende Fragen, nicht nur für Nachgeborene von Holocaust-Überlebenden.


Titelbild

Johanna Adorján: Eine exklusive Liebe. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
184 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872919

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