Entdeckung einer poetischen Terra Incognita

Prosatexte aus der "anderen deutschen Literatur"

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum jemand käme auf die Idee, Elias Canettis Verdienste um die deutschsprachige Nachkriegsliteratur zu bestreiten. Auch Paul Celan und mehr noch Franz Kafka sind aus "unserem" Literaturkanon nicht mehr wegzudenken. Wie fremd, ja wie exotisch dennoch ausländische Autoren wirken, die in deutscher Sprache publizieren, macht der Prosaband "Döner in Walhalla" deutlich. Neben Rafik Schami, Radek Knapp und Franco Biondi finden sich auch unbekanntere Autoren. In einem einleitenden Essay deutet der Herausgeber Ilija Trojanow, selbst ehemaliger bulgarischer Flüchtling, den Begriff der Gastarbeiterliteratur um. Klar und anschaulich werden die Probleme sowohl der Literaturgattung wie auch der ausländischen Schriftsteller zusammengefasst. Da sie keine eigene nationale Identität besitzen, von ihrem Gastland aber auch abgelehnt werden, bleibt nur die rettende Flucht in die "Republik der Phantasie", in die Kunst.

In welchem Maße die deutsche Literatur durch diese Phantasie bereichert wird, wird am Beispiel Rafik Schami deutlich: Er hat die orale Erzähltradition so erfolgreich literarisiert, dass "vielen deutschen Kindern der Souk von Damaskus vertrauter ist als der Wald von Hänsel und Gretel." Dabei tritt ein Grundzug der "anderen deutschen Literatur" hervor: Der Wille zur kreativen Auseinandersetzung mit der allzu oft als trocken empfundenen deutschen Sprache. Abseits ausgetretener literaturtheoretischer Pfade erzählen die AutorInnen immer undogmatisch, immer phantasievoll und oftmals überraschend.

Teilweise problematisieren die Geschichten die Fremdheit oder das Gefühl des Ausgestoßenseins. Teilweise erzählen sie aber auch vollkommen losgelöst von solchen Erfahrungen. Nicht nur Türken, Italiener und Spanier kommen zu Wort, sondern auch wahre "Exoten": Mongolen, Japaner und Inder. Die Geschichten, die sie zu erzählen haben, sind immer außergewöhnlich, oft sogar anrührend oder tragikomisch. Und alle erzählen sie von einem Traum: dem Traum vom besseren Leben.

Dabei wird das Verhältnis zur neuen Sprache, die nun die eigene geworden ist, immer wieder thematisiert, am anschaulichsten wohl durch den Brasilianer Zé do Rock. Auf seiner Reise von Deutschland in die Türkei wird seine Sprache, in der ohnehin nur das geschrieben wird, was man hört, zunehmend "türkisiert". So kann er am Ende seiner Reise behaupten: "langsam ferstee ich, mit föllüg ünbekannten Sprachen ümzügeen." Das verstehen wohl alle hier versammelten Autoren meisterhaft.

Die Bandbreite der "anderen deutschen Literatur" ist beachtlich. Nüchterne Aufzählungen stehen neben phantasmagorischen Verschlungenheiten. Die "neuen Deutschen" machen uns bewußt, wie einseitig unsere Sprache sein kann, wie anämisch. Dass sie das nicht sein muß, zeigen ihre Texte.

In Zeiten von Unterschriftenaktionen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und Diskussionen über die Einführung der Green Card beweist dieses Buch: sie sind schon längst unter uns - Ausländer, Immigranten, Asylsuchende. Und mehr noch: sie sind Teil unserer Gesellschaft und sogar unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur.

Titelbild

Ilija Trojanow: Döner in Walhalla.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
224 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3462028944

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