Der Ausbruchsversuch

Lorenz Langeneggers behutsamer Erstling "Hier im Regen"

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jakob Walter ist ein langweiliger Mensch. Er arbeitet bei der Steuerverwaltung, ist verheiratet mit Edith, die er am Arbeitsplatz kennengelernt hat. Seine Tage gleichen sich wie ein Ei dem andern. Und es geht ihm nicht schlecht dabei. Als er noch ledig war, ging er ab und zu in die Kneipe von Rolf, den er als seinen Freund bezeichnet, obwohl er eigentlich nicht so recht weiß, ob das stimmt. Unter diesen Menschen fühlte er sich wohl, auch wenn er wenig mit ihnen gemeinsam hat. Doch auch mit den Familien, in der Nachbarschaft ist es angenehm, ab und zu verbringt er einen Abend mit ihnen, sie laden ihn ein, den Nationalfeiertag gemeinsam zu begehen, an diesem Tag ist er ausnahmsweise allein, weil Edith ihre Eltern besucht.

Schon am Morgen ist er schlecht aufgewacht, denn da war diese Frage im Kopf, warum er eigentlich in Bern lebe. Und sie lässt ihn nicht mehr los, er kann auch keine Antwort finden. Wenn Edith nicht da ist, wenn der Tag also doch ein bisschen anders zu werden droht, und wenn dies dazu noch an einem Feiertag ist, der ihm sein Wochenende verlängert, gerät Walter aus dem Gleis. Die Frage lässt ihm keine Ruhe, und so beschließt er, Rolf aufzusuchen, der zwar kaum eine Antwort haben wird, aber warum nicht wieder einmal in der Kneipe vorbeischauen. Dort steht Walter vor verschlossener Tür, was einfach nicht sein kann, denn bei Rolf ist immer offen. Ruth, ein Stammgast, klärt ihn auf, Rolf sei verschwunden, seit einer Woche, wahrscheinlich sei er in der Aare ertrunken. Für Walter bricht eine Welt zusammen, die es gar nicht gibt. Er geht zum Bahnhof, löst eine Fahrkarte ins Tessin, einfache Strecke. In Locarno nimmt er ein bescheidenes Zimmer und spaziert am See. Es geht ihm gut. Bis ihn eine Stimme mit den Worten "Das ist doch Jakob" aus seinen Gedanken holt. Ein Arbeitskollege von früher, den er lange nicht gesehen hat, mit dem ihn auch nichts verbindet, lebt seit seiner Pensionierung in der Nähe und lädt ihn sofort zu sich ein, er müsse doch nicht im Hotel wohnen. Walter geht mit, fährt jedoch noch am selben Abend zurück nach Bern.

Aber was soll er dort - Edith ist bei ihren Eltern, die Feiern sind vorbei. Und Rolf bleibt verschwunden. Walter erinnert sich an eine weitere Bekannte, er geht zu ihr, die ihn herzlich aufnimmt. Später trifft Rolfs Frau Anna ein, von der Walter nicht mal gewusst hat. Er ist plötzlich in einer ganz neuen Rolle. Er bleibt bei Anna, als ein Freund, damit sie nicht allein sein muss, bis am Morgen der Anruf kommt, dass Rolf gefunden worden ist.

Am Abend kommt Edith zurück, sie erzählt von ihrem Wochenende, er beruhigt sie, er sei nicht aus dem Haus gegangen. Der Abend verläuft wie jeder Sonntagabend und am nächsten Tag geht Walter zur Arbeit, wie er das in all den Jahren immer gemacht hat. Der starke Regen, der in der Stadt Bern während des ganzen Wochenendes gefallen ist und zu Überschwemmungen geführt hat, dürfte laut Meteorologen im Laufe des Tages abklingen, am Nachmittag seien die ersten Sonnenstrahlen zu erwarten.

In seinem ersten Roman erzählt Lorenz Langenegger von Walter und davon, wie dieser an einem Wochenende aus dem Tritt gerät, sich einmal aus den gewohnten Bahnen bringen lässt, wie die Aare, die durch Bern fließt, wegen der starken Regenfälle das Flussbett verließ und die Matte, ein Stadtviertel, überschwemmte. Langenegger erzählt das alles langsam, ruhig, in einer einfachen Sprache und gibt so seiner Figur eine ihr entsprechende Stimme. Es passiert eigentlich fast nichts, und doch folgt man dem Protagonisten auf seiner Reise. Ein bisschen Mitleid schwingt mit - und ein leises Lächeln, denn so viel Langeweile ist fast zu viel. Irgendeinmal hat man auch genug davon, da ist nicht nur die Figur und die Geschichte langweilig, sondern auch der Text, der seine Faszination in der Zwischenzeit verloren hat. Denn es gelingt dem Roman nicht, das Interesse an der Figur und seiner Geschichte über die 170 Seiten wachzuhalten, obwohl es zahlreiche subtile Schilderungen von Beziehungen und Beziehungsunfähigkeiten gibt, und sich in der Stadt, auch für jene, die sie kennen, neue Winkel und Ecken eröffnen.


Titelbild

Lorenz Langenegger: Hier im Regen. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2009.
166 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783902497505

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch