Unverständnis und Unlust

Melissa Müller und Monika Tatzkow veröffentlichen einen Band über (kulturelle) Verbrechen der Nazis

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Deine Schwiegereltern wohnen nicht mehr in Breslau, auch Onkel und Tante Paula nicht, und wir ziehen in den nächsten Tagen auch hier weg, ebenso wie Tante Lisa." Nein, Onkel und Tante sind nicht einfach umgezogen: Sie wurden verschleppt. Der Brief ist vom Ende des Jahres 1941, gerichtet an Alfred Silberberg, der im Londoner Exil noch hoffte, dass er seine Eltern und seine Verwandten einmal wiedersehen würde. Doch sie wurden ermordet. Die Fabriken und Grundstücke wurden "arisiert", also gestohlen, ebenso ihre Kunstsammlung mit Werken von Impressionisten, Vincent van Gogh, Paul Klee und Henri Matisse. Eine Ernst Barlach-Skulptur ist verschollen, Edouard Manets "La Sultane" dagegen hängt noch heute in der Sammlung Bührle in Zürich.

Aber hinter den gestohlenen oder erpressten Bildern, die auf Umwegen oder direkt in Museen kamen, stehen auch Schicksale. Nicht nur der ermordeten oder vertriebenen Kunstliebhaber, wie Walter Westfeld, Sophie Lissitzky-Küppers oder Alfred und Tekla Hess, deren Lyonel Feininger-Bild "Barfüßerkirche I", das sie 1935 zwangsverkaufen mussten, heute in der Staatsgalerie Stuttgart hängt. Sondern auch ihrer Witwen, Kinder und Enkel, die noch nach Jahrzehnten ihr Erbe nicht wiederbekommen. In einem reichbebilderten, detaillierten und präzise recherchierten Band (mit einem Register, in dem man flott die Museen der Stadt nachschlagen kann) berichten Melissa Müller und Monika Tatzkow in ausführlichen Porträts nicht nur von den brutalen Entrechtungs- und Enteignungsmethoden, sondern auch von dem bis heute herrschenden Unverständnis und der Unlust, den Erben zu helfen. So schrieb der Bürgermeister des Schwarzwalddorfs Burladingen: "Der Walter Westfeld ist ja tot [...] Er ist im KZ verschollen, mehr wissen wir nicht."


Titelbild

Melissa Müller / Monika Tatzkow: Verlorene Bilder, verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2009.
250 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783938045305

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