Gegen den Klempnerladen - und für die Universalität

Warum literaturkritik.de in dieser Ausgabe an den Germanisten Robert Minder erinnert

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

"Ohne Pfarrhaus, oder zumindest ohne lutherischen Hintergrund, sind auch die Größten: ein Leibniz, ein Bach, ein Goethe nicht zu verstehen. Mit ihnen hat der Horizont sich geweitet und erhellt", betont der deutsch-französische Germanist Robert Minder in seiner im April 1959 - also genau vor 50 Jahren - erschienenen Studie über "Das Bild des Pfarrhauses in der deutschen Literatur von Jean Paul bis Gottfried Benn". Und er fügt als letzten Satz seines Beitrags hinzu, durch die genannten Geistesgrößen erfülle Deutschland "seine andere und vielleicht dringlichere Berufung: Zwiesprache, Zusammenspiel, Universalität".

Dass sich die Redaktion von literaturkritik.de entschieden hat, den zugegebenermaßen nicht besonders prominenten Jubiläumsanlass einmal dazu zu nutzen, Minder als denkwürdigen Kultur- und Literaturwissenschaftler ins Gedächtnis zu rufen, hat vor allem auch damit zu tun, dass der 1980 verstorbene Autor ein profilierter Kritiker der dunklen Seiten typisch 'deutscher Innerlichkeit' war. Minder polemisierte gegen jenen spezifischen "Seelenschmus", dessen Ursprung in der machtvollen Rolle lag, welche die Theologie in der deutschen Geistesgeschichte spielte. So knüpfte der belesene Professor etwa 1966 in dem seinerzeit vielbeachteten Suhrkamp-Band "Dichter und Gesellschaft. Erfahrungen mit deutscher und französischer Literatur" an Theodor W. Adornos Kritik an Martin Heideggers 'Jargon' an und bemerkte, der Philosoph aus Meßkirch trage "das Wort wie eine Monstranz" vor sich her, indem er eine geradezu "feiertäglich herausgeputzte, nebulös anspruchsvolle Sprache" pflege.

Dahinter verbarg sich für Minder jene andere, verhängnisvolle deutsche Denktradition, die sich selbst immer wieder metaphysisch zu überhöhen und gegen ihre nüchterne Analyse von Außen strikt zu verwahren suchte: "Die Sakralisierung des 'deutschen Wortes'", schreibt der Germanist in seinem heute immer noch äußerst lesenswerten Aufsatz "Heidegger und Hebel oder die Sprache von Meßkirch", sei "im Deutschland der imperialen Machtkämpfe Hand in Hand gegangen mit der Pervertierung des 'Reichs'-Begriffs. Das Reich wurde als Inbegriff der höchsten Kulturwerte des Abendlands religiös verklärt und dabei eine handfeste brutale und zuletzt völlig enthemmte Gewaltpolitik getrieben".

Der Gott des Alten Testaments trete bei Heidegger prototypisch "vor dem ehernen deutschen Schicksal zurück, der Schatten Wotans fällt herein, das Gastmahl Etzels profiliert sich auf dem Hintergrund": "Knallige Superlative, die immer wieder das Weite und das Tiefe zusammenbiegen wollen, sind eines der Kennzeichen der neuen Uniform", die Heideggers "Frontkämpfergeneration" ihrer ureigenen Sprache angezogen habe, gleich dem "Klempnerladen auf Görings Brust".

Verdienstvoll ist Minder also nicht nur als internationaler Vermittler deutscher Literatur, sondern auch als ihr kritischer Beobachter, dem bewusst war, dass ihre Sprache in der Geschichte weit mehr ermöglicht und bewirkt hatte als die bloße Ergriffenheit ihrer strebsamen Leser. Thema der Aprilausgabe von literaturkritik.de ist also nicht nur Minders exzellenter Pfarrhaus-Aufsatz, dessen runden Geburtstag wir feiern, sondern eine Erinnerung an seinen bemerkenswerten Autor und dessen Wirken - im weitesten Sinne.

Herzlich,
Ihr Pfarrerssohn
Jan Süselbeck