Die Maske war seine Aufgabe

Rolf Aurichs und Wolfgang Jacobsens Biografie würdigt Theo Lingen als vielseitigen "Medien-Menschen"

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Distanziertheit war ihm auf den Leib geschrieben, die perfekt-komische Note des näselnden Dieners ebenfalls: Theo Lingen galt über Jahrzehnte auf der Bühne und im Film als Zugpferd. "Der Schauspieler schien immer um einiges größer als seine Rolle" - wie verdient diese Einschätzung ist, belegen Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in ihrer Biografie "Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske".

Theo Lingen starb vor 31 Jahren und ist den Jüngeren vielleicht noch aus Paukerfilmen wie "Die Lümmel von der ersten Bank" oder aus der "Feuerzangenbowle" in Erinnerung. Dass er jedoch engagiert war in Inszenierungen von Stücken von Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Schiller über William Shakespeare und Henrik Ibsen bis hin zu Gerhart Hauptmann und Friedrich Dürrenmatt, ist heute kaum mehr gegenwärtig. Er wirkte unter anderem mit in Fritz Langs berühmtem Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", gab den "Macki Messer" in Bertolt Brechts "Dreigroschenoper", arbeitete mit Gustav Gründgens, Heinz Rühmann, Hans Moser und Werner Fink. Nach dem Krieg wurde er österreichischer Staatbürger und bald darauf Mitglied im Ensemble des Wiener Burgtheaters.

Mit Fleiß und Hingabe recherchierten Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen bislang unbekannte sowie in Vergessenheit geratene Fakten. Sie haben zahlreiche Quellen durchkämmt und so mehr als 400 Seiten Fakten zu Tage gefördert und mit 150 Seiten Anhang seriös belegt. Dennoch wird das Buch keine Leser in seinen Bann ziehen, die sich lediglich auf unterhaltsame Weise über Theo Lingen informieren möchten. Man muss schon echte Leidenschaft für die Theaterwelt und -geschichte mitbringen, um bei der Stange zu bleiben während der ausdauernden Spurensuche in Graswurzelmanier. Als Belohnung fürs Durchhalten darf man sich aber über die Beleuchtung wirklich erstaunlicher Facetten freuen, die bis hin zur Philosophie über die "göttliche Frechheit des Angeschautwerden-Könnens und Des-dem-Blicke-Standhaltens" (wie Franz Kafka es um 1919 ausgedrückt hatte) reicht.

Möglicherweise ist es nicht nur die reichhaltige Quellenlage, die die Stofffülle nährte. Es könnte auch sein, dass die Figur Theo Lingen selbst reizte, sich seiner mittels vieler Worte zu bemächtigen. Denn erstens galt Lingen nicht als besonders auskunftsfreudig, vielmehr wusste er sich und die Seinen sehr gut vor der Öffentlichkeit zu schützen. Und zweitens kann man sich selbst posthum an dem Spiel mit der Maske vortrefflich festbeißen. Denn die Maske, an sich etwas Festes, birgt trotz der vordergründigen Starre Virtuosität, Leidenschaft und Geheimnisse. Man möchte der Maske nicht auf dem Leim gehen und sucht dahinter, was es an Qualitäten hervorzuheben lohnt. Und bei Theo Lingen haben die Autoren diesbezüglich jede Menge entdeckt und enthüllt.

Hinzu kommt, dass Franz Theodor Schmitz, der sich den Geburtsort seines Vaters als Künstlernamen gab, sich selbst als einen "Komiker aus Versehen" bezeichnete. Dass so ein "Versehen" den Lebensunterhalt sichert, perfektioniert und zum Markenzeichen wird, zwingt geradezu zum Blick hinter die Kulissen, wo zu Recht einige Gratwanderungen im Privatleben vermutet werden dürfen: Schließlich heiratet Theo Lingen 1928 die österreichische Schauspielerin und Sängerin Marianne Zoff, ohne später mit Berufsverbot belegt zu werden, obwohl sie als Halbjüdin gilt. Sie bringt aus ihrer ersten Ehe mit Bertolt Brecht die Tochter Hanne mit, was deren leiblichem Vater ganz und gar nicht behagt. Schmähungen im Rosenkrieg sind die Folge. Trotzdem arbeiten Lingen und Brecht später sehr fruchtbar zusammen.

Von Lingen ist bekannt, dass er ein liebevoller Vater ist und sich als Familienmensch wohl fühlt. Die Neugier auf den Künstler wird obendrein dadurch geschürt, dass er seine Familie (Tochter Ursula kommt 1929 zur Welt) unbeschadet über die gefahrvollen Jahre rettet, obwohl er den Machthabern des "Dritten Reiches" keineswegs nahe steht. Also muss er ein geschickter Taktierer gewesen sein, auch hier mag wieder die Maske geholfen haben. Eine Maske, die es ermöglicht, das Gesicht zu wahren, ohne es tatsächlich zeigen zu müssen - was, als besondere Ironie des Schicksals, auch für die Gegenseite gilt.

So erweist sich die Maske als vielfältiges Instrument, an dem man - wie im Falle Lingen - wachsen kann und zu hohem Ansehen kommt. Im Kollegenkreis wird Theo Lingen sowohl menschlich als auch hinsichtlich seiner künstlerischen Leistung viel Positives bescheinigt. Er hat sich in unterschiedlichen Sparten versucht - unter anderem als Conférencier bei Modenschauen, Amateurfilmer, Regisseur, Karikaturist, Kabarettist, Verfasser von Bühnenstücken und Operettenliberetti sowie als Moderator im Fernsehen.

Wie sich das alles zwischen 1903 und 1978 zutrug, wird nachvollziehbar, ohne dass pointierte Zuspitzungen spannungstreibend wirken würden. Unaufgeregt verflechten sich Fakten, Kommentare sowie Überlieferungen. Gerade weil eine Fülle von Details akribisch aufgeführt wird, bedeutet die Lektüre eine Herausforderung und verlangt Sensibilität für die Vielzahl der erstaunlich feinen Nuancen, die Lingens Weiterentwicklung seines künstlerischen Spektrums zu Grunde liegen. Der Versuch, Theo Lingen umfassend gerecht zu werden, liest sich nicht immer kurzweilig, ist aber ungeheuer informativ und erfreulich uneitel formuliert.


Titelbild

Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen: Theo Lingen - Das Spiel mit der Maske.
Aufbau Verlag, Berlin 2008.
550 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351026684

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