Karriere als Mörder

Klaus Gietinger erzählt die Geschichte des "Konterrevolutionärs" Waldemar Pabst

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Anarchist Erich Mühsam widmete einst der deutschen Sozialdemokratie sein Gedicht vom braven Revoluzzer, "im Zivilstand Lampenputzer". Als es so richtig "revoluzzt", wollen die Aufständischen in dieser Satire die Straßenlaternen fällen und als Barrikaden nutzen. Das aber empört unseren typischen deutschen "Aufständischen": Ordnungssinn und Pflichtgefühl (für das Licht der Bürger) obsiegen über Revoluzzertum: der Mann geht nach Hause und schreibt ein Buch "nämlich wie man revoluzzt / und dabei noch Lampen putzt".

Was Mühsam hier mit böser Ironie aufgreift, hat leider eine tragische Note. Denn tatsächlich war die Revolution, die nach dem Ersten Weltkrieg das politische System in Deutschland hinwegzufegen drohte, nicht Sache der Sozialdemokratie. Erst recht nicht wollte man eine "bolschewistische" Revolution nach russischem Vorbild. Man strebte einen moderaten Umschwung an und konnte diesen schließlich in Form der Weimarer Republik ja auch verwirklichen. Doch war dieser Erfolg teuer erkauft. Denn in den Wirren des Umbruchs 1918/1919 hatte man sich in ein zweifelhaftes Bündnis mit den reaktionären Militärs begeben. Unter der Losung "Not kennt kein Gebot" übertrug man den berüchtigten Freikorps Aufgaben der öffentlichen Sicherheit. Diese nahmen das Angebot dankend an. Getrieben von tief sitzenden Hass- und Rachegefühlen gegen alle, die in ihren Augen "bolschewistisch" erschienen und die Verantwortung für die als schmählich und ehrverletzend empfundene Niederlage im November 1918 trugen, schlug man mit brutaler Härte die Aufstände nieder. Symbolischer Höhepunkt dieser ,Konterrevolution' war die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919.

Einer der entscheidenden Führungspersönlichkeiten auf Seiten der enthemmten Militärs war Waldemar Pabst. Das unrühmliche Kriegsende hatte dem Offizier der Reichswehr zwar eine weitere militärische Karriere verbaut, nicht jedoch seine militärischen Ambitionen eingeschränkt. Pabst behielt die Uniform an und kam als Freikorpsführer nach Deutschland zurück. Mit der Garde-Kavallerie-Schützen-Division befehligte er eine Schar ihm treu ergebener Männer, die im Januar 1919 entscheidend zur Niederschlagung des sogenannten Spartakus-Aufstands beitrug. Pabst konnte sich dabei auf eine unheilvolle Allianz verlassen, in der die SPD unter Eberts Führung mit Teilen der konservativen Eliten des untergegangenen Kaiserreichs, darunter auch die sich noch schamhaft zurückhaltende Reichswehrführung, einig war, eine revolutionäre Umwälzung verhindern zu müssen. Pabst nutzte die Rückendeckung gezielt aus. Die Morde an Liebknecht und Luxemburg, begangen von Angehörigen seiner Truppe, geschahen auf seinen Befehl. Pabst berief sich dabei auf die stillschweigende Zustimmung des SPD-Politikers und ersten Reichswehrministers Gustav Noske. Mit diesem Rückhalt gelang es ihm auch, die Morde bis in die Weimarer Republik ungesühnt und die Mörder unbehelligt zu lassen. Indes war auch die Republik Pabst Sache nicht. Klägliche eigene Putschversuche misslangen, beim Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 stand er abseits.

Pabst ging nach Österreich und betätigte sich auch dort als militärischer Berater extremrechter Gruppierungen. Auch im nationalsozialistischen Deutschland konnte er keinen bedeutenden Einfluss mehr erringen. Immerhin konnte er sein altes Netzwerk nutzen, um sich als Waffenexperte zu profilieren, der schließlich von der Schweiz aus seine Geschäfte betrieb. Endgültig zurück nach Deutschland kam Pabst erst wieder nach dem Krieg. Doch seine Hoffnungen auf neue Aufgaben im antikommunistischen Klima der Nachkriegsjahre erfüllten sich nicht. Aber da war ja noch die Sache Liebknecht/Luxemburg. Noch einmal stand Pabst im Mittelpunkt, diesmal als exklusiver Interpret seiner eigenen Geschichte.

Ausführlich erzählt Klaus Gietinger im vorliegenden Band diese Geschichte kritisch nach. Rückwirkend betrachtet ist dies eine gescheiterte "deutsche Karriere". Pabst steht für jenen rechtsradikalen Typus, der in der neuen Bundesrepublik trotz der vielfältigen Bemühungen der Alt-Kameraden-Netzwerke keinen bedeutsamen Einfluss mehr gewinnen konnte. Anders als die wandlungsfähigen Machttechnokraten vom Schlage eines Hans Globke, die mühelos in der Adenauer-Republik wieder Fuß fassen konnten, war die starre Unbelehrbarkeit dieses Typus selbst in der intensivsten Restaurationsphase der Republik nicht mehr ,vermittelbar'. Für die spezielle ,Kompetenz' des "Konterrevolutionärs" Pabst gab es keine Verwendung mehr.

Warum aber interessiert sich Gietinger nun noch einmal für Pabst? Tatsächlich ist die Rolle Pabsts während der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen 1918/1919 Ausgangspunkt einer Überlegung, die nach den Verbindungen der rechten Freikorpsszene zur bürgerlich-liberalen und sozialdemokratischen Eliten sucht. Diese Ausgangsfrage übernahm Gietinger von der Historikerin Doris Kachulle, die ihre Arbeit nicht mehr vollenden konnte. Gietinger führte sie fort und konzentrierte sie auf die Frage nach den Verbindungen des Pabst'schen Netzwerkes zur "völkischen SPD", wie er die SPD unter Eberts Führung nennt. Darin liegt ebenso die Stärke wie auch die Schwäche seines Buchs: Gietinger deckt die Verbindungen von Teilen der SPD mit den rechten Freikorpskräften auf und entlässt sie nicht aus ihrer historischen Verantwortung. Vor allem die Akzeptanz des von Pabst erlassenen "Schießbefehls", der zur Brutalisierung der "Konterrevolution" entscheidend beitrug, sowie die schmähliche Niederschlagung einer juristischen Aufarbeitung der Morde an Liebknecht und Luxemburg belastet das historische Konto der SPD.

Indes wenn an solchen Stellen Gietinger vom sachlichen Chronisten zum polemischen Ankläger wird, stellt sich die Frage, ob sein Konstrukt der "völkischen SPD" tatsächlich geeignet ist, die komplexe Rolle der SPD und insbesondere Eberts bei der Konstituierung der Weimarer Republik ausreichend zu erklären. Zu eindimensional erscheint der Ansatz, die SPD auf ihre Kumpanei mit den rechten Freikorps zu reduzieren. Vor allem ist das ja auch nichts Neues. Schon die Zeitgenossen nannten Noske "Blutnoske" oder den "Bluthund" der Reaktion.

Unerhört bleibt, dass weder der Anstifter Pabst noch die ausführenden Täter für die Morde an Liebknecht und Luxemburg jemals zur Rechenschaft gezogen wurden. Dass statt dessen Pabst mit seiner eigenen Geschichte der Abläufe in der Bundesrepublik hausieren gehen konnte und wohl auch auf die stillschweigende Zustimmung vieler Zeitgenossen zählen konnte, die im Grunde durchaus einverstanden waren mit der Ermordung der ,Kommunisten' bleibt eine skandalöse Episode in der Geschichte der Bundesrepublik. Gietingers Verdienst ist es, zu zeigen, dass dieses bundesrepublikanische Skandalon eine bis in die Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs zurückreichende ,Kontinuität' aufweist.


Titelbild

Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere.
Edition Nautilus, Hamburg 2009.
535 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783894015923

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