Menschliches, allzu Menschliches

Zu Andrea Köhlers Band "Das Tier und wir"

Von Leyla CiraganRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leyla Ciragan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Verfasserin des vorliegenden Bands, Andrea Köhler, ist eine Redakteurin der Neuen Zürcher Zeitung, die uns bereits einige spannende Bücher beschert hat. Sie sammelt hier Texte, die 2005 erstmals in der NZZ erschienen. Die Beiträge - allesamt von bedeutenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern der Gegenwart geschrieben - sollten von Tieren handeln, "wichtig war nur, dass der Text eine Geschichte erzählt, die uns an einer anders gearteten Wahrnehmung misst". Wer denkt dabei nicht sofort an Franz Kafka - die Messlatte liegt so allerdings fast unüberwindlich hoch.

Andrea Köhlers Vorwort ist vielversprechend. Sie spricht von unserer Beziehung zu den Tieren, die wir uns einerseits einverleiben, und ihnen wohl gerade deshalb die Dimension der Zeit, der Geschichte absprechen, und die andererseits unsere beliebtesten Projektionsflächen sind. "Wann immer wir über sie nachdenken, steht die Frage nach ihrer Ähnlichkeit oder Fremdheit im Raum." Diese stete Anthropologisierung und Anthropomorphisierung bringt nicht nur mit sich, dass sie unsere liebsten Opfer, Liebesobjekte, Zeugen und Phantasien werden. Nein, gerade die Anthropomorphisierung zeigt auch die Grenze zwischen Mensch und Tier deutlich auf: Den Tieren fehlt der Eintritt in die Ordnung der Schrift. Gerade hier sieht Köhler den Grund, weshalb Tiere in unserer Menschheits-, Literatur- und Philosophiegeschichte beliebte Figuren darstellen. Weshalb ihnen menschliche Gefühle oder Fähigkeiten zugeschrieben werden, und weshalb Tiere in einem schier unendlichen Wuchern der Diskurse ihren Platz so konstant zugewiesen bekommen.

Doch liegt in einer Reflexion dieser unserer (westlichen) Kulturgeschichte wirklich der Anspruch des Bands? Ließ sich die Leserin nicht von dem unendlichen Fundus der Literatur- und Philosophiegeschichte verführen und verlangt nun schier Unmögliches? Sollten nicht die verlangten Texte kleine Geschichten erzählen anstatt über Kafka oder Nietzsche nachzudenken?

Nein, denn einige der folgenden Texte lassen sich wirklich genussvoll lesen. Wenn uns Brigitte Kronauer vom tanzenden Marder erzählt, der sich durch diese Täuschung das leichtgläubige Kaninchen schnappen kann oder wenn sie davon erzählt, wie sie unversehens in die Rolle des Kaninchens gerät, tranceartig gefesselt durch das Fernseh-Schauspiel. So ist doch ihre Verwunderung und Enttäuschung über die Zielgerichtetheit und sogenannte Hinterhältigkeit des marderischen Daseins sehr entwaffnend und selbstironisch angesichts der menschlichen Phantasien über die heile Welt der Tiere.

Oder eine als Kindheitserinnerung konzipierte Erzählung von Theresia Walser, die uns von einem ewig grau gebliebenen Schwan erzählt, der im Exil - für immer von seiner Art ausgestoßen - eine Beziehung zu einer Gans führt. Nicht jedes Tier ist, wie uns das Fernsehen klarmachen will, nützlich. Die Erzählerin ist "erleichtert, dass es sie gibt: die Übriggebliebenen, Sitzengelassenen, all jene, die in unseren Frühlingsliedern nicht vorkommen". Überhaupt fühlt sie mit dem Schwan und der Gans, und fiebert ihren kurzen Auftritten und Fütterungsritualen am See entgegen, schreibt dem Schwan zu, es sei ihm peinlich, grau zu sein; unterstellt ihm offen und dadurch äußerst charmant, eine verstockte Art zu haben und ihr dadurch die Gans zu entfremden: "Die Schuld gab ich ihm. Jedes Mal musste er in seiner misstrauisch verstockten Art beim Fressen fauchen, als verfluche er an sich selbst den erbärmlichen Drang, sich von Menschen füttern zu lassen. Das muss ihr imponiert haben, anders konnte ich es mir nicht erklären. In solchen Momenten wünschte ich mir eine fremde Gans, nur um sie ihm damit auszuspannen."

In solcher Manier geht es kurzweilig durch den Band, in dem die Leserin nur ganz selten, wirklich vor den Kopf gestoßen, das Buch weglegen muss. Und dies leider gleich zu Beginn: Martin Walsers Eröffnungstext will so entspannt und witzig sein, doch stellt er sich immer wieder selbst das anthropomorphische Bein. Der Witz soll aus dem "lustigen" Vokabular entstehen, doch leider führt das nur dazu, dass der Text zu lang wird und über eine Aufzählung von Verhaltensweisen der Hunde des Erzählers nicht hinauskommt. Werden die Feinheiten des Humors nicht mehr subtil durch die Form herausgearbeitet, kann der Text nur platt werden. Oder wollte dieser Text gar nicht witzig sein? Dann ist er umso tragischer.

Solche Texte sind glücklicherweise nicht häufig in diesem Band zu finden, und so findet jede Tierliebhaberin oder jeder Tierliebhaber, und auch philosophisch oder literarisch interessierte Menschen ein nettes Lesebuch, Futter für die eigenen (Tier-)Träume und Fantasien. So sagt auch Andrea Köhler über die Begegnungen von Menschen und Tieren: "Keiner kann je den Traum des anderen wissen. Doch können sie sich im Traum begegnen."


Titelbild

Andrea Köhler (Hg.): Das Tier und wir.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008.
128 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783455401264

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