Stockfinster und ganz und gar nicht komisch

"Unfun" von Mathias Faldbakken: Der dritte Teil der "Skandinavischen Misanthropie"

Von Tina RathRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tina Rath

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Waren sie jemals eine Familie? Im biologischen Sinne vielleicht, allerhöchstens. Slaktus ist ziemlich sicher der Vater von Atal und Wataman, das sieht man an den Kulleraugen, sagt Lucy, die Mutter der Zwillinge, die eigentlich zwei Drillinge sind.

Sie ist fünfzehn, als die beiden zur Welt kommen, in einer Hütte irgendwo in den Wäldern Norwegens, deren Einsamkeit sie wegen der geradezu anarchistischen Anwesenheit von Leere schätzt, wie sie es formuliert.

Sie bezeichnet sich selbst als "Halbnegerin"; ihr afrikanischer Vater und ihre skandinavische Mutter haben sie mit einer großzügigen Dosis Speed im Blutkreislauf auf einem Rave gezeugt. Mit acht Monaten wird sie ihren Eltern weggenommen und von einer nigerianischen Oberschichtfamilie adoptiert. Diese Praxis ist dort durchaus üblich in gewissen Kreisen. "White Cash" heißen in Nigeria die europäischen Adoptivkinder; sie sind Statussymbole ihrer neuen Eltern wie große Villen und amerikanische Straßenkreuzer. Neben dem Luxus kommt auch ihre politische Bildung nicht zu kurz: Mit ihrem Kindermädchen Nneze streift sie durch die Slums von Lagos und bekommt Nachhilfe in anarchistischer Theorie.

Dieses Leben ist vorbei, als Lucys biologischer Vater auftaucht und sie als halbe Ik demaskiert: Er selbst ist Angehöriger des Ik-Stammes, dessen Individuen sich angeblich durch völlige Abwesenheit von Moral und Empathie auszeichnen. Die Adoptivfamilie ist kompromittiert, und Lucy reist mit ihrem Ik-Vater zurück nach Norwegen, wo sie - die Umstände bleiben im Dunkeln - auf den "Gewaltintellektuellen" Slaktus trifft, der sie regelmäßig vergewaltigt oder krankenhausreif schlägt, und mit dem sie in die norwegischen Wälder zieht. Dort bringt sie drei Jungen zur Welt, aber weder sie noch Slaktus kümmern sich um die Drillinge. Einer der Jungen scheint krank zu sein, und als sie schließlich alle drei aufhören zu schreien, wird ein befreundeter Arzt namens Pavel gerufen, der an dem kranken Säugling "aktive Sterbehilfe" leistet. Drei Kinder machen die Symmetrie kaputt, findet Lucy, und der durchtrainierte Slaktus braucht die Stimme nur ein wenig zu heben, da setzt Pavel, immerhin weinend, die Spritze an. Von da an gibt es eine zweite Lucy in Lucys Kopf, die immer das glatte Gegenteil von dem sagt, was Lucy Nummer eins ausspricht. Schließlich gibt Lucy Slaktus den Laufpass, aber nicht etwa, weil sie es nicht mehr aushält, wie sie von ihm behandelt wird, sondern weil er sich in den Kopf gesetzt hat, einen Splatterfilm zu drehen.

Es ist eine merkwürdig verfremdete Welt, die Mathias Faldbakken dem Leser im dritten Teil seiner "Skandinavischen Misanthropie" präsentiert. "Unfun" liest sich zuweilen wie eine dystopische Zukunftsvision - jeder Mensch hat eine persönliche Identitätsnummer und muss bei der Einreise am norwegischen Flughafen DNA-Proben abliefern - und ist vollgepackt mit (Pop-)Kulturtheorie (und ist sich dessen bewusst) und Zitaten aus dem Splatterpunk - und noch dazu ein Kommentar zu Joseph Conrads "Heart of Darkness", 110 Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung: Slaktus, durch den Computerspielkonsum seiner inzwischen erwachsenen Söhne inspiriert, beschließt, statt eines Filmes das Spiel "Death Box" auf den Markt zu bringen, in dem sich der postkolonial sozialisierte kongolesische Straßenarbeiter Mbo mithilfe einer Steinsäge durch die perfekt animierten Pariser Straßen metzeln soll; wie in Conrads Erzählung soll in diesem Spiel die Dichotomie "gut-böse" aufgeweicht und das "Herz der Finsternis" als Abgrund des eigenen Unbewussten entlarvt werden.

Bei so viel Metaebene verwundert es nicht, wenn die Figuren kaum greifbar sind. Sie sind eher Spielsteine mit viel weißer Oberfläche, die Faldbakken durch den Roman bewegt. Vielleicht ist das der Grund, warum der Leser einen so gleichgültigen Blick auf die Handlung hat: Er erkennt die Figuren kaum als (Mit-)Menschen und rückt paradoxerweise gerade dadurch emotional (beziehungsweise durch die erzwungene Abwesenheit von Emotionen) in die Nähe der Protagonisten. Was Faldbakken in diesem Roman gekonnt auffährt an Personal, Handlung und Theorie, ist bei aller Brutalität so herrlich absurd (und dabei so aseptisch), dass man schon gern lachen würde, aber darf man das angesichts des Titels "Unfun"? Denn dass es Faldbakken nicht nur um Komik geht ist allzu deutlich: Anhand unseres erzwungen-teilnahmslosen Blickes zeigt uns der Autor, dass das Böse nicht in der "Rasse", im Geschlecht, im Kapital liegt. "Unfun", Faldbakkens dritter und vielleicht bester Roman, ist, wenn man so will, post-kolonial, post-gender, post-kapitalistisch - und erfüllt wahrscheinlich noch eine ganze Menge anderer Post- oder Post-Post-Kategorien.

"Das Böse" gibt es für Faldbakken nicht. Es gibt nur den egoistischen, vereinzelten Menschen, der nur zu seinem eigenen Vorteil gesellschaftlich organisiert ist. In einem Brief vom 2. Februar 1899 schreibt Joseph Conrad an Robert Cunninghame Grahame über "Heart of Darkness": "Der Mensch ist ein bösartiges Tier. Seine Bösartigkeit muss organisiert werden. Das Verbrechen ist eine notwendige Bedingung der organisierten Existenz. Die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach kriminell, sonst würde sie nicht existieren. Der Egoismus rettet alles - absolut alles -, was wir hassen, was wir lieben. Und alles bleibt so, wie es ist. Ebendies ist der Grund, warum ich die extremen Anarchisten achte."

Die Anarchistin des Romans "Unfun", die mittlerweile 35-jährige Lucy, entpuppt sich als "Final Girl" der Story. Diesen Begriff führt Faldbakken klug im ersten Kapitel ein, indem er Lucy einen Text über die Theorie des Splatterpunks lesen lässt. Sie, die im ganzen Roman nur passiv erschienen ist, die kaum gesprochen, keine Zigarette geraucht, keine Drogen konsumiert hat, ja, die wir im ganzen Film nicht einmal essen gesehen haben, weil sie es abstoßend findet, Lucy also greift am Ende zum Messer und läuft Amok, und der Leser? Er lacht - hilflos.


Titelbild

Matias Faldbakken: Unfun. Skandinavische Misanthropie III Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Max Stadler.
Blumenbar Verlag, München 2009.
266 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738513

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