Die Schwierigkeit, neue Akzente zu setzen

Die "Zeitschrift für Geschichtsdidaktik" untersucht den Begriff der Epoche als geschichtsdidaktische Größe

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Konferenz für Geschichtsdidaktik hat den Jahresband 2008 ihres Organs "Zeitschrift für Geschichtsdidaktik" einem zentralen Thema der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik gewidmet: "Epoche als geschichtsdidaktische Größe". Eine der wichtigsten Fragen im Kontext der Geschichtswissenschaft besteht folglich in der Frage nach der Sinnhaftigkeit und dem Gehalt von Epochenkonstruktionen. Vor der eigentlichen Rezension sollen aufgrund der fächerübergreifenden Relevanz des Themas einige eigene Überlegungen zum Thema der Epochenkonstrukte aus dem Umkreis der aktuellen literatur- und kulturwissenschaftlichen Debatte vorangestellt werden.

Die generellen Defizite und die damit verbundenen Probleme von Epocheneinteilungen in der Geschichtswissenschaft, aber auch die Leistungsvermögen beziehungsweise Klassifikationspotentiale derselben sind im wissenschaftlichen Diskurssystem ausreichend thematisiert worden. Epochenkonzepte sind Attraktoren wissenschaftlichen Interesses, besitzen darüber hinaus forschungsleitende Funktion und erfahren dabei aber im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb nur unzureichende Reflektion. Das bedeutet, dass tagtäglich im Wissenschafts- (und Schul)betrieb mit Epochenkonstrukten hantiert wird, diese aber weder auf einer wissenschaftsgeschichtlichen noch wissenschaftstheoretischen Ebene reflektiert und analysiert werden. Dieser Zustand kann nicht als zufriedenstellend erachtet werden, gleichwohl sind Epochenkonstrukte nach wie vor, besonders in der Geschichtsschreibung und Wissenschaftsgeschichte (zum Beispiel Literaturgeschichtsschreibung), unabdingbar.

Systemtheoretisch gewendet sind Epochenkonstrukte Fremdbeschreibungen der Geschichtlichkeit von Etwas (zum Beispiel Literatur oder Geschichte). Die Kritikpunkte an den Epochenkonzepten sind zahlreich, beispielsweise wird Epochenkonzepten dann das prädestinierte Manko einer spezifischen Historisierung vorgehalten. Epochenausdrücke finden dennoch als Namen, Etiketten, Fiktionen, (Klassen-) Begriffe oder historische Grundbegriffe im wissenschaftlichen Diskurssystem zahlreich Verwendung. Epochen beziehungsweise Epochenbegriffe sind Konstruktionen, welche insbesondere dann eine optimale historische Orientierungsfunktion besitzen, wenn ihr Komplexitätsgrad richtig gewählt ist, das heißt weder das Merkmal der Über- noch der Unterkomplexität vorherrscht. Heute versteht man die Epochenbegriffe weitgehend als kritisch-heuristisch.

Primäres Verdienst eines so verstandenen Epochenbegriffs sind in der Folge Klassifizierungs- und Systematisierungseffekte, die kategoriale Differenzierungen innerhalb der Geschichtsschreibung und dem damit verbundenen Narrationsprozess gewährleisten und somit Zugehörigkeitsdistinktionen ermöglichen, die dann häufig als Diskussionsgrundlage für spezifische Themenbereiche dienen. So zum Beispiel in der Literaturgeschichtsschreibung die Fragestellung, wie stark der Romantik zugehörig der "alte" Goethe betrachtet werden kann oder die Frage der Möglichkeit einer Epochenzugehörigkeit von Heinrich von Kleist. Gehört Kleist eher der klassisch orientierten oder der romantisch inspirierten Epoche an? Ist es dann überhaupt möglich, Autoren wie Kleist (oder auch Franz Kafka) einer spezifischen Epoche zuzuordnen?

Da in der neueren Literaturgeschichte eine Art Paradigmenwechsel dahingehend stattgefunden hat, Literaturgeschichte in ihrem Verhältnis zum allgemeinen Prozess der Geschichte zu betrachten, empfiehlt es sich beispielsweise, die für eine bestimmte Epoche einschlägigen sozialgeschichtlichen Implikate aufzuarbeiten, kritisch zu reflektieren und in die literaturwissenschaftliche Analyse mit einzubeziehen. Fokussiert werden dabei gesamtgesellschaftliche, aber auch subsystemische - hierbei vor allem genuin politische, soziologische et cetera - Entwicklungen. Literaturgeschichte sollte wie die allgemeine Geschichtsschreibung nicht zuletzt in diesem Sinne polykontextural veranlagt sein, zudem könnten sich hier systemtheoretische Überlegungen einer Literaturgeschichtsschreibung im Gefolge Luhmanns anschließen.

Natürlicherweise folgen literarische und beziehungsweise oder historische Epochen aufeinander. So gilt beispielsweise als weitgehend unumstritten, dass die Romantik die Epoche der Aufklärung ablöste, wobei die Romantik ihrerseits vom Realismus beziehungsweise der Biedermeierzeit abgelöst wurde. Mit einer solch simplen Schematisierung verbundene Probleme liegen auf der Hand, denn folgerichtig finden sich in der Forschung zahllose Versuche, welche betonen, dass Epochen ineinander übergehen und einander bedingen.

Schwierig für die Disziplin der Geschichtsdidaktik ist es in diesem Kontext, sich als eigenständiges Fach zu etablieren und neue Akzente setzen zu können. Lobenswert ist in diesem Zusammenhang die von den Herausgebern postulierte Einführung eines hohen wissenschaftlichen Anforderungen genügenden "peer-review-Verfahrens". Damit wird der Anschluss an den ernsthaften wissenschaftlichen Diskurs sichergestellt und ein Mindeststandard an Wissenschaftlichkeit eingehalten. Geschichtsdidaktik sollte fragen, möchte sie das Ziel einer ernstzunehmenden Disziplin im universitären Fächerkanon realisieren, welchen Gehalt Epochenkonstruktionen im Schulunterricht besitzen und welche Kompetenzen den Schülern durch die Thematisierung vermittelt werden können.

Der Jahresband der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik behandelt bekanntlich die Thematik "Epoche als geschichtsdidaktische Größe". Dies ist zum einen ein Vorzug, da das Thema umfangreich, differenziert und in der Tiefe diskutiert werden kann. Andererseits läuft der Band Gefahr, sich den Vorwurf einer gewissen Unübersichtlichkeit einzuholen. Das meiste Interesse dürfte der umfangreiche "Themenschwerpunkt" verdienen, die Rubriken "Forum" und "Buchbesprechungen" dienen der Komplettierung. Zwei Aufsätze beschäftigen sich wissenschaftshistorisch und wissenschaftsgeschichtlich mit dem Thema Epoche. Sie verdienen besondere Aufmerksamkeit, da hier die Geschichtsdidaktik Stellung zum Thema bezieht und somit in der Lage ist, markante Grenzziehungen zur Nachbardisziplin Geschichtswissenschaft zu setzen.

Pragmatisch fragt Wolfgang Hasberg nach "Lobbyismus oder Epochenverliebtheit" und gibt in seinem Untertitel bereits die Antwort: Epoche als kategoriale Größe in der Didaktik der Geschichte. Die Kategorie einer fest umrissenen Zeitvorstellung der historisch-empirischen Forschung sei notwendig und Merkmale aller Periodisierungen seien die ausreichende Integration, zweckmäßige Größenordnung, räumliche Relevanz und die Vergangenheitsrelevanz. Zentral ist für Hasberg die Einsicht, dass Epochen im Prozess des Re-Konstruierens durch Deutung entstehen: "Eine Epoche ist ein Konstrukt, das als (formale) Kategorie (langfristiger Verlaufstypen) einerseits den oben genannten Kriterien genügt, das andererseits mit Ereignissen, Personen, Strukturen und Mentalitäten aus der Vergangenheit angereichert und auf diesem Weg zu einem historischen Begriff wird."

Bedeutsam ist für den Schulunterricht die Einsicht, dass Epochenbegriffe geschichtskulturelle Größen sind, die auf dem Weg einer historischen Rekonstruktion entstanden sind. Diese Einsicht gilt es den Schüler/innen zu vermitteln, um sie für den Konstruktcharakter von Geschichte zu sensibilisieren. Im Lehr- und Lernprozess sollte die konstruktive Rolle der Epoche als formale Kategorie im Prozess des historischen Denkens transparent werden. Epochen entstehen also als Ausdruck historischen Bewusstseins in einer vergangenen Geschichtskultur und entfalten als Kategorien historischen Denkens in der gegenwärtigen Geschichtskultur Wirkung.

Bodo von Borries knüpft hier gedanklich in "Epochenkonvention und Epochereflexion" an und postuliert, dass Epochenbegriffs-Bildung und Epochen-Charakterisierung ein Problem der Geschichtsschreibung und ihrer Durchsetzung in der Geschichtskultur sind. Folglich sind Epochengliederungen Geschichtsinterpretationen. Interessant ist, dass sich von Borries konkret mit Fragen der Epochenetikettierung beschäftigt. Hierfür legt er fest, dass Epochenbegriffe inhaltlich und nicht formal bestimmt werden, das heißt dass sie die wichtigsten Eigenschaften benennen. So schlägt von Borries vor, Mittelalter und 18. Jahrhundert durch "Konfessionelles Zeitalter und Absolutismus" und "Industrielle Revolution" zu ersetzen. Zugleich greift er einen aus der kulturwissenschaftlichen Alteritätsforschung bestens bekannten Gedanken auf, indem er fordert, dass Epochenkonstrukte das Problem einer eurozentristischen Sichtweise berücksichtigen.

Diejenigen Aufsätze, welche sich mit konkreten Geschichtsepochen beschäftigen, fallen gegenüber den oben besprochenen theoretischen Reflexionen etwas ab. Raimund Schultz untersucht in "Globaler Aufbruch in vertrauten Welten: Die historische Bedeutung der Antike aus fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Perspektive zu Beginn des 3. Jahrtausends", wie der geschichtliche Stoff der Antike aus geschichtsdidaktischer Perspektive angemessen im Schulunterricht behandelt werden kann. Dabei moniert er das Forschungsdesiderat, dass eine didaktische Durchdringung der gesamten Antike unter Berücksichtigung des adäquaten Anspruchsniveaus, lebensweltlicher Schülerinteressen und einer Orientierung an kategorialen Wissens- und Erkenntnisinteressen inspirierten Fragestellung fehle. Ebenso beklagt er die Schwierigkeit unter dem Druck der Stoffreduktion einerseits und neuen fachwissenschaftlichen Fragestellungen andererseits einen didaktisch sinnvollen roten Faden zu entwickeln. Insofern wirft der Aufsatz altbekannte Fragestellungen und Allgemeinplätze auf, ohne innovative Akzentuierungen oder gar Lösungen aufzeigen zu können.

Das Autorenteam Seidenfuß, Buck, Pflecka und Stöckle widmet sich der "Aktualität des Mittelalters". Ansatzweise findet sich hier Interessantes, wenngleich auch Altbekanntes. So zum Beispiel, dass das Mittelalter eine Konstruktion sei, weil mittelalterliche Geschichte auf methodisch nachprüfbare Weise aus Quellen und Überresten (re-) konstruiert werden muss und außerdem, weil es die Moderne (genauer: die "Romantik") ist, welche die Epoche begriffs- und epochenlogisch konstituierte und legitimierte. Damit ist man unausgesprochen wieder mitten in der Diskussion des Konstruktionscharakters von Geschichte und dass Geschichte soziokulturell, gesellschaftlich und politisch von der jeweiligen Gegenwart konstruiert wird.

Lobenswert ist, dass Christine Pflüger in "Das geschichtsdidaktische Potenzial der Frühen Neuzeit als Epoche" theoretisch fundiert die Sinnhaftigkeit der Epoche reflektiert. Sie geht davon aus, dass Epocheneinteilungen Setzungen nach sinnstiftenden Kriterien sind und der Orientierung im Prozess der Reflexion über Vergangenheit und Geschichte dienen. Außerdem entstehe durch die Setzung von Anfang, Mitte und Ende einer Epoche ein Sinnbildungsangebot, welches einerseits im Sinne der didaktischen Forderung nach De-Konstruktion rekonstruiert werden muss. Andererseits sollte die Reflexion um die Setzung von Epochengrenzen und die Kriterien für solche Setzungen Thema des Geschichtsunterrichts sein.

Das Fazit dieser Rezension fällt gemischt aus. Es ist begrüßenswert, dass sich die Konferenz für Geschichtsdidaktik entschlossen hat, ihren Jahresband 2008 einem so wichtigen, aber auch komplexen Thema wie der Epochendiskussion zu widmen. Dabei ist es nur teilweise gelungen, die Geschichtsdidaktik als eigenständige Disziplin zu profilieren. Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass die Geschichtsdidaktik einerseits dem theoretischen Anspruchsniveau der Geschichtswissenschaft gerecht zu werden versucht und dabei gleichzeitig das Ganze vor dem Hintergrund des Schulunterrichts zu reflektieren hat. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass es schwer fällt neue Akzente zu setzen und innovativ zu sein, ohne dabei eine der beiden Seiten (Historie und Didaktik) zu vernachlässigen. Für die Zukunft wäre anzumahnen, dass die geschichtsdidaktische Disziplin noch stärker ihr eigenes Profil durch die Herausarbeitung eigener Methoden, Theorien und Fragestellungen gewinnt, ohne sich dabei bei ihren Nachbardisziplinen Geschichtswissenschaft und Didaktik profilieren zu wollen.


Titelbild

Zeitschrift für Geschichtsdidaktik. Epoche als geschichtsdidaktische Größe.
Wochenschau Verlag, Schwalbach 2008.
272 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783899744477

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