Kinderschänder und Kollaborateure

Christian Dorph und Simon Pasternak lassen den Nachkriegsthriller wiederaufleben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun also auch Suhrkamp? Unter den Autoren, die vom traditionsreichen Haus Suhrkamp im neuen Krimiprogramm betreut werden, sind auch die beiden Dänen Christian Dorph und Simon Paternak, die mit "Der deutsche Freund" den Politthriller der 1960er-Jahre wieder aufleben lassen. Sie nehmen dabei Rücksicht auf neuere Gewohnheiten, die die kriminellen Neigungen gern ins Private verlegen: Der Großunternehmer Keld Borch wird Ende der 1970er-Jahre eines Nachts im Darkroom eines Schwulenlokals bestialisch ermordet aufgefunden. Unter ihm begraben ein traumatisierter Junge, der offensichtlich dem mächtigen dänischen Mann zu Willen zu sein hatte.

Wie sich herausstellt, ist der Junge mit gefälschten Papieren nach Dänemark eingeschleust worden. Ein umtriebiger Kinderporno- und Kinderprostitutionsring weiß offensichtlich seinen Kunden immer wieder gut zu bedienen, in diesem Fall aus der Türkei. Aber bei diesem Verbrechen bleibt es nicht. Zwar wird das dankbare Muster "Macht-macht-pervers" extensiv bedient. Aber nach kurzer Zeit öffnet sich hinter dem arg modernen Kindermissbrauch-Thema ein alt bekannter Thrillerkosmos: Denn dem ersten Mord folgen weitere Morde, immer an langjährigen Freunden des ersten Opfers. Zwar bleibt der Missbrauch als eine Art "basso continuo" im Roman präsent. Auch scheint der Freundeskreis, in den hier so gewalttätig eingebrochen wird, homosexuell orientiert zu sein, ein Motiv, das aber nicht weiter führt als zu den bekannten Männerbundklischees.

Aber bei den Recherchen in den Jugendzeiten der Freunde geraten die Ermittler in die Zeiten der deutschen Besatzung Dänemarks und der direkten Nachkriegszeit. Ein deutscher Nazioffizier - angeblich im Widerstand - taucht auf, der anscheinend an der Ostfront verschollen ist. Der Zeuge für den Tod des deutschen Offiziers aber begeht 1947 Selbstmord. Die Freunde um das Mordopfer Borch, der Staatssekretär und ehemalige Staatsanwalt Adam Wolff und der Grönlandforscher Joachim Frijs, haben sich zudem als antinazistische Widerstandskämpfer einen Namen gemacht.

Angesichts der extremen Neigungen eines der Freunde ist die Frage aber schnell beantwortet, ob das alles nicht eine groß angelegte Geschichtsklitterung ist, mit der nicht nur die nationalsozialistische Orientierung der drei Freunde verdeckt, sondern auch ihre Startchancen im Nachkriegsdänemark verbessert werden sollen. Ja, so ist das wohl. Auch das liberale und mutige Dänemark, in dem der König einen Judenstern anlegte, um gegen die deutschen Nazibesatzer zu protestieren, hat seine Kollaboration und seine nazistische Vergangenheit.

Damit aber bewegen sich Dorph und Paternak mit großem Tempo in jenen Gefilden, die zu den Klassikern des Nachkriegsthrillers gehören. Das erinnert an "Die Akte Odessa" und andere Thriller um die Spätfolgen des Nationalsozialismus in Europa, und liest sich auch nicht schlechter.

Allerdings haben Dorph und Paternak dem Ganzen einige Neuerungen hinzugefügt. Kein Zweifel, auch "Der deutsche Freund" bietet noch seine späten Überraschungen, die in komplizierten, verschlungenen und teils auch abwegigen Erzählsträngen entwickelt werden. Hier die Übersicht zu behalten, ist nicht immer möglich - und auch überhaupt nicht notwendig. Denn Dorph und Paternak legen es geradezu darauf an, ihr Thema und seine Logik im Überfluss der Erzählung zu verschleiern. Als Gegengift setzen sie schließlich eine fulminante Hetzjagd durch die DDR und Polen ein, die wohl keiner realistischen, sondern bestenfalls einer Thriller-Wahrscheinlichkeit folgt, und gerade deshalb von großem Reiz ist.

Das große Pfund aber, mit dem sie wuchern, sind ihre Ermittlerfiguren, deren Privatleben einige Aufmerksamkeit gewidmet wird: Die drei Polizisten, die sich an die Aufklärung des Mordes machen, sind allerdings keine vorbildlichen Helden. Ganz in der Tradition des skandinavischen, sozialkritischen Krimis und Thrillers sind sie allesamt arg beschädigt: Ein bisexueller Kriminalassistent, Erik Rohde, der seinen untreuen Freund in die Wüste schickt und seine Frau samt Kind zurückhaben will. Eine Kollegin, Anita Jensen, die sich alleinerziehend gegen die gewalttätigen Übergriffe ihres Ex-Mannes erwehren muss, der seinerseits Polizist ist und anscheinend für einen der Gegenspieler der drei arbeitet. Darüber hinaus ein eigenwilliger Chef, Vizekriminalkommissar Ole Larsen, der gegen jede Vorsicht seinen Kollegen, der in den ersten Mordfall gerät, aus der Schusslinie bringt, aber nicht bereit ist, als Gegenleistung wenigstens die gebotene politische Vorsicht zu wahren. Zusätzlich beschädigt ist er durch den Krebstod seiner Frau und die Liaison mit einer ehemaligen Strafgefangenen, die er auch noch selbst ins Gefängnis gebracht hat. Kein Wunder, dass er Schwierigkeiten hat, seine Ermittlungslinie durchzusetzen. Und spätestens als er seinen Kollegen Rohe nach Ostberlin schickt, um dort den Bruder eines Verdächtigen zu befragen, eskaliert die Geschichte. Danach hat niemand mehr im Griff, was geschieht, es folgt ein grandioser Showdown, der selbst im Text schwindeln lässt.


Titelbild

Christian Dorph / Simon Pasternak: Der deutsche Freund. Kriminalroman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
463 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783518460894

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